“Der uns bekannte Teufel”: Israelische Gedanken zur Zukunft des Assad-Regimes

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Assad Foto anjči / Sebastian Wallroth. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons.
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Am 17. Mai zitierte die Times of London „israelische Geheimdienstquellen“, die argumentierten, dass „ein intaktes, aber geschwächtes, Assad-Regime für Israel und die unruhige Region vorzuziehen wäre.“ Die Zeitung zitierte weiter einen „ranghohen israelischen Geheimdienstoffizier“ aus dem Norden des Landes: „Lieber der uns bekannte Teufel als die Dämonen, die wir uns vorstellen müssen, sollte Syrien ins Chaos stürzen und die Extremisten aus der ganzen arabischen Welt dort Fuss fassen.“ Wer diese Quellen waren, ist unbekannt, aber die Geschichte der Times bietet Einblick in die Überlegungen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb des israelischen Sicherheitsapparats wie Prioritäten bezüglich Syrien zu setzen sind.

Der Ausdruck „der uns bekannte Teufel” wurde bekanntermassen vom damaligen Ministerpräsidenten Ariel Sharon 2005 gebraucht, als er George W. Bush erklärte, weshalb er sich dem Verlangen des US Präsidenten widersetzte, Bashar al-Assad zu stürzen. Präsident Bush wurde feindselig gegenüber dem syrischen Präsidenten, der die Rebellion im Irak gegen die US-Besatzung unterstützte und seine Grenzen für jihadistische Eindringlinge und militärische Ausrüstung zur Unterstützung des Aufstandes öffnete. Ohne sich zum syrischen Präsidenten hingezogen zu fühlen, dachte Sharon, dass es aus israelischer Perspektive vorzuziehen sei, ein wohlbekanntes Regime in Damaskus zu haben, statt eine unklare Zukunft und die Möglichkeit einer Machtergreifung der Muslimbruderschaft, der einzigen organisierten Opposition in Syrien, anzuvisieren. Assad war ein Verbündeter des Iran, stellte ihm eine Landverbindung zur Hisbollah im Libanon zur Verfügung und unterstützte die Hamas und den Islamischen Jihad. Aber er sorgte auch für eine ruhige Grenze in den Golanhöhen und führte den Ruf seines Vaters als bekannter und insgesamt berechenbarer Feind weiter. Während seiner politischen Karriere und seinen fünf Jahren als Ministerpräsident lehnte Sharon eine Übereinkunft mit Syrien und einen Rückzug aus dem Golan, der ein wichtiger Bestandteil einer Übereinkunft gewesen wäre, ab.

Israels Perspektive änderte sich 2006 nach dem Zweiten Libanonkrieg. Für Sharons Nachfolger Ehud Olmert demonstrierte der Krieg den Ernst der Bedrohung für Israel durch die Achse Iran-Syrien-Hisbollah. Mit der Unterstützung des Verteidigungsestablishments folgerte er, dass die Zerschlagung dieser Achse von hoher Priorität für Israel ist, die primär durch die Entfernung des syrischen Ziegels aus der iranischen Mauer erfolgen sollte. Zu diesem Zweck begann er anfangs 2007 einen durch die Türkei vermittelten Vorstoss, um die Möglichkeit einer israelisch-syrischen Friedensvereinbarung auszuloten.

Die Verhandlungen dauerten bis zu ihrem Fehlschlag im September 2008, obwohl sie im September 2007 bereits vorübergehend suspendiert worden waren, als Israel gemäss ausländischen Quellen einen aus Nordkorea stammenden Nuklearreaktor in al-Kibar zerstörte. Man könnte argumentieren, dass es keinen Grund gibt, mit einem syrischen Präsidenten zu verhandeln, der – aus israelischer Sicht – zu solch radikalen Handlungen wie dem Bau eines Nuklearreaktor in der Lage ist. Doch Olmert kalkulierte, dass dies bloss ein weiterer Grund sei, um den Konflikt mit Syrien zu entschärfen. Dass Assad auf den Angriff nicht mit Vergeltung reagierte und dadurch Reife und Selbstbeherrschung zur Schau stellte, beeindruckte Olmert und auch andere.  .

Weitere Verhandlungen zwischen Syrien und Israel wurden 2010-2011 durch Vermittler seitens der Obama-Regierung geführt. Gemäss diesen Vermittlern wurden die Verhandlungen mit grosser Ernsthaftigkeit geführt, trotz Netanyahus öffentlicher Ablehnung eines Rückzugs aus den Golanhöhen. Der Ausbruch der Syrienkrise im März 2011 setzte auch diesen Verhandlungen ein Ende.

Die Syrienkrise, die als Serie von Demonstrationen begann und dann in einen brutalen Bürgerkrieg und religiös-ethnischen Konflikt umschlug, veränderte Israels Wahrnehmung von Assad und seinem Regime. Der syrische Bürgerkrieg war innert kurzer Zeit Mittelpunkt eines regionalen und internationalen Konfliktes. Auf regionaler Ebene wurde er zu einem Konflikt zwischen dem Iran und dessen Widersachern. Der Iran und sein Proxy, die Hisbollah im Libanon, unternahmen grosse Anstrengungen, um ihren strategischen Partner zu beschützen. Irans Rivalen Saudi-Arabien, Türkei, Katar und Jordanien erweiterten ihre Unterstützung der Opposition.

