Das Wagnis des Naftali Bennett

Es scheint nun, dass Naftali Bennett zu einem wichtigen Gesprächspartner Putins geworden ist und vielleicht sogar eine entscheidende Rolle bei der Aushandlung eines Friedensabkommens spielen wird. Vielleicht weiss Naftali Bennett also doch, was er tut.

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Der russische Präsident Wladimir Putin und der israelische Premierminister Naftali Bennett in Sotschi, Russland am 22. Oktober 2021. Foto IMAGO / SNA
Der russische Präsident Wladimir Putin und der israelische Premierminister Naftali Bennett in Sotschi, Russland am 22. Oktober 2021. Foto IMAGO / SNA
Lesezeit: 4 Minuten

Israels noch recht neuer Premierminister hat von vielen Seiten Anerkennung für die Art und Weise erhalten, wie er seit seinem Amtsantritt im letzten Sommer eine fragile Regierungskoalition aufrechterhalten hat. Doch trotz einer langen Militärkarriere (und einigen kurzen Monaten als Verteidigungsminister) ist Bennett auf der internationalen Bühne weit weniger bekannt. Und als die Spannungen an der ukrainisch-russischen Grenze – zwischen zwei starken Verbündeten Israels – im letzten Herbst ein neues Niveau erreichten, war es schwierig vorherzusagen, wie Bennett mit einer solch komplizierten geopolitischen Herausforderung umgehen würde.

von Dan Schnur

Als diese Spannungen in einen regelrechten Krieg ausarteten, fragten sich viele Beobachter (mich eingeschlossen), wie Israel seine Neutralität aufrechterhalten würde, während sich die Verurteilung der russischen Aggression weltweit verbreitete. Trotz der engen Koordinierung, die sich in den letzten Jahren zwischen dem israelischen und dem russischen Militär in Syrien entwickelt hat – eine Beziehung, die Israel in der Region wertvolle Sicherheitsvorteile verschafft hat -, schien es unvermeidlich mit dem Druck der USA auf den jüdischen Staat, sich der internationalen Koalition anzuschliessen, fertig zu werden.

Doch jetzt sieht es so aus, als ob Bennett zu einem wichtigen Gesprächspartner des russischen Präsidenten Wladimir Putin geworden ist und vielleicht sogar eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung eines Friedensabkommens übernehmen könnte. Ausserdem hat Bennetts neue Rolle im Zentrum der Spannungen ihm mehr Einfluss bei den laufenden Atomverhandlungen mit dem Iran verschafft.

Noch vor zwei Wochen hatte Putin Bennetts Angebot, zwischen den beiden Seiten zu vermitteln, abgelehnt. Da sich jedoch die internationale Koalition gegen die russische Aggression so schnell zusammenfand und der ukrainische Widerstand gegen die Invasion viel stärker zu sein scheint als erwartet, ist Bennetts Vorschlag für den russischen Staatschef nun sehr viel attraktiver geworden. Bennett und Putin verbrachten am vergangenen Wochenende drei Stunden miteinander und sprachen über die Sicherheit der ukrainischen jüdischen Gemeinde, den allgemeinen Stand des Konflikts und mögliche Wege in die Zukunft, wobei sich Bennett offenbar auch gegen ein künftiges Atomabkommen mit dem Iran aussprach.

Nachdem er Putin verlassen hatte, sprach Bennett mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelensky und hatte Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und anderen westlichen Politikern geplant, die sowohl in der Anti-Russland-Koalition als auch bei den Iran-Verhandlungen eine Schlüsselrolle spielen. Jahrelang sind die israelischen Lobbybemühungen gegen ein Iran-Abkommen weitgehend auf taube Ohren gestossen. Doch nun plädiert Bennett nicht nur für die Sicherheit seines Landes, sondern könnte bei Putin eine Rolle spielen, die westliche Politiker dazu zwingt, seine Warnungen ernster zu nehmen.

Es ist schwer zu erkennen, wie ein neues Atomabkommen mit dem Iran zu diesem Zeitpunkt verhindert werden soll. Doch im Gegensatz zu seinem Vorgänger Benjamin Netanjahu, der sich lautstark gegen das gesamte Abkommen aussprach, wurde er bei dessen Abschluss ins Abseits gedrängt. Bennett hat sich darauf konzentriert, den Verhandlungsführern klar zu machen, dass einige Aspekte des potenziellen Abkommens schädlicher sein werden als andere. Auf diese Weise kann Israel möglicherweise mehr Einfluss auf die endgültige Einigung nehmen, als dies bei einem absolutistischen Ansatz der Fall gewesen wäre. Und Bennett wird nun für die absehbare Zukunft mit den Hauptakteuren im Gespräch sein, während sich der Krieg in der Ukraine weiter verschärft.

