Im Gedenken an Jitzchak Rabin: Wenn der Humanismus nur der Linken, und der Zionismus nur der Rechten gehört

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Unter dem Motto "Erinnert Euch, wir sind ein Volk" versammelten sich vor zwei Wochen in Tel Aviv um die 80'000 Personen am Ort der Ermordung Jitzchak Rabins zu einer Kundgebung. Foto Jacob Magid/The Times of Israel
Unter dem Motto "Erinnert Euch, wir sind ein Volk" versammelten sich vor zwei Wochen in Tel Aviv um die 80'000 Personen am Ort der Ermordung Jitzchak Rabins zu einer Kundgebung. Foto Jacob Magid/The Times of Israel
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Unter dem Motto „Erinnert Euch, wir sind ein Volk“ versammelten sich vor zwei Wochen in Tel Aviv rund 80’000 Personen am Ort der Ermordung Jitzchak Rabins zu einer Kundgebung. Der Premierminister wurde vor 22 Jahren, am 4.November 1995, von einem rechtsextremen Israeli, nach einer Friedenskundgebung erschossen.

 

Der Anlass, an welchem Redner von allen politischen Richtungen zu Worte kamen, wurde von der Organisation „Kommandanten für Israels Sicherheit“ organisiert.

Audiatur-Online hat die Rede des amerikanisch-israelischen Philosophen Micah Goodman übersetzt:

„Guten Abend.

Es heisst, dass Israel ein bahnbrechender Staat ist. Dies scheint zu stimmen – Israel ist in der Tat ein Wegbereiter. Tatsächlich kommen Menschen aus der ganzen Welt hierher, um etwas über Kreativität zu lernen. Früher kamen Besucher nach Israel, nur um die Heiligen Stätten wie die Klagemauer und die Grabeskirche zu besichtigen. Heute gibt es Menschen, die nach Israel kommen, um auch Unternehmen wie z. B. Waze und Mobileye zu besuchen.

Hierbei handelt es sich um eine neue Art des Tourismus, die über Israel eine neue Geschichte erzählt. Früher kamen Besucher nach Israel, um die Vergangenheit zu besuchen. Heute kommen sie hierher, um auch die Zukunft zu treffen.

Diese Geschichte, die Geschichte über das kreative und innovative Israel, ist die schöne Wahrheit. Aber heute Abend muss auch über die schmerzliche Wahrheit gesprochen werden.

Es stimmt, dass sich Menschen aus der ganzen Welt einfinden, um von Israel technologische Kreativität zu erlernen – aber es kommt niemand hierher, um mehr über politische Kreativität zu erfahren.

Gerade wenn es um die Bewältigung unsere wichtigsten Probleme geht – allen voran dem Konflikt mit den Palästinensern – verschwindet die israelische Kreativität. Wenn es um die Frage geht, wie wir aus dieser Falle herauskommen, finden wir uns immer wieder bei der Wiederholung der gleichen Ideen.

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Das ist nicht sonderlich überraschend. Besuchen Sie ein beliebiges israelisches Unternehmen oder einen beliebigen israelischen Verein, das sich mit Innovation beschäftigt, und Sie werden sofort feststellen, dass das Geheimnis des Erfolges im offenen Dialog liegt. Das offene Gespräch, das Brainstorming, der Austausch von Gedanken – hieraus wachsen neue Ideen.

Politische Gespräche in Israel sind jedoch kein Ort für den Austausch von Ideen – sondern ein Ort für den Schlagabtausch. Wenn der eine dem anderen nicht zuhört, sondern ihn beschuldigt, entsteht kein Klima – und es kann keines entstehen –  für das Wachstum von neuen Ideen.

Daher ist unsere Gesellschaft, die technologisch so kreativ ist, so unkreativ in Bezug auf Politik. Denn dort, wo das Gespräch zusammenbricht, stürzt auch die Kreativität ein.

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Ich möchte mit Ihnen eine kleine Anekdote teilen, die mir die Augen öffnete.

Vor einigen Jahren, nachdem ich in Jerusalem einen Vortrag gehalten hatte, näherte sich mir jemand und fragte: „Sagen Sie, Herr Goodman, stimmt es, dass Sie politisch links stehen?“. Ich sah ihn fragend an und er meinte weiter: „Sie haben über liberale Werte und Humanismus gesprochen – da sind Sie doch links.“

Bei einer anderen Gelegenheit, bei welcher ich über die Geschichte des Zionismus einen Vortrag hielt, sprach mich danach jemand an und fragte: „Goodman, verstehe ich das richtig – Sie stehen politisch rechts?“ Ich fragte: „“Warum?”, und er sagte: „Sie haben mit solch einer Begeisterung über Zionismus geredet, da sind Sie sicher ein Rechter.“

Verstehen Sie? Manchmal sieht es so aus, als hätte die politische Rechte den Besitz auf Zionismus und die politische Linke den Besitz auf Humanismus für sich in Anspruch genommen.

