Beim Nahost-Chaos geht es nicht um Siedlungen

1
Die Siedlung Beitar Ilit, Foto Yoninah. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 2.5 via Wikimedia Commons.
Lesezeit: 3 Minuten

Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater von Jimmy Carter, sagte kürzlich in einem Interview, dass die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland der primäre Grund für die Instabilität im Nahen Osten sei.

Der Glaube, dass der Abbau der Siedlungen – sogar wenn man glaubt, diese seien ein strategisches und moralisches Desaster für Israel – einen liberal aufgeklärten Nahen Osten mit sich bringen würde, birgt Gefahr. Die Gefahr ist analytischer Natur: Wenn man nicht versteht, woran der Nahe Osten kränkelt, wie kann man das Problem dann beheben?

Brzezinski sagte, dass Präsident Obamas „fehlendes Rückgrat“ und Benjamin Netanyahus Uneinsichtigkeit beim Thema Siedlungen, „in bedeutendem Masse zum allgemeinen Durcheinander beigetragen haben, das wir nun im Nahen Osten haben.“

Betrachten wir den heutigen Nahen Osten anhand einiger Phänomene, die einleuchtend illustrieren, dass er „ein allgemeines Durcheinander“ ist, ohne dass dafür die Siedlungsfrage verantwortlich wäre.

1. Spannungen wegen Irans Nuklearprogramm. Nicht jüdische Siedlungen haben die iranische Führung dazu bewegt, die Infrastruktur für ein nukleares Waffenprogramm aufzubauen. Regionale Ambitionen, die Angst vor einer amerikanischen Vorherrschaft, der Wunsch ein Gegengewicht zu Saudi Arabien und Opposition zu Israels Existenz (im Gegensatz zur Siedlungspolitik) zu sein, habe allesamt zur iranischen Entscheidungsfindung in der Nuklearpolitik beigetragen.

2. Der syrische Bürgerkrieg, in dem bisher mehr als 100‘000 Menschen getötet worden sind. Die syrische Katastrophe lässt sich nicht auf die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland oder Obamas Versagen, diese herauszufordern, zurückverfolgen.

3. Die flächendeckende Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten, die sich in Gewalt und Chaos nicht nur in Syrien, sondern auch im Libanon, in Bahrain, Irak und jenseits des Nahen Ostens in Pakistan manifestiert. Dies Spaltung scheint nicht durch Siedlungen ausgelöst worden zu sein.

4. Anhaltende politische Instabilität und Gewalt in Ägypten. Der Sturz des früheren Präsidenten Hosni Mubarak wurde nicht von Präsident Obamas Versagen, die Siedlungen anzugehen, ausgelöst. Auch der anschliessende Coup gegen Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft wurde nicht von den Siedlungen provoziert.

5. Libyens Niedergang ins Gangstertum und Chaos. Die Siedlungen waren nicht Auslöser für den Bürgerkrieg, der zur Amtsenthebung und dem Tod von Muammar Gadhafi führte. Auch nicht für den tödliche Angriff auf das amerikanische Konsulat in Benghazi. Schwer vorstellbar, wie ein Siedlungsstopp im Westjordanland Libyen stabilisieren könnte.

6. Die Ausbreitung mit Al-Qaida verbundener und von ihr inspirierten Gruppen von Somalia bis Jemen, Syrien und Pakistan. Siedlungen haben  nicht „bedeutend“ zu anhaltenden Al-Qaida Aktivitäten beigetragen. Man könnte dagegenhalten, dass die Existenz eines jüdischen Staates im Nahen Osten einer der vielen Quellen der Wut für Al-Qaida Sympathisanten ist. Doch ein Siedlungsstopp statt der Eliminierung Israels als Staat würde keinen Einfluss auf die Ansichten radikal sunnitischer Terroristen haben.

7. Die Verfolgung von Christen in Dutzenden Ländern der muslimischen Welt, die schliesslich zur Eliminierung dieser uralten Gemeinden führen wird. Diese Verfolgung wurde nicht von Netanyahus Renitenz in Sachen Siedlungen verursacht.

Und so weiter. Ich unterliess es, Themen wie Schreib- und Lesefähigkeit, Wasserknappheit, Korruption, Bildungsstillstand, Folter und die Unterdrückung von Meinungsfreiheit, zu erwähnen, die allesamt zur Instabilität im Nahen Osten beitragen. Dass angesehene aussenpolitische Denker wie Brzezinski dazu bereit sind, den jüdischen Staat zum Sündenbock für Probleme zu machen, die er nicht verursacht hat, ist kurzsichtig und gefährlich.

Zusammenfassung der Originalversion: Middle East Mess Isn’t About Settlements by Jeffrey Goldberg © Bloomberg, December 2, 2013.

1 Kommentar

  1. Immer wieder erstaunlich, wie schnell der gesunde Menschenverstand aussetzt, wenn es um Israel und speziell um die Siedlungsfrage geht. Deshalb vielen Dank für diesen aufschlussreichen und ins rechte Licht rückenden Beitrag.

Kommentarfunktion ist geschlossen.