Worauf man nicht länger herumreiten sollte

0
Lesezeit: 5 Minuten
Benjamin Netanyahu (li.) und Mahmud Abbas (re.)

Wie lange kann man eigentlich auf einem toten Pferd herumreiten? Der Friedensprozess ist bereits vor einigen Jahren gestorben; und es wäre einfach nur menschlich, ihn in Frieden ruhen zu lassen. Es ist doch wirklich zweifelhaft, ob gerade jetzt über eine Wiederbelebung nachgedacht werden sollte, wo das Weiterbestehen des Friedens mit Ägypten und Jordanien unsicher scheint, die palästinensischen Wahlen auf eine mögliche Hamas-Übernahme im Westjordanland hindeuten und der Ministaat der Hamas in Gaza den israelischen Albtraum bereits verkörpert.

Doch Frieden mit den Palästinensern, einschliesslich des Abzugs aus einem Grossteil des Westjordanlandes, ist kein Gefallen, den Israel ihnen tun würde, sondern dessen lebensnotwendiges Eigeninteresse. Der zionistische Traum als Ganzes, der Traum eines jüdischen und demokratischen Staates, ist zunehmend in Gefahr. Jeder zusätzliche Siedler erschwert ein endgültiges Abkommen, und irgendwann wird eine realistische Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr umzusetzen sein. Auch wenn Israel in einem endgültigen Abkommen nur die Siedlungsblöcke beibehält, die etwa vier bis sechs Prozent des Territoriums ausmachen, müssten mehr als 60.000 Menschen umgesiedelt werden – ein Unternehmen, das durchzuführen immer bedenklicher wird.

In ihrer Blindheit für die demografische Wirklichkeit bereitet die zionistische Rechte den Boden ihrer eigenen Selbstzerstörung. Genauso fehlsichtig ist die Tendenz der zionistischen Linken, das Versagen des Friedensprozesses einzig und allein Israel zuzuschreiben, statt sich auf die Hauptursache zu konzentrieren: die andauernde palästinensische Weigerung nämlich, Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anzuerkennen und einzusehen, dass es einen palästinensischen Staat nur neben Israel geben kann, nicht statt dessen. Es war der Pragmatismus des Zionismus, der ihm zu seinem gewaltigen Erfolg als Nationalbewegung verholfen hat und der im Gegensatz zur Sturheit steht, die zum völligen Versagen der palästinensischen Nationalbewegung führte. Es ist an der Zeit, zu unseren Wurzeln zurückzukehren.

Zu Recht hat Israel jahrelang behauptet, dass die palästinensische Wiedervereinigung eine Voraussetzung für ein endgültiges Abkommen ist, doch die extremistische Hamas ist kein Gesprächspartner, zumindest nicht in absehbarer Zukunft. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu jedoch hat sich selber falsch positioniert, so dass keiner glaubt, sein Widerstand gegen die Wiedervereinigung sei nur ein Vorwand, weitere Gespräche zu verhindern. Vielmehr sollte er immer und immer wieder die Voraussetzungen hervorheben, unter denen ein Dialog mit der voraussichtlichen neuen palästinensischen Regierung möglich wäre – beispielsweise, wenn diese die Bedingungen des Nahost-Quartetts erfüllt.

Netanyahu hat Recht, wenn er sagt, dass die Palästinenser sich weigerten, Verhandlungen zu führen und seinen zehnmonatigen Baustopp 2009 lediglich dazu nutzen, Zeit zu gewinnen. Doch statt weitere Zugeständnisse hinsichtlich der Siedlungen abzulehnen – warum nicht erneut die Palästinenser in die Pflicht nehmen und einen israelischen Schritt vorschlagen? Zum Beispiel könnte Israel einen Baustopp initiieren – Siedlungsblöcke und Jerusalem ausgenommen; ein solcher Schritt würde Israel seitens der USA und anderen grosses Verständnis entgegenbringen. Sein Vollzug könnte davon abhängig gemacht werden, dass es beiden Seiten gelingt, einen vorher festgelegten Meilenstein der Verhandlung zu erreichen.

