Syrien – Ein militärischer Einsatz Israels erstmals bestätigt

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F-16C/D (Israeli Air Force) Foto http://www.flickr.com/people/45644610@N03 - http://www.flickr.com/photos/idfonline/7975773304/, CC BY-SA 3.0, Link
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Solange die Israelis nach angeblichen Bombenangriffen in Syrien nichts bestätigten, die Syrer sich ausschwiegen und andere Beteiligte an dem Bürgerkrieg, wie Iran, Russland oder die USA weggeschaut haben, ermöglichte das diplomatische Spiel des gegenseitigen Schweigens allen Seiten, das „Gesicht zu wahren“. Doch nun wurde von Israel erstmals seit Jahrzehnten offiziell eine militärische Intervention bestätigt. Ein aussergewöhnlicher Vorgang.

Nördlich von Israel kam es zu einem militärischen Zwischenfall. Israelische Aufklärungsflugzeuge überflogen den Libanon und wurde von einer syrischen Rakete beschossen. Nach der Heimkehr der Aufklärungsmaschinen schickte Israel Kampfflugzeuge. Mit einer Rakete zerstörten sie die syrische Luftabwehrstellung nahe Damaskus von wo aus eine russische SA5-Raketen auf die israelischen Aufklärungsflugzeuge über dem Libanon abgeschossen worden war. Derartige Scharmützel sind nichts Neues und wurden in den vergangenen Jahren immer wieder von „ausländischen Quellen“ gemeldet. Doch erstmals hat der israelische Militärsprecher diese Kette von Ereignissen höchstoffiziell bestätigt.

Laut UNO herrscht Krieg, sowie ein Land von seinem Nachbarn militärisch angegriffen wird. Doch solange der Angriff nicht offiziell als solcher bestätigt und dargestellt worden ist, kann man so tun, als wäre nichts passiert.

Formal betrachtet könnten Israelis wie Syrer jeden militärischen Übergriff der anderen Seite als „Kriegserklärung“ sehen. Das gilt für Querschläger des syrischen Bürgerkriegs entlang der gemeinsamen Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen, also Schüsse oder Granatbeschuss, was durchaus auch schon israelische Opfer gefordert hat, genauso wie für „mutmassliche“ israelische Bombardements auf dem Flughafen von Damaskus oder syrischen Militärstellungen.

Operation Obstgarten

Laut „ausländischen Quellen“ flogen unter dem Decknamen Operation Obstgarten vier F-15 Kampfflugzeuge der Israelischen Luftwaffe am 6. September 2007 einen Angriff auf den al-Kibar-Reaktor in Syrien und zerstörten ihn. Angeblich bastelten die Syrer dort mit Hilfe aus Nordkorea an einer Atombombe. Doch Israel hat diesen mächtigen Schlag niemals bestätigt und Syrien schwieg, weil es nicht eingestehen konnte, sich in einen nicht-angemeldeten Atomreaktor am Bau einer Atombombe zu versuchen. Trotz riesiger Schlagzeilen in aller Welt taten beide direkt betroffenen Seiten so, als sei nichts passiert. Auch wenn alle Nachrichtenagenturen berichten, Menschenrechtsorganisationen und andere politische Aktivisten laut schreien, ist in der diplomatischen Welt „nichts passiert“, solange keine Seite das Ereignis offiziell bestätigt.

Seit über 40 Jahren hält der Waffenstillstand 

Syrien hat mit Israel nach dem letzten echten Krieg in Nahost 1973 ein kompliziertes Entflechtungsabkommen auf den Golanhöhen geschlossen. Trotz einer ganzen Reihe von tatsächlichen oder mutmasslichen Zwischenfällen herrscht zwischen diesen beiden Erzfeinden ein geradezu gespenstischer „Frieden“. Die absolut ruhigste Grenze zwischen Israel und einem Nachbarn ist ausgerechnet die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen, während aus Libanon, Ägypten und sogar Jordanien sowie aus dem Gazastreifen immer wieder zu Raketenbeschuss oder Terrorattacken gekommen ist.

Dabei hat Israel mit Jordanien und Ägypten einen Friedensvertrag unterzeichnet. Die Israelis wissen auch genau, dass nicht etwa Ägypten hinter Raketenangriffen auf Israel – zuletzt am vergangenen Sonntag – steckt, sondern Terrororganisationen wie El Qaeda, die im Sinai auch gegen die ägyptische Armee ankämpfen. Israel hat mit „Militäroperationen“ reagiert, wenn die PLO oder die Hisbollah von Libanon aus Israel mit Raketen beschossen haben. Ebenso gab es seit 2008 drei Gaza-„Kriege“, die aus guten völkerrechtlichen Gründen als „Militäroperation“ und nicht als „Krieg“ bezeichnet werden müssen, da das israelische Militär gegen Milizen oder Terrororganisationen und gegen nicht eine fremde Armee vorgegangen ist.

