Wie das Schweizer Fernsehen für die UNRWA lobbyierte

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RTS-Studio in Genf. Bild: IMAGO / Dreamstime
Lesezeit: 4 Minuten

Der SRG-Sender RTS warf dem EDA jüngst vor, eine interne Evaluation geheim zu halten, wonach die Streichung der UNRWA-Gelder Völkerrecht verletze. Das EDA bestreitet diese Darstellung. Eine vertiefte Untersuchung zeigt: Das Schweizer Fernsehen hat Informationen unterschlagen. Zudem wurde mit der Veröffentlichung zugewartet, bis man politisch daraus Kapital ziehen konnte.

Am 11. November veröffentlichte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) eine aussergewöhnliche Stellungnahme. In dieser kritisierte es den französischsprachigen SRG-Sender Radio Télévision Suisse (RTS) für einen Beitrag in der Tagesschau des Vorabends. Darin berichtete der Sender aus der Romandie, dass das EDA ein sensibles Dokument der aussenpolitischen Kommission vorenthalten habe. Der angeblich brisante Inhalt des Dokuments: Die EDA-Direktion für Völkerrecht sei in einer Abklärung zum Schluss gekommen, dass die Aussetzung der Gelder an das umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA möglicherweise Völkerrecht verletze. Die Schweiz riskiere, so der Tenor des Beitrags, vor dem Internationalen Gerichtshof zu landen.

EDA verbreitet Spekulationen per Mail

Es sind schwere Vorwürfe, die RTS in dem Beitrag erhebt. Zur Erinnerung: Nachdem immer deutlicher geworden war, dass die UNRWA mit der Hamas eng verbunden ist und sich mindestens zwölf UNRWA-Mitglieder an den Massakern vom 7. Oktober beteiligt hatten, sistierte der Bundesrat die UNRWA-Zahlungen – bis heute.

Audiatur-Online liegt das Dokument vor, auf das sich RTS stützt. Es handelt sich um eine provisorische Einschätzung der Direktion für Völkerrecht. Diese wurde im Februar 2024 intern per Mail verschickt, nachdem der Internationale Gerichtshof (IGH) entschieden hatte, eine Klage Südafrikas gegen Israel wegen Völkermords zuzulassen. Darin wird tatsächlich darüber spekuliert, ob die Sistierung der UNRWA-Gelder eine «Verletzung … gegen die Völkermordkonvention darstellen könnte.» Beim Mail handelte es sich im Gegensatz zur RTS-Darstellung aber um einen ersten Denkanstoss und keine Abklärung. Es wird sogar eingeräumt, es sei noch «unklar …, ob dieses Argument einer vertieften Prüfung standhalten könnte.»

Eine andere Frage ist, ob es von Seiten EDA angebracht ist, solche Spekulationen überhaupt per Mail in Umlauf zu setzen, selbst wenn sie an ein internes Publikum gerichtet sind.

Schweizer Fernsehen betreibt Thesenjournalismus

Jedenfalls widersprach das EDA in seiner Stellungnahme der RTS-Darstellung vehement. Wichtige Informationen, die die Grundlage für eine andere Interpretation des Dokuments lieferten, seien von RTS im Beitrag unterschlagen worden. So entschied RTS, das Interview mit Botschafter Franz Perrez, dem Direktor der Direktion für Völkerrecht und damit Hauptsachverständigen, in seinem Tagesschau-Beitrag nicht einmal zu senden: 

«Im Interview vom 8. November 2024 mit RTS machte Franz Perrez deutlich, dass die Direktion für Völkerrecht in der Evaluation zu Schluss kam, dass eine Einstellung der UNRWA-Unterstützung keine Verletzung der Schweizer Verpflichtung nach der Völkermord-Konvention darstellen würde.»

Erst nach der Intervention des EDA wurde das Interview mit Perrez auf die Webseite von RTS und SRF, das den Beitrag übersetzt hatte, hochgeladen. Die meisten Zuschauer der Tagesschau dürften es nie zu Gesicht bekommen.

Streichung der UNRWA-Gelder verletzt kein Völkerrecht

Tatsächlich hatte das EDA die Frage, ob die Schweiz mit der Sistierung des UNRWA-Beitrags Völkerrecht verletzten könnte, zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der «Recherche» schon längst beantwortet. In seiner Antwort auf eine Interpellation von Nationalrat Nicolas Walder (Grüne, GE) schrieb der Bundesrat am 14. August:  «Das humanitäre Völkerrecht sieht … keine Verpflichtung zu einem finanziellen Beitrag an eine bestimmte Organisation vor, um auf eine humanitäre Notsituation zu reagieren oder bestimmte humanitäre Einsätze zu unterstützen.»

Kurz: Rechtlich steht der Streichung der UNRWA-Gelder nichts im Wege.

Kampagne für die UNRWA

Obwohl das Schweizer Fernsehen gesetzlich zur Sachlichkeit verpflichtet ist, wurden in diesem Fall offenbar störende Fakten bewusst weggelassen, um ein falsches Narrativ zu erschaffen. Die Unterstellung: Die Schweiz riskiert mit der Streichung der UNRWA-Gelder einen Prozess vor dem internationalen Gerichtshof und lässt darüber die Parlamentarier im Dunkeln. Daran ist nichts wahr.

Der Beitrag war vielmehr Teil einer Kampagne gegen die endgültige Streichung der UNRWA-Gelder, die der Nationalrat am 9. September beschloss. Dieser Entscheid überraschte damals nicht nur die Befürworter.  Er schockierte und mobilisierte auch UNRWA-Befürworter und Israel-Gegner im In- und Ausland.

Strategisch gewählter Veröffentlichungstermin
Wie das EDA auf Anfrage bekannt gab, war das interne Mail bereits im Juli 2024 durch ein Zugangsgesuch einer Privatperson öffentlich geworden. Aus Persönlichkeitsgründen darf diese Person nicht genannt werden. Wann das Dokument in die Hände des verantwortlichen RTS-Redaktors gelangte, kann nicht abschliessend erklärt werden. RTS hat bis jetzt zum jetzigen Zeitpunkt keine Anfragen beantwortet.

Klar ist jedenfalls: Man wartete vier Monate zu, um das Dokument zu einem geschickt gewählten Zeitpunkt zu veröffentlichen und maximale politische Wirkung zu erzielen. 10 Tage nach Ausstrahlungstermin tagte die Aussenpolitische Kommission des Ständerats, die über mehrere Vorstösse zur Zukunft der UNRWA-Gelder zu entscheiden hatte. Sie gab den Beeinflussungsversuchen schliesslich nicht nach und vertagte den Entscheid, ob die Schweiz auch zukünftig die UNRWA unterstützen soll (s. Medienmitteilung).

Ist die SRG ein politischer Akteur?

Beim EDA betrachtet man den Vorfall als gravierend und keineswegs als erledigt. Man sei weiterhin im Gespräch mit RTS. Das Verhalten der SRG wirft erneut die Frage auf, inwieweit die öffentlich-rechtlichen Medien nicht nur Berichterstattung betreiben, sondern aktiv ins politische Geschehen eingreifen.

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Über Daniel Rickenbacher

Daniel Rickenbacher ist promovierter Historiker und arbeitet in der Analyse und Politikberatung. Er studierte Geschichte, Politik und Religion und forschte an der Universität Basel, der Ben Gurion Universität, der Concordia Universität in Montreal und an der Militärakademie an der ETH.

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