Mit Recht sieht Israel in einer Zeit der regionalen Turbulenzen weiteren Zugeständnissen mit Furcht entgegen, und es sollte die Zeit nutzen, seinen Anspruch auf stringente Sicherheitsabsprachen zu stärken. Netanyahus Problem jedoch war es bisher immer, dass er es zu weit getrieben hat. Weil er zu allem Nein sagt, verliert er schliesslich sogar Unterstützung in den Bereichen, in denen Israel internationales Verständnis erlangen könnte.

Präsident Mahmud Abbas auf der anderen Seite erweist sich wie der verstorbene Jassir Arafat als diplomatischer Houdini – als Meister, sich allen Situationen zu entziehen, die zu einem Abkommen führen könnten. Sich an die Vereinten Nationen zu wenden, ist vielleicht ein PR-Erfolg, aber es führt nicht zu einem Abkommen. Dafür müssen Palästinenser mit Israel reden und nicht mit der internationalen Gemeinschaft, und sie müssten sich mit der Wahrheit auseinandersetzen, dass auch sie schmerzhafte Kompromisse eingehen müssen.

Entweder war es töricht, Olmerts Angebot von 2008 abzulehnen, genau wie Arafat das von Ehud Baraks  im Jahr 2000 – oder ein Anzeichen dafür, dass es im Hintergrund viel bösartigere Absichten gibt.  Dass sie sich 64 Jahre nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung weigern, Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anzuerkennen, ist ein zutiefst besorgniserregender Hinweis auf den Widerwillen der Palästinenser, eine wahre Aussöhnung zu erzielen; zudem nährt diese Weigerung Israels Angst, es ginge bei den Verhandlungen nicht um die Grenzen von 1967, sondern um die von 1948. Wenn Mahmud Abbas es mit einem Abkommen ernst meint, muss er sein Volk auf die schmerzhafte Realität vorbereiten, die zwar schon lange von palästinensischen Unterhändlern anerkannt ist, die offen auszusprechen aber noch kein palästinensischer Führer bisher den Mut hatte: dass sich das „Rückkehrrecht“ auf den zukünftigen palästinensischen Staat beschränken wird.

Der beste Weg nach vorne sei, die Aspekte des Territoriums und der Grenzen zu besprechen, meinen einige; sie nehmen an, dass diese einfacher zu lösen sind und das Thema der Siedlungen miteinschliessen. Doch natürlich stehen alle Kernthemen in einem engen Zusammenhang miteinander und sollten als Teil eines Gesamtpaketes angesprochen werden.  Keine Seite wird wichtige Zugeständnisse in diesen Punkten machen, ohne die Umrisse eines endgültigen Abkommens für den Anderen zu kennen. Israel kann es sich mit Sicherheit nicht leisten, territoriale Zugeständnisse zu machen, ohne zu wissen, zu welchen Zugeständnissen die Palästinenser im Hinblick auf die Flüchtlinge und Jerusalem bereit sind.

Für eine Lösung des Konflikts ist eine zwei-Staaten-Lösung die einzige Grundlage und muss es bleiben. Auch wenn ein massgeblicher Fortschritt in absehbarer Zukunft nicht realistisch scheint, könnten die Führer auf beiden Seiten doch einen wichtigen Schritt unternehmen, um diese Lösung lebendig zu halten und die Aussichten für die Zukunft zu verbessern.

Published 20/2/2012 © bitterlemons.org

Chuck Freilich war stellvertretender Berater für nationale Sicherheit in Israel. Zur Zeit ist er senior fellow an der Harvard University’s Kennedy School.

Originalversion: AN ISRAELI VIEW Beating a dead horse by Chuck Freilich © bitterlemons.org, February 20, 2012 Edition 7. This week’s edition is on: Abbas’ options, Netanyahu’s options

Articles in this edition • Obama’s options are important, too – Yossi Alpher • Rapidly dwindling avenues to peace – Ghassan Khatib • Beating a dead horse – Chuck Freilich • Between two hells – Issa Samandar