Vorteil des Schweigens

Die eigentümliche Methode, in Syrien bestimmte Ziele anzugreifen, wobei die Israelis nichts bestätigten, während die Syrer dazu schwiegen, hatte für beide Seiten Vorteile. Israel schickte so den Syrern „Botschaften“ und unterstrich gewisse „Rote Linien“. So hat Israel offiziell erklärt, dass es keine Lieferungen hochqualifizierter Waffensysteme wie Luftabwehrraketen an die Hisbollah im Libanon dulde. Genauso will Israel den Waffenschmuggel von Iran an die libanesische Miliz um jeden Preis verhindern. Die Syrer mussten zwar erniedrigende Attacken und eine Verletzung ihrer Souveränität schlucken, waren durch ihr Schweigen aber nicht gezwungen, gegen Israel in den Krieg zu ziehen.

Funktionierende Abschreckung

Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 funktionierte noch eine gegenseitige Abschreckung. Die Syrer verfügten über ein von den Sowjets geliefertes Raketenarsenal, mit dem sie jeden Punkt in Israel augenblicklich treffen konnten. Damals wurde nicht einmal von Giftgas oder anderen Massenvernichtungswaffen gesprochen. Umgekehrt verfügt Israel über eine Luftwaffe und eine klar den Syrern überlegene Militärmacht, mit der ebenso jederzeit die wichtigsten Städte in Syrien in Schutt und Asche gelegt werden könnten. 1982, während des ersten Libanonkrieges kam es zu Luftgefechten über libanesischem Territorium, bei denen die Israelis ein Drittel der syrischen Kampfflugzeuge abschossen. Da sich die Luftkämpfe ausserhalb des Territoriums beider Länder abspielte, kam es nicht zu einem direkten Krieg. Damals achteten die Syrer penibel darauf, die israelischen Kampfflugzeuge über Libanon nicht vom eigenen Territorium etwa mit Raketen zu beschiessen. Sie wollten den Israelis keinen Vorwand liefern, Syrien direkt anzugreifen. Die Syrer hatten jedoch durch ihre Verluste bei den Luftkämpfen eine saftige „Lehre“ erhalten. Sie wirkt bis heute nach.

Israel war auf einen langen Bürgerkrieg in Syrien vorbereitet

Heute sind die Beziehungen nicht minder kompliziert. Im Gegensatz zu fast allen „Experten“ in Europa hatte Israel nach Ausbruch des Bürgerkriegs nicht einen baldigen Sturz von Baschar Assad – innerhalb von zwei Wochen – „vorhergesehen“. Gefragt, warum Israel sich nicht mit irgendwelchen Aufständischen gegen den brutalen Diktator im nördlichen Nachbarland verbünde, kam im israelischen Aussenministerium eine diffuse Antwort: Man wisse noch nicht, wer die Oberhand gewinne und wem man wirklich vertrauen sollte. Ohne sich in die internen Zwiste spürbar einzumischen, beschränkte sich Israel vor allem auf humanitäre Hilfe. Verwundete und Kranke, Frauen und Kinder, sowie Kämpfer aller Fraktionen, die in Syrien nicht behandelt werden können, wurden an die Grenze gebracht, von israelischen Militärambulanzen übernommen und auf Krankenhäuser in Galiläa verteilt. Dort wurden sie auf israelische Staatskosten gesund gepflegt und anschliessend wieder in ihre syrische Heimat zurückgeschickt.

Eine diplomatische Botschaft an den Iran?

Israelische Experten zerbrechen sich den Kopf, welche Auswirkung die ungewöhnliche Bestätigung eines Angriffs durch den israelischen Militärsprecher haben könnte. Ungeachtet des erstaunlichen Verstosses gegen die bisherigen Spielregeln ist klar, dass die stark geschwächten Syrer sich heute keinen Krieg gegen Israel leisten könnten. Israel hingegen hat mit seiner Ankündigung nicht nur die Syrer angesprochen, sondern auch die Russen und Amerikaner und nicht zuletzt den Iran, dass es rote Linien gibt, wenn von Syrien aus, mit einer russischen Rakete israelische Aufklärungsflugzeuge über Libanon ins Visier genommen werden.

Wie sich die Dinge weiter entwickeln, ist nicht abzusehen. Dieser diplomatische Vorstoss ist jedenfalls völlig neu und ausserordentlich bemerkenswert.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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