The Gatekeepers – „Töte zuerst“

2
Lesezeit: 4 Minuten

Schon der deutsche Titel des Films „Töte zuerst“ des israelischen Regisseurs Dror Moreh, wie er bei der ARD ausgestrahlt worden ist, stimmt nachdenklich. Erstmals melden sich sechs ehemalige Chefs des Inlandsgeheimdienstes „Schin Beth“ vor der Kamera zu Wort, um über ihre Fehler und die moralische Problematik ihrer Teils schmutzigen und moralisch umstrittenen Arbeit zu sprechen. Ursprünglich hieß der Film auf Englisch „The Gatekeepers“ (Torwächter). Der Koproduzent NDR beschloss jedoch, ein halbes Zitat von Geheimdienstchef Avi Dichter als Titel zu verwenden. Wie Andrea Lauser vom DIG Freiburg in einem Briefwechsel mit dem NDR richtig feststellte, lautet das komplette Zitat aus dem Talmud: „Wenn jemand kommt, dich zu töten, steh auf, und töte ihn zuerst.”

Das ist die klassische Definition von Notwehr, wie sie auch im deutschen Grundgesetz verankert ist und für jeden deutschen Polizisten gilt. Gleiches gilt auch für Militär und Geheimdienste. Sie haben die Aufgabe die Bürger ihres Staates zu beschützen. Und wenn die mit Gewalt angegriffen werden, ist es oft unumgänglich, selber Gewalt anzuwenden.

Neben diesem verkürzten und deshalb verfälschenden Titels des für den Oskar vorgeschlagen „Dokumentarfilms“ muss man sich fragen, was der Film bezweckte. Jenen, die fern von Israel leben und den israelischen Geheimdienst wohl für eine Verbrecherorganisation halten, liefert der Film eine billige Bestätigung für Israel als Staat, der vermeintlich palästinensischen Terror provoziert und selber schuld am mangelndem Frieden und den eigenen Toten trägt. Doch zeigt dieser Film eher einen Staat mit Geheimdienstchefs, für die Moral der höchste Wert ist und gerade deshalb kehren sie die eigenen Fehler hervor.

Wer die mit manipulierten historischen Filmdokumenten dargestellten Ereignisse verfolgt oder gar miterlebt hat, erfährt nichts Neues über die gezielt herausgepickten Pannen und Skandalaffären des Geheimdienstes.

So ist willkürlich 1967 als Ausgangspunkt ausgewählt worden. Geschickt wird ausgeblendet, dass palästinensischer Terror und arabische Kriege gegen Israel und seine jüdische Bevölkerung schon vor 1967 existierten. Im Vorspann werden nur Gaza und das Westjordanland thematisiert, obgleich Israel 1967 auch die ägyptische Sinaihalbinsel und die syrischen Golanhöhen eroberte, wo auch Menschen leben. Gar kein Thema sind die in Israel lebenden Araber, die heute zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wiederholt stellten auch sie ein akutes „Sicherheitsproblem“ dar, indem sogar arabische Knesset-Abgeordnete wie Asmi Bischara gemeinsame Sache mit dem Feind machten. Ebenso blendet der Film den weltweiten Antisemitismus und islamistische Vernichtungsaufrufe und Träume gegen Israel aus.

Der Film enthält sogar faktische Ungenauigkeiten. Im dramatischen Ton eines historischen Nachrichtensprechers von 1967 wird da verkündet: „Plötzlich gelangten eine Million Palästinenser unter israelische Kontrolle“. Das ist eine anachronistische Formulierung, denn diese Araber wurden frühestens ab 1968 als „Palästinenser“ bezeichnet.

Die Geheimdienstchefs beklagten mit politisch gefärbter Kritik an der Regierung und dem Parlament, dass „alle“ Mitglieder eines rechtsgerichteten jüdischen Terrorrings vorzeitig begnadigt worden seien. So soll dem ahnungslosen Zuschauer weiß gemacht werden, dass die israelischen Regierungen selbst mit Verbrechern unter den Siedlern gemeinsame Sache machen. Doch auch das ist faktisch falsch. Nicht nur sitzt der Rabinmörder weiterhin im Gefängnis. Auch Ami Popper oder Jona Abrushmi, die aus politischen Motiven Araber ermordet haben, sitzen weiterhin hinter Gittern, während der Staat Israel Hunderte arabische Massenmörder, teilweise nach nur kurzer Haftstrafe freiließ, im Rahmen von Gefangenenaustauschs. Darüber fällt in dem Film kein einziges Wort.