Das ist nicht gesund. Betrachten Sie beispielsweise das Monopol der Religiösen auf das Image des Judentums. Das ist wirklich nicht gesund für das Judentum. Und im gleichen Masse ist die Idee, dass der Zionismus den Rechten gehört, für den Zionismus ungesund. Und die automatische Zuordnung des Humanismus zur Linken ist nicht gut für den Humanismus.

Jitzchak Rabin (geb. 1. März 1922 in Jerusalem; gest. 4. November 1995 in Tel Aviv) war Verteidigungsminister und Ministerpräsident Israels. Foto Flash90
Jitzchak Rabin (geb. 1. März 1922 in Jerusalem; gest. 4. November 1995 in Tel Aviv) war Verteidigungsminister und Ministerpräsident Israels. Foto Flash90

Vor 22 Jahren wurde hier an diesem Ort der Premierminister von einem israelischen Juden ermordet. Jitzchak Rabin war während des Unabhängigkeitskriegs der Kommandant der Harel Brigade, Stabschef während des Sechs-Tage-Kriegs und Premierminister, der den Frieden anstrebte. Und wenn wir uns heute an diese inspirierende Person erinnern, erinnern wir uns auch daran, dass die Liebe zum Land Israel und die Verbindung zum Volk Israel nicht nur der Rechten gehört, sondern sie gehört uns allen.

Aber gleichermassen muss man sich auch daran erinnern, dass die Empfindsamkeit gegenüber dem Leiden von Minderheiten nicht allein der Linken gehört. Auch sie gehört uns allen.

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Ein amerikanischer Philosoph unterschied einmal zwischen einer funktionierenden Meinungsverschiedenheit und einer, die nicht funktioniert. Was ist eine funktionierende Meinungsverschiedenheit? Es ist eine, die zwischen Menschen besteht, die sich irren: Ich glaube, dass Sie sich irren, und Sie denken, dass ich mich irre. Dies gibt ein gutes Gespräch.

Aber was passiert, wenn ich glaube, dass Sie sich nicht nur irren, sondern dass Sie sündigen und sich durch Ihre Meinung schuldig machen? Genau so wird eine Meinungsverschiedenheit zerstört.

Seien wir ehrlich: im weiteren Kreis des rechten Lagers glaubt man zu oft, dass sich die Linken nicht einfach nur irren, sondern dass ihre Bereitschaft zum Rückzug sie zu Sündern und zu einer Gefahr für Israel macht.

Seien wir ehrlich: im weiteren Kreis des linken Lagers glaubt man zu oft, dass sich die Rechten nicht nur irren, sondern dass ihre Weigerung der Akzeptanz von zwei Staaten sie zu Faschisten und zu einer Gefahr für Israel macht.

Wenn jede Seite denkt, dass die andere Seite sich nicht irrt, sondern eine nicht legitime Position einnimmt, verschwindet die Bereitschaft zum Zuhören, die Debatte bricht ein und als Folge verschwindet auch die Kreativität.

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Wenn wir möchten, dass Israel ein Vorreiter wird, und zwar nicht nur in Bezug auf Technologie, sondern auch in Bezug auf Politik, dann sollten wir versuchen, nicht nur die Diskussion zu gewinnen, sondern auch die richtige Diskussion wiederherzustellen.

Wir wollen die Debatte nicht verschleiern und nicht verstecken. Sondern wir wollen die Debatte rehabilitieren.

Diese Wiederherstellung beginnt mit dem Verständnis, dass der Zionismus nicht der rechten Seite gehört und die Ethik nicht der Linken. Ganz im Allgemeinen gehören Werte nicht bestimmten Sektoren.

Wir sind ein Volk und sie gehören uns allen.

Vielen Dank.“

mgood 1 smallDr. Michah Goodman, ein israelisch-amerikanischer Philosoph, lebt mit seiner Familie in Israel und ist einer der führenden Stimmen des zionistischen Judentums, der heutigen Bibelauslegung, und bezüglich den Herausforderungen des modernen Israels und Weltjudentums. Goodman ist Autor von 4 Bestsellern – der letzte, Catch 67 wird zur Zeit übersetzt und er hat diverse Auszeichnungen erhalten. Er ist Direktor des Ein-Prat Institutes, ein Bet Midrash (Lehrhauses) für Erwachsene aller jüdischen Ausrichtungen, welche den pluralistischen Charakter der israelischen Gesellschaft stärkt und Brücken zwischen jüdischen Personen mit verschiedensten Backgrounds schlägt. Micah Goodman ist ein charismatischer Redner, der oft im Ausland für Vorträge und in diversen israelischen Think-Tanks und kulturellen Veranstaltungen eingeladen wird.