Die Schlammschlacht ums Präsidentenamt

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Knesset. Foto von Itzik Edri via PikiWiki - Israel free image collection project. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 2.5 über Wikimedia Commons.
Knesset. Foto von Itzik Edri via PikiWiki - Israel free image collection project. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 2.5 über Wikimedia Commons.
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„Die Wahl des neuen Präsidenten wird am Dienstag ohne Freude und ohne Würde geschehen.“ Dieses Bedauern des Knessetvorsitzenden, Juli Edelstein, ist eine Untertreibung. Noch nie hat es in Israel eine derart abscheuliche politische Schlammschlacht um ein hohes Amt gegeben.

Israel ist heute nicht korrupter als früher. Im Gegenteil. Was man damals unter den Teppich gekehrt hat, wird heute aufgedeckt und verfolgt.

Nicht nur das Rechtsempfinden hat sich gewandelt. Auch die technischen Möglichkeiten, Vergehen wie Plagiate in Doktorarbeiten per Knopfdruck aufzudecken, gibt es erst seit dem Zeitalter totaler Öffentlichkeit und des Internets. Die Enttäuschung vieler Israelis über „die“ Politiker und das Gefühl, „alle“ seien korrupt, entspricht eher der medialen Darstellung. Wie in anderen Bereichen des Lebens hat sich das Bewusstsein der Gesellschaft gewandelt, mitsamt Pressefreiheit und zensurfreien sozialen Netzen im Internet.

In der „guten alten Zeit“, nach der Staatsgründung, haben aufrechte Idealisten Vernichtungskriege der arabischen Staaten heldenhaft gemeistert. Die 600.000 jüdischen Bewohner des Staates mussten traumatisierte Überlebende des Holocaust und 800.000 jüdische  Vertriebene aus der arabischen Welt integrieren, ohne wirtschaftliche Infrastruktur. Hinzu kam der arabische Boykott. Internationale Konzerne mieden Israel. Waren, Waffen und sogar Öl mussten heimlich (aus Iran!), auf Umwegen oder unter anderen Namen importiert werden. Die arabische Absicht, Israel auf die Knie zu zwingen, hatte zur Folge, dass die Israelis fast alles neu erfinden und selber produzieren mussten. Den Lohn dafür ernten sie heute mit einer der stärksten Hightech Industrien der Welt, Startups, modernster Landwirtschaft und einer schlagkräftigen Armee, deren Erfindungsgeist Überlegenheit sichert.

Damals war Israel noch winziger als heute. Jeder kannte jeden. Man duzte sich und kam voran mit „Vitamin B“. Heute nennt man das Bestechung. Der israelische Mann war ein „Macho“. Soldaten eroberten feindliche Hügel und Betten der Frauen. Heute nennt man das „sexuellen Missbrauch“, wenn es untergebene Soldatinnen waren. Der wohl berühmteste israelische „Held“ war General Mosche Dayan. Mit seinen Soldaten machte er Raubgrabungen und sammelte „privat“ archäologische Funde. Das Israelmuseum widmete den anthropoiden Särgen aus der „Privatsammlung“ Dayans sogar eine Sonderausstellung. Heute sässe Dayan wegen Zweckentfremdung der Soldaten und Diebstahl archäologischer Funde im Gefängnis.

Was früher „Norm“ war, wird heute nicht mehr geduldet. Der israelische Rechtsstaat und die investigative Presse sind heute stärker als jemals zuvor. Die Liste erfolgreicher Strafverfolgungen der letzten Jahre ist beeindruckend. Sie hat in arabischen Ländern offenen Neid hervorgerufen. Denn dort weiss jeder, wie korrupt die Herrschenden sind, nur kann keine Macht sie stoppen. Im Fall der Palästinenser, von Jassir Arafat bis Mahmoud Abbas, wird offene Korruption von der internationalen Gemeinschaft wissentlich mitfinanziert. Ganze Dörfer der Palästinenser werden bewusst arm gehalten, um Spendengelder zu generieren.