Regisseur Dror Moreh hatte die sechs noch lebenden Geheimdienstchefs zu Pannen befragt, die in Israel längst bis ins letzte Detail diskutiert worden sind. Ein klassisches Beispiel ist die Tötung von zwei Terroristen, die einen Bus der Linie 300 entführt hatten. Beide Männer waren lebendig gefangen worden, was Pressefotos belegten. Nach ihrer Festnahme sind sie von Geheimdienstagenten ermordet worden.

Im Film werden Peinlichkeiten thematisiert, wie Soldaten, die  mangels Arabischkenntnissen während einer Volkszählung den Arabern an der Haustür erklären: „Wir sind gekommen, Euch zu kastrieren“, anstatt korrekt zu sagen: „Wir wollen euch zählen.“ Ein wenig Humor heitert so das ernste Thema ein wenig auf.

Gewiss ist es pikant, mit Geheimdienstchefs über Moral und „Grenzen der Legalität“ zu philosophieren. Andererseits ist die Masche der Geheimdienstler etwas plump, die Fehler und Missstände auf ihre ehemaligen Vorgesetzten, nämlich die jeweiligen Regierungschefs abzuschieben. Das ist billige politische Polemik, die in einem vermeintlichen „Dokumentarfilm“ nichts zu suchen haben sollte.

Natürlich ist es positiv, wenn Geheimdienstagenten über „außergerichtliche Hinrichtungen“ nachdenken.

Am Ende muss man sich fragen, was die selbstkritischen Geheimdienstchefs bezweckten, wenn sie mit ihren Vorgesetzten, den Ministerpräsidenten, abrechneten, die Pannen und eigenen Fehler hervorkehrten und dann auch noch politische Ratschläge erteilten.

Die Antwort dazu ist einfach. Die Interviewten sind heute allesamt Privatleute. Einige sind Politiker geworden. Der Film war für sie eine billige Methode, sich zu profilieren und mit Ruhm zu bekleckern. Sie haben nichts Neues erzählt und nur alte Kamellen aufgewärmt. Und weil auch die moralischen Fragen längst ausdiskutiert sind, wird der Film in Israel gar nichts bewirken, zumal er populistisch und mit billigen Mitteln seine private politische Meinung des Regisseurs hinausposaunt. Das ist sein gutes Recht und in Israel ein verbreitetes Phänomen.

Eine andere Frage ist, wie der Film im Ausland und besonders in Deutschland aufgenommen wird. Da hat allein schon der vom NDR (im Einvernehmen mit dem Regisseur) ausgewählte Titel „Töte zuerst“ dem Film eine inakzeptable politische Stoßrichtig zuerteilt.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

Alle Artikel

2 Kommentare

  1. Es muss sowohl dem Regisseur, als auch den Protagonisten von Anfang an klar gewesen sein, dass der Film in Israel und im Ausland völlig unterschiedliche Reaktionen hervorruft.
    Für uns in Israel mag er die Arbeit des Inlandsgeheimdienstes transparenter machen, als sie es in der Regel ist. Wir sind uns bewusst, dass wir diese Arbeit dringend brauchen. Jeder Erfolg des Shin bet bedeutet Sicherheit für alle (!) in Israel lebenden Menschen. Es gibt Situationen, die eines extrem schnellen Handelns bedürfen. Nur in diesen Situationen, in denen eine höfliche Befragung eines festgenommenen Terroristen zu keinem Ergebnis führen würde, wird eine drastische Befragungstechnik angewandt.
    Im Ausland, ohne das Gefühl der Bedrohung auch nur im Entferntesten zu kennen, kann man sich gemütlich auf der Couch zurücklehnen und die bereits im Kopf vorhandenen negativen Israel Bilder verstärken: „Töte zuerst!“ das klingt doch nach Rambo Methodik, das haben wir doch immer schon gewusst, nun endlich geben sie (die aggressiven und bösen Israelis) es ja selber zu!“
    Dieser Film erfüllt im Ausland keinen nachvollziehbaren Sinn, er wäre durchaus entbehrlich gewesen.

Kommentarfunktion ist geschlossen.