Es ist unmöglich zu erahnen, welche Ziele Putin letztlich in Osteuropa verfolgt, aber er scheint nicht daran interessiert zu sein, die Gewalt in nächster Zeit abklingen zu lassen. Das bedeutet, dass Bennett ein seltener vertrauenswürdiger Ansprechpartner für die Vereinigten Staaten und Westeuropa sein wird, der einen direkten Draht zur russischen Führung hat. Und wenn Putin beschliesst, dass Verhandlungen mit dem Westen in seinem besten Interesse sind, dürfte Bennetts Anwesenheit noch wichtiger werden.

Das bestmögliche Ergebnis für Israel wäre, seine Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten, seine eigenen Interessen in Syrien weiterhin zu schützen, für die Sicherheit der ukrainischen Flüchtlinge zu sorgen, seine Beziehungen zu Westeuropa zu stärken und sein Ansehen in wichtigen globalen Angelegenheiten ausserhalb des Nahen Ostens zu verbessern – und das alles, ohne seine dauerhaften Beziehungen zu den USA zu gefährden. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich die Dinge so entwickeln, aber inmitten einer weltweiten Tragödie wäre dies keine schlechte Ausgangsposition, wenn sich der Staub endlich gelegt hat.

Dan Schnur lehrt politische Kommunikation an der UC Berkeley, USC und Pepperdine. Er ist Gastgeber des wöchentlichen Webinars „Politics in the Time of Coronavirus“ für den Los Angeles World Affairs Council & Town Hall. Dieser Artikel erschien zuerst im Jewish Journal. Übersetzung Audiatur-Online.

3 Kommentare

  1. Nur mal ein Link zur Lage in der Ukraine, nichts spektakuläres, aber gerade deswegen entlarvt es so verharmlosende Aussagen wie: „… ich halte den Einmarsch Russlands für einen Fehler. […] aber …“ oder „Auch wenn ich den Einmarsch Russlands für einen Fehler halte, so hat Putin Recht.“

    Ein ,Fehler‘ kann ja schließlich jedem mal passieren.

    https://www.welt.de/politik/ausland/article237436339/Ukraine-Krieg-Keine-Evakuierung-in-Mariupol-Tote-in-Massengrab-bestattet.html

  2. @ „Susanna“ alias „chaikagrossmann“ alias „Sonst-wer“

    Ihre Geschichtskenntnisse sind beeindruckend. Allerdings frage ich mich, warum die Sintflut und die Erschaffung der Welt in Ihrer Tirade verschwiegen werden.

    Hier haben die russischen Propaganda-Algorithmen noch Verbesserungspotenzial. 😉

  3. Ich würde mich sehr freuen, wenn bennet außenpolitisch ebenso erfolgreich wäre wie Netanjahu. Was aber Russland angeht, so sind die USA und die NATO für diese Eskalation verantwortlich. Wie gesagt, ich halte den Einmarsch Russlands für einen Fehler. Es sind aber die USA und die NATO, die seit 20 Jahren die Ukraine aufrüsten und den Rechtruck inszeniert haben. Ebenso wie sie die Muhajedeín und späteren Taliban aufgeblasen haben, denen sie jetzt die unglückliche Bevölkerung ausgeliefert haben, so hat die USA im Rahmen des Kalten Krieges und nach 1990 im Rahmen ihrer geoplitischen Interessen- Öl und Gas- die rechtsradikalen Gruppen in der Ukraine aufgeblasen. Die OUN wurde militärisch besiegt, die Asow-Regimente sind ebenso wie Swoboda ihre Nachfolger. Timoschenko hat die Söldnerarmeen gegründet, die den Donbass bekämpfen und alle Russen töten oder vertreiben wollen. Die USA haben eine lange Tradition den „weichen Unterleib“ Russlands anzugreifen. Das sind nicht nur die zentralasiatischen Staaten, das sind auch die europäischen rechten Staaten. Ich hoffe, er kann vermitteln, dass Russland weder auf den Donbass noch auf die Krim verzichten kann. Ich hoffe, erkann die Neutralität vermitteln. Und eine Abrüstung. Die USA sollten besser für ihr Fracking Gas kritisiert werden- das zerstört die Umwelt.

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