International stellten Russland und – zu einem geringeren Grad – China dem Assad-Regime ein Verteidigungsschild im UN-Sicherheitsrat und anderen Foren zur Verfügung. Russland fährt zu dem fort, Assads Regime mit hochentwickelten Waffensystemen auszustatten. Für Russland hat der Schutz seiner Investitionen in Syrien und die Verhinderung, dass sie in den US-Einflussbereich fallen, eine hohe Priorität.

Da die Zukunft Syriens auf Israel grossen Einfluss haben wird, muss es über seine eigenen Präferenzen entscheiden. Schon früh entschied sich Israel für eine passive Haltung. Unabhängig von seinen Präferenzen kalkulierte Israel zu Recht, dass seine Fähigkeit, Einfluss auf das Ergebnis des Bürgerkriegs zu nehmen, begrenzt war. Es hat keinen Einfluss auf Syriens Innenpolitik und jegliche Art von Unterstützung, die es der Opposition zukommen liesse, würde dem Regime in die Hände spielen. Assad und seine Pressesprecher liessen von Anfang an verlautbaren, dass es sich hier nicht um eine genuine inländische Rebellion handle, sondern eine von aussen gelenkte Verschwörung. Das Regime würde jede Gelegenheit nutzen, um die Opposition durch die Aufdeckung einer israelischen Verbindung oder Unterstützung in Verlegenheit zu bringen. Zugleich hat Israel klar gemacht, dass es seinen eigenen roten Linien vis-à-vis Syrien festgelegt hat. Es verkündete, dass es den Transfer hochentwickelter bahnbrechender Waffensystem an Terrorgruppen unterbinden würde, sei es an die Hisbollah oder an jihadistischen Gruppierungen, die eine wichtige Rolle in der bewaffneten syrischen Opposition eingenommen haben. Berichten zufolge zerstörte Israel im Januar 2013 in der Gegend um Damaskus eine Raketenlieferung, die auf dem Weg in den Libanon war. Um das Regime nicht blosszustellen und das Risiko eines Gegenschlags zu minimieren, bekannte sich Israel nicht zur Aktion.

Doch im Mai 2013 handelte Israel zweimal und das ganz offen. Ohne Frage legten Iran, Syrien und die Hisbollah nach. Genauso wie Russland, welches Syrien mit hochentwickelten S-300 Raketen, deren Existenz im syrische-libanesischen Raum für Israel inakzeptabel ist, ausstatten will. Israel könnte sich in einer Gewaltspirale wiederfinden, in der es immer und immer wieder gegen Waffentransfers von Syrien an die Hisbollah vorgeht und dadurch eine Reaktion, sei es durch Syrien oder Hizbollah, provoziert. In diesem Kontext sagte ein israelischer Beamter gegenüber der New York Times, dass Israel Assads Regime stürzen würde, sollte dieser für einen Gegenschlag optieren. Er meinte damit, dass die Zerstörung von Assads Luftwaffe und Panzertruppen durch Israel zum Sieg der Opposition führen würde. Wie dem auch sei, Israel ist zutiefst involviert im regionalen und internationalen Konflikt um die Zukunft sowohl Syriens als auch des Regimes.

Tatsächlich wird im israelischen Verteidigungsestablishment eine Debatte zum wünschenswerten Ausgang des syrischen Bürgerkriegs geführt. Einige argumentieren wie die Informanten der Londoner Times, dass es für Israel letzten Endes besser sei, wenn Assad an der Macht bliebe, eventuell als geschwächter Herrscher über nur einen Teil des Landes. Denn angesichts der Stärke der jihadistischen und islamistischen Elementen unter den kämpfenden Rebellen, wäre eine Machtübernahmen derjenigen oder ein anarchischer Zustand, der Jihadisten einen Freipass für Terroraktivitäten gäbe, die grösste Bedrohung für Israels Sicherheit. Vor diesem Hintergrund wird Assad wieder zum „uns bekannten Teufel“. Andere wiederum argumentieren, dass die Fortsetzung des Assad Regimes im Dienste des Irans und in enger Partnerschaft mit der Hisbollah eine grössere Gefahr für Israels Sicherheit repräsentiere. Es sei natürlich wünschenswert, dass jihadistische Gruppierungen Syrien oder Teile davon übernehmen, aber Syrien sei nicht der Sinai und Israel in der Lage, auf terroristische Bedrohungen zu reagieren.

Diese Denkschule überzeugt mehr. Bashar Assad hat seine Fähigkeit zu gefährlichen und radikalen Handlungen demonstriert, als er einen Nuklearreaktor mithilfe Nordkoreas baute. Er demonstrierte seinen Willen, die eigene Bevölkerung zu brutalisieren und setzt Raketen und Chemiewaffen gegen sie ein. Er ist mittlerweile ein reines Instrument im Dienste des Iran. Das heisst allerdings nicht, dass Israel sich offen gegen Assad und sein Regime stellen sollte. Israels jüngste Verstrickung in den russisch-amerikanischen Konflikt über die Zukunft Syriens ist eine negative Entwicklung. Während es seine lebensnotwendigen Interessen verteidigt, sollte es versuchen, zu jener Politik zurückzukehren, die es über lange Zeit des Bürgerkriegs verfolgt hatte: So gut wie möglich zu verhindern, in die Krise und syrische Politik hineingezogen zu werden und seine essentiellen Sicherheitsinteressen nachdrücklich zu verteidigen, aber vorsichtig und diskret.

Originalbeitrag: “The Devil We Know” Revisited: Israeli Thinking on the Future of the Assad Regime by Itamar Rabinovich, © INSS. INSS Insight No. 427, May 19, 2013.