Perspektiven zur Freilassung von Gefangenen

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Der Beschluss des israelischen Kabinetts, palästinensische Gefangene freizulassen, löste heftige Debatten und Unverständnis aus, sowohl in der Regierung als auch in der Bevölkerung. Mit der Freilassung von Gefangenen werde eine problematische Botschaft vermittelt, meint Yoaz Mendel (ynet): wer dieses Mal nicht auf der Liste der zu entlassenen stehe, warte auf einen nächsten Gilad Shalit. Und für Haviv Rettig Gur zeigte Netanyahu, dass er sich durchsetzen kann – gegen eine geschlossene Rechte gegen ihn.

Meinung von Yoaz Hendel

Von den 1‘005 palästinensischen Gefangenen, die beim Gilad Shalit Deal freigelassen worden waren, wurde 44 bereits erneut wegen Verwicklung in terroristische Aktivitäten verhaftet. Auf den palästinensischen Strassen sind Gefangene kulturelle Helden. Ein nationaler Konsens. Wann immer Gespräche mit Israel anstehen, verlangen Palästinenser die Freilassung von Gefangenen zur Vorspeise, und wenn möglich, auch zum Dessert. Was die Palästinenser angeht, ist die Freilassung von Gefangenen die einzige Errungenschaft seit den Osloer Abkommen. Es ist schwierig mit ihrer diplomatischen Begründung zu debattieren.

Aus israelischer Perspektive ist die Freilassung von Gefangenen eine problematische Botschaft. Es ist schwer, ein Rechtssystem zu erklären, dass regelmässig im Widerspruch zu seinen eigenen Entscheidungen handelt. Gefangene, die zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurden, werden aufgrund einer diplomatischen Entscheidung entlassen. Etwas muss hier falsch sein – die Richter, die Palästinenser in lange Haftstrafen schicken oder das System, welche sie vor Verbüssung der Strafe entlässt. Auf der Liste der Gefangenen, die als Geste gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde als nächstes entlassen werden sollen, stehen einige, die zu mehrfach lebenslänglich verurteilt wurden.

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Und jene, die dieses Mal nicht entlassen werden, warten auf die nächste Gelegenheit, auf den nächsten Gilad Shalit. Die Freilassung von Gefangenen schafft Motivation. Trotz der Drehtür in Israel, fehlt der Regierung ein eindeutiges Regelwerk, wer entlassen wird und wer nicht, und wann. Im Ergebnis hat die Regierung in Gefangenenangelegenheiten nichts mehr zu sagen; es wird kontrolliert gemäss den Entwicklungen.

Ein Beispiel dafür ist die Shamgar-Kommission. Sie wurde gegründet, um Wege zu finden, wie Fälle von Entführungen von Israelis, Zivilisten oder Soldaten, handzuhaben sind. Im Nachgang der Freilassung von Terroristen als Teil des Shalit Abkommens, versprach die Regierung, die Empfehlungen der Kommission anzunehmen, um Massenentlassungen von palästinensischen Gefangenen zu unterbinden. Doch diesbezüglich hat sich nichts realisiert.

Die gleiche Stagnation ist hinsichtlich der bequemen Haftbedingungen hinter Gitter ersichtlich: akademische Studien, Satellitenfernsehen und Familienbesuche. Auch hier hat sich nichts geändert. Die Richter urteilen, die Gefangenen gehen und die Politiker treffen keine Entscheidungen – mit oder ohne Referendum.

Originalversion: Israel sending problematic message by Yoaz Hendel © Ynetnews, 29.07.2013

 

Zusammenfassung der Meinung von Haviv Rettig Gur

Die Ankündigung am Sonntag kam für alle überraschend, auch für Mitglieder der Regierung und Koalitionspartner. Dabei sei die Überraschung für das rechte Lager gerechtfertigt, meint Haviv Rettig Gur in Times of Israel. Denn immer wieder hatte sie zu hören bekommen, vornehmlich von den Linken, dass die gegenwärtige Regierung dem extrem rechten Flügel, den Siedlern, den Gegnern des Friedens hörig sei. Somit ist der Kabinettsentschluss sowohl eine Überraschung für die Rechte, als auch die Linke. Die Theorie, dass die pro-Siedlungs-Rechte die Regierung kontrolliere, wurde nun widerlegt. Die Rechte hat für die Freilassung von Terroristen gestimmt, um Friedensgespräche mit Palästinensern zu ermöglichen.

Man könne weder mit Bestimmtheit sagen, ob die neuen Friedensgespräche überhaupt eine Chance auf Erfolg hätten, ob die PA Verhandlungen überhaupt führen kann und ein Abkommen einlösen könnte, oder ob eine oder beide Seiten in guter Absicht verhandeln. Die meisten Israelis scheinen eher skeptisch.

Netanyahu habe zwar weder bewiesen, dass der Frieden will noch Frieden erreichen kann, meint Rettig Gur. Aber mit der Freilassung der Gefangenen hat er bewiesen, was die Welt wissen wollte: wenn Israel in die Friedensgespräche geht, wird Netanyahu die Show in Jerusalem reissen.

Originalversion: On prisoners and peace talks by Haviv Rettig Gur © July 29, 2013