Wo Assad noch Liebling ist

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Scheifa Abu Jabal Foto: Gil Yaron

Ein Jahr nach Beginn der Unruhen in Syrien herrscht Unklarheit: Wie beliebt ist Präsident Baschar Assad tatsächlich? Welche und wie viele Syrer stehen hinter dem Aufstand, der Assads Kopf fordert? Unabhängige Beobachter erhalten keinen Zugang ins syrische Kernland, doch ein Besuch bei den syrischen Bewohnern auf den von Israel besetzten Golanhöhen gibt einen seltenen Einblick darauf, welche Faktoren das Regime Assads am Leben erhalten.

Seitdem Scheifa Abu Jabal vor einem Jahr ihre Meinung über Syriens Präsident Baschar Assad kundtat, lebt sie in Angst. Dabei wohnt sie in Israel, „ein Staat mit vollkommener Rede- und Meinungsfreiheit“, sagt Scheifa. Trotzdem zahlt die 26 Jahre alte Juristin einen schweren Preis für die Offenheit, mit der sie Syriens Diktator kritisiert. Scheifa ist Drusin, eine von rund 20.000 syrischen Bewohnern der Golanhöhen, die im Sechs-Tage Krieg 1967 von Israel erobert wurden. Die Drusen befinden sich seither unter israelischer Herrschaft, sehen sich aber als „stolze, treue, arabische Bürger des teuren syrischen Vaterlands“ und halten unmissverständlich zu „ihrem“ Präsidenten.

Foto: Gil Yaron

Rund zwanzig Vertreter der syrischen Drusen haben sich an einem regnerischen Tag in einer grossen Halle im Dorf Buqata versammelt. Sie wollen ausländischen Journalisten das „wahre“ Bild Syriens zeigen, ihre Version der Ereignisse, die laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen im vergangenen Jahr rund 10.000 Menschenleben forderten. Hunderte Videos von Soldaten, die auf Demonstranten schiessen, von Folter, Artilleriebeschuss und Gewalt überzeugen hier niemand: „Alles erstunken und erlogen“, wettert Jadel Karim Fares Nasser, ein Bauer aus Buqata: „Wir wären die ersten, die gegen Assad demonstrieren, wenn er sein eigenes Volk tötete“, sagt er, und erhält Beifall. Der kalte Saal ist mit syrischen Flaggen und Postern von Baschar Assad geschmückt: „Wir loben die weise Führung von Baschar Assad und schätzen all die Dinge, die er für uns tut“, fährt Nasser fort, und die Anwesenden klatschen wieder in begeisterter Zustimmung.

Eine Rebellion des syrischen Volkes gegen Assad? Undenkbar: „Es ist keine Revolution des Volkes, sondern eine ausländische Verschwörung mit der Absicht, die arabische Welt in kleine Staaten aufzuteilen, um sie zu schwächen. Syrien soll viergeteilt werden“, sagt Hayel Sharaf, ein Bauer aus dem Dorf Ein Kiniyah. „Syrer kämpfen nicht gegen das Regime, sondern Ausländer aus Libyen, Türkei, ja auch aus Frankreich. Die syrische Armee mischt sich nur ein, wenn die Bürger sie um Hilfe gegen bewaffnete Banden bitten. Die syrische Armee tötet Menschen nicht einfach so“, sagt er mit ehrlicher Entrüstung.

Also keine blutrünstiger Diktator, wie man im Westen meinst, sondern eine Verschwörung „der USA, Israels, der Arabischen Liga und internationaler Medien, die Assad stürzen wollen“, behaupten mehrere Männer einhellig. „Das ist Rache für seine Rede von 2006, als er die Führer der arabischen Welt nach dem zweiten Libanonkrieg als „halbe Männer“ bezeichnete, weil sie nicht in den Krieg gegen Israel eintraten“, sagt Nasser, und die Runde nickt. Assad solle sterben, weil er gegen Israel kämpfe.

