
Der Nationalrat und ehemalige Präsident der Grünen Partei Schweiz Balthasar Glättli hat Ende Jahr eine asylpolitische Programmschrift veröffentlicht. Das Büchlein mit dem Titel «Es kommen die Richtigen» bietet woken Gesinnungsethikern wertvolle Impulse zur Verteidigung ihrer Open-Borders-Politik. Das macht es vor allem für Frauen, Juden und Homosexuelle zu Bad News – und zwar umso mehr, als die bürgerlichen Gegner von «Open Borders» intellektuell zu träge sind, Glättli überzeugend Paroli zu bieten.
«Hetze gegen Migrant:innen und ganz besonders gegen Flüchtlinge», steht gleich im ersten Satz von Glättlis Werk geschrieben, «ist allen Rechtsaussen-Parteien gemeinsam». Damit ist die Ton- und Preislage für das ganze Büchlein gesetzt. So unterstellt Glättli allen, die befürchten, dass die unkontrollierte Einwanderung von Scharia-Jungmännern die westliche Gesellschaft destabilisieren könnte, eine «religiös und kulturalistisch geprägten Angst vor ‹Überfremdung›». Und wer wie die SVP meint, es kämen zu viele und die Falschen in den Asylprozess, dem diagnostiziert er «den Nachhall des Echos der Schweizer Flüchtlingsabwehr während des Zweiten Weltkriegs.»
Dieser Emotivismus – die Strategie, jegliche Kritik auf die Bos- oder Geistesgestörtheit der Kritiker zurückzuführen – macht es Glättli möglich, sich einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Argumenten für eine härtere Asylpolitik zu entziehen. Ist die Forderung nach Grenzkontrollen keine politische Position, sondern Teil eines psychiatrischen Krankheitsbilds, kann schliesslich kein Ausmass von Migrantenkriminalität ein Grund sein, ihr nachzukommen. Dementsprechend versucht Glättli gar nicht erst, die sexuelle Gewalt, die Terrorgefahr, den Antisemitismus und den Schwulenhass aus dem Scharia-Asylmilieu schönzureden – er lässt sie ganz einfach unerwähnt.
«Es wurden die Richtigen exekutiert»
Seine steile These, wonach «die Richtigen kommen», stützt Glättli auf einen Verweis auf die sogenannte Schutzquote. «Die Schutzquote», schreibt er, «welche Asyl- und vorläufige Aufnahme zusammenfasst, zeigt, ob die Richtigen, ob tatsächlich schutzbedürftige Menschen Schutz suchen oder nicht.» Die so definierte Quote lag im letzten Jahrzehnt offenbar durchschnittlich bei 75 Prozent. Das ist für Glättli der Beweis dafür, dass die Richtigen kommen.
Hierzu sind drei Dinge zu sagen. Erstens kommen bei 40’000 Asylgesuchen pro Jahr und einer «Richtigen»-Quote von 75 Prozent immer noch jährlich 10’000 Falsche ins Land. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bataclan-Terrorzelle inklusive Helfershelfer gut 30 Personen umfasste, ist «Open Borders» also selbst von Glättlis eigenem Gärtchen aus betrachtet absolut verantwortungslos. Zweitens handelt es sich bei der Kategorie der «Vorläufig Aufgenommenen» um einen Behördeneuphemismus für Abgewiesene, die nicht ausgeschafft werden können. Wer sie zu den «Richtigen» zählt, legt dementsprechend eine gewisse Originalität an den Tag. Und drittens ist es so oder so absurd, staatliches Handeln mit kontextlosen Verweisen auf staatliche Quoten zu rechtfertigen. Das Stalin-Regime war sehr darauf bedacht, aus jedem Polit-Angeklagten eine Selbstbezichtigung herauszufoltern. Aus der hundertprozentigen Geständnisquote zu folgern, es seien die Richtigen exekutiert worden, ist nicht abenteuerlicher als Glättlis Schutzquote-Beweisführung.
