„Frieden“ – Sehenswerte Mini-Serie aus der Schweiz auf Arte

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Carl Frei und Johann Leutenegger an der Grenze.| Foto SRF/Sava Hlavacek
Carl Frei und Johann Leutenegger an der Grenze.| Foto SRF/Sava Hlavacek
Lesezeit: 7 Minuten

Sechsteilige Miniserie über drei junge Menschen in der Schweiz, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor schwierigen Herausforderungen stehen.

von Irene Genhart (KNA)

Die Miniserie des Schweizer Fernsehens erzählt, auf Tatsachen beruhend, wie kurz nach Kriegsende, als jüdische Kinder und Jugendliche aus dem KZ Buchenwald zur Erholung im Land weilen, deutsche Kriegsverbrecher die Schweiz als Fluchtweg in die Freiheit benutzen. Im Zentrum des Dramas stehen der Schweizer Bundesbeamte Egon, der sich in die Jagd nach ebensolchen Verbrechern verbeisst, sein jüngerer Bruder Johann, der die in Schieflage geratene Tuchfabrik seines Schwiegervaters zu retten versucht, und Johanns Frau Klara, die sich um die Kriegswaisen kümmert.

Die Schweiz kurz nach Kriegsende 1945. Derweil man sich in den umliegenden Staaten ans Aufräumen macht, sucht man in der Schweiz den Weg zurück in die Normalität. Der 32-jährige Egon Leutenegger (Dimitri Stapfer) kehrt nach fünf Jahren Grenzeinsatz im Tessin zurück in sein Büro bei der Bundesanwaltschaft in Bern. Sein jüngerer Bruder Johann Leutenegger (Max Hubacher) heiratet endlich seine Jugendfreundin Klara Frey (Annina Walt) und steigt als designierter Nachfolger in die Tuchfabrik seines Schwiegervaters Alfred Tobler (Urs Bosshardt) ein. Klara sollte sich auf Geheiss ihrer Mutter auf die Hochzeit und ihre künftige Rolle als Ehefrau vorbereiten. Die ausgebildete Primarlehrerin engagiert sich allerdings lieber im nahe gelegenen Kinderheim. Hier sollen demnächst Kinder eintreffen, die aus dem KZ Buchenwald befreit wurden und für einen sechsmonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz geholt werden.

Doch normal ist 1945 auch in der Schweiz, obwohl hier dank Einigelungstaktik während dem Krieg wenig in Trümmer ging, nichts. Vielmehr beginnt, wie Nationalrat Werner Kägi (Nicolas Rosat) Johann bereits in der ersten Staffel ankündigt, „der Krieg in der Schweiz erst jetzt“. 

Dieser Satz stammt nicht etwa aus der Feder der Drehbuchautorin Petra Volpe, sondern wurde von ihr aus dem Buch „Politik und Wirtschaft im Krieg“ des Berner Historikers Hans Ulrich Jost übernommen. Er bezieht sich auf die handelspolitische Lage, in welcher sich die Schweiz befindet, nachdem mit Deutschland auch ihr wichtigster Handelspartner untergegangen ist. 

Josts Buch ist eine von vielen Quellen, die Petra Volpe für „Frieden“ beizog; nachdem die italienisch-schweizerische Filmemacherin bereits in „Die göttliche Ordnung“ (2017) ein wenig unrühmliches Kapitel der Schweizer Geschichte aufgriff – die vergleichsweise späte Einführung des Stimmrechts für Frauen in der Schweiz 1971 -, hat sie sich für „Frieden“ erneut in historische Stoffe vertieft.

Am Ausgangspunkt ihrer