„Der syrische Staat und Baschar Assad sind für viele hier ein und dasselbe“, sagt die junge Scheifa, die versucht, ihrer Gemeinde eine andere Realität zu zeigen. Selbst hier in Israel, wo kein Syrer Angst vor Assads Schergen haben muss, stelle die Opposition „nicht mehr als 15% der Bevölkerung dar“, sagt Scheifa. Es seien hauptsächlich „junge und gebildete Menschen, die es wagen, sich auch die andere Seite anzuhören. Die ältere Generation und die religiöse Führung fürchten um ihre Vormachtstellung. Sie bekämpfen uns.“ Scheifas Mitstreiter berichten von sozialem und religiösem Druck, auch physischer Gewalt. „Man wollte uns mit einem Bann belegen. Wir haben viele Freunde verloren“, sagt Scheifa.

Angst spielt deswegen bei manchem Fahneneid eine Rolle. Rund 280 Drusen vom Golan studieren in Damaskus, viele Familien haben Verwandte jenseits der Grenze: „Der syrische Geheimdienst hat drusische Studenten vorgeladen und davor gewarnt, an Protesten teilzunehmen“, sagt Scheifa. Ihre Verwandten in Syrien baten sie, Proteste gegen Assad einzustellen, weil sie bedroht worden seien. Doch oft handle es sich nicht bloss um Furcht: „Es wird oft unterschätzt, dass das Assad Regime vielen Syrern gut getan hat“, sagt Professor Mosche Maos, Syrien-Experte an der Hebräischen Universität von Jerusalem. „Seine Landreformen halfen armen Bauern, er schuf einen neuen Mittelstand.“ Der säkulare Charakter Syriens böte religiösen Minderheiten Sicherheit: „Sie fürchten sich vor einem intoleranten sunnitischen Gottesstaat, und sehen, dass Assads Verteidigungsminister ein Christ ist“, sagt Maor. Farhat, ein 64 Jahre alter Bauer aus Buqata, spiegelt diese Ängste wider: „Al Qaeda und die Golfstaaten finanzieren den Krieg in Syrien. Die wollen einen islamischen Staat und uns vergessen machen, dass wir alle Araber sind“, sagt er.

Jenseits der Angst und schmaler Interessen ist die Unterstützung für Assad bei manchen eine Sache tiefer Überzeugung: „Sie glauben tatsächlich, dass Assad ein Opfer ist. Sie erhalten ihre Informationen vom syrischen Staatsfernsehen oder vom Sender der libanesischen Hisbollahmiliz. Westliche und arabische Satellitensender gelten als verlogene Agenten fremder Interessen“, sagt Scheifa.

„Assad ist der beste Führer der Welt“, sagt Farhat. „Er ist der stärkste Mann Syriens und der einzige, der Reformen umsetzen kann. Syrer wollen eine echte Regierung, keinen islamischen Familienbetrieb wie in den arabischen Golfstaaten. Was erzählen die uns Syrern von Demokratie? Dort dürfen Frauen doch nicht einmal Auto fahren!“

Ein Jahr nach Beginn der Unruhen zeigt ein Besuch in den Golanhöhen, dass der Aufstand in Syrien ein komplexeres Phänomen ist als die Berichte vom blutrünstigen Diktator, der ein ganzes Volk unterdrückt, erahnen lassen.

Über Gil Yaron

Dr. Gil Yaron ist Buchautor, Dozent und Nahostkorrespondent der Tageszeitung und des Fernsehsenders WELT, sowie der RUFA, der Radioabteilung der dpa. Er schreibt ebenso für die Straits Times in Singapur, und arbeitet als freier Analyst in zahlreichen Fernsehsendern.

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1 Kommentar

  1. Naja, das in Syrien hat sich doch auch zum Familienbetrieb entwickelt, Baschar hat das Amt mitsamt Beraterstab von Papa geerbt… In jeder Dikatur gibt es bevorzugte Gruppen, die sich mit den Herrschenden arrangieren und dafür ein recht angenehmes Leben haben. Wenn es aber der Mehrheit der Bevölkerung schlecht und immer schlechter geht, kann man dieser keine Sympatien erwarten. Ob der Frau wohl bekannt ist, dass in Syrien schon lange systematisch gefoltert wurde, dass Oppositionelle oder auch einfache Leute, die mal einen politischen Witz erzählt haben, einfach verschwanden?? Die Lage der einfachen Bevölkerung in Syrien hat sich in den letzten Jahren so verschlechtert, dass der Aufstand nur die logische Folge ist.

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