Noch mehr Chaos wagen
Gemäss Glättli hat «Open Borders» keine Nachteile für die örtliche Bevölkerung. Ausserdem zieht es auch keine falschen Leute an. Was also könnte näher liegen als Vorschläge für eine noch laxere Asylpolitik? Als Sofortmassnahmen schweben Glättli mehr Dublin-Selbsteintritte, mehr humanitäre Visa auf Botschaften und mehr Kontingentsflüchtlinge vor. Weiter fordert er neue Gesetze. Unter anderem soll ein «einheitlicher humanitärer Schutzstatus» und die «kollektive Regularisierung» abgewiesener Asylbewerber eingeführt werden.
In jeder Partei gibt es erfolgsorientierte Pragmatiker und ideologiegetriebene Radikale. Glättli gehört zu Letzteren. Keine seiner «Noch mehr Asylmigration»-Ideen ist gegenwärtig auch nur im Ansatz mehrheitsfähig. Ganz im Gegenteil: Sie beweisen, wie wenig Glättli in der Lage ist, den politischen Puls der Zeit zu spüren. Was die Offensive betrifft, also die Realisierung linksgrüner Forderungen in der Asylpolitik, wird sein Büchlein wenig Wirkung erzielen.
Glättlis Stärke ist die Schwäche seiner Gegner
Ganz anderes sieht es in der Defensive aus. Bei der Verhinderung von bürgerlichen Verschärfungen – und ganz besonders der SVP-Grenzschutzinitiative –, kann «Es kommen die Richtigen» auch mit einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren wertvolle Dienste leisten. Dies ganz einfach darum, weil es zwar keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den sicherheitspolitischen Rechten und den humanitären Pflichten der Schweizer bietet, aber als solche daherkommt.
Gemäss Glättli ist die Geschichte der Schweizer Asylpolitik die Geschichte eines Schwarzweiss-Kampfes zwischen linksgrünen Anständigen und bürgerlichen Fremdenfeinden. Die Auswahl und der Umgang mit der zitierten Fachliteratur ist tendenziös. Und Antisemitismus kommt nur im Kontext der Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs vor – nicht aber im Zusammenhang mit der islamistischen Einwanderung von heute. Mit anderen Worten: Müsste seine Abhandlung gegen eine sauber verfasste bürgerliche Gegendarstellung bestehen, hätte sie schlechte Karten.
Aber genau das muss sie eben nicht. Insbesondere die SVP scheint ausserstande zu sein, zu verstehen, wie moralisch aufgeladen asylpolitische Fragen sind. In ihrem über fünfzig Seiten langen Argumentarium für die Grenzschutzinitiative fehlt nicht nur jegliche Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sowie den eigenen Rechten und Pflichten: Auch Verweise auf wissenschaftliche Literatur zum Thema finden sich keine.
Vor diesem Hintergrund braucht Glättlis Büchlein vermutlich bloss von einigen Dutzend Schlüsselpersonen in linksgrünen Parteien, Medien, NGO und Minderheitenverbänden gelesen zu werden, um einen wesentlichen Effekt auf den asylpolitischen Diskurs zu entfalten. Denn egal, wie schablonenhaft und pseudowissenschaftlich seine Abhandlung ist: Wer auf ihrer Basis argumentiert, erweckt wenigstens auf den ersten Blick den Eindruck, als ob seine politische Position das Resultat einer ernsthaften intellektuellen Beschäftigung mit der Asylfrage sei. Gegen Parteien und Komitees, die diesen Eindruck nicht erwecken können (und zum Teil vielleicht nicht einmal wollen), verschafft einem das einen unschätzbaren Vorteil. Unter den Blinden ist der Einäugige bekanntlich König.
Für den Kampf gegen bürgerliche Verschärfungen der Asylpolitik – und insbesondere gegen die Grenzschutzinitiative – hat Glättli mit seinem «Es kommen die Richtigen» einen nützlichen Beitrag geleistet. Das ist gut für die linksgrünen «Open Borders»-Ideologen – und schlecht für Frauen, Juden, Homosexuelle und alle anderen, deren Freiheit und Sicherheit durch die unkontrollierte Asyleinwanderung aus Scharia-Hotspots gefährdet wird.