Spitzen des Eisbergs in Israel waren der ehemalige Verteidigungsminister Itzik Mordechai und Staatspräsident Mosche Katzav. Beide wurden wegen sexueller Misshandlung und Vergewaltigung überführt. Katzav ist zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das prominenteste Opfer eines Korruptionsverfahrens war Ehud Olmert. Der einst „beste Ministerpräsident Israels“ stürzte und wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Alle Versuche, dem amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Gesetzesverstösse nachzuweisen, sind fehlgeschlagen. Einmal wurde ihm angekreidet, „Staatsgeschenke“ im Umzugsgut „mitgehen“ zu lassen. Doch weil es sich um wertlose Kelche und anderen Kitsch handelte, wurde die Akte geschlossen. Die monatlich veröffentlichten Rechnungen Netanjahus für das von ihm so geliebte Pistazieneis füllen nur die Klatschspalten.

Bei der Präsidentenwahl wurden „Saubermänner“ gesucht. Denn die Panne mit dem Sexualverbrecher Katzav im Präsidentenpalais sollte sich nicht wiederholen. Minister Silvan Schalom musste aufgeben, nachdem eine Unbekannte behauptet hatte, von ihm vor 16 Jahren sexuell misshandelt worden zu sein. Die Akte wurde wegen Verjährung geschlossen. Aber Schalom war moralisch nicht mehr tragbar.

Ein anderer Kandidat, Meir Schitrit, entkam nur knapp einem medialen Überfall. Völlig unvorbereitet traf ihn die Frage einer Moderatorin bei einem live-Interview im Fernsehen, ob er illegal seiner Putzfrau eine grössere Summe Geld übergeben habe. Schitrits Vermögen wird auf 1,2 Mio. Euro geschätzt.

Nur vier Tage vor der Wahl tauchte wie aus dem Nichts ein Verdacht gegen den altgedienten Politiker Benjamin (Fouad) Ben Eliezer auf, von einem Millionär eine „Anleihe“ für den Kauf einer Villa in Jaffo erhalten zu haben. Mit nur 20 Minuten Vorwarnzeit wurde der 78 Jahre alte Ben Eliezer noch am Freitag von der Polizei zum Verhör vorgeladen. Am Abend verzichtete er auf seine Kandidatur. Zwar „unschuldig“, solange keine Schuld nachgewiesen ist, hätte ihm das Präsidentenamt sieben Jahre „Immunität“ geboten. Kein Abgeordneter hätte ihn mehr guten Gewissens wählen können.

Einen üblen Nachgeschmack hinterlässt diese Affäre dennoch: Hat ihn etwa einer der anderen Kandidaten beim Staatsanwalt „verpfiffen“, um die eigenen Chancen zu erhöhen? Warum haben die Behörden so lange geschwiegen, obgleich Ben Eliezer die umstrittene Villa schon vor einem Jahr bezogen hat. „Entdeckte“ die Steuerbehörde wirklich erst am Freitag, dass Ben Eliezer bei einem Geldwechsler 300.000 Dollar in Schekel getauscht und nicht deklariert hat? Am Montag entdeckte die Polizei eine halbe Million Dollar Bargeld in einem Tresor Rivlins.

Am Sonntag, keine 48 Stunden vor dem Urnengang, stellte sich heraus, dass die ehemalige Lehrerin und Knessetvorsitzende Daliah Itzik zwei Wohnungen in Jerusalem und eine in Tel Aviv besitzt. Woher kamen mehrere Millionen Schekel für deren Erwerb? Nobelpreisträger Shechtman hat laut Medienberichten 1.8 Millionen US-Dollar auf seinem Konto. Ex-Oberrichterin Daliah Dorner hingegen lebt in einer alten Wohnung und fährt ein 10 Jahre altes Auto. Befähigt sie das etwa, gute Präsidentin zu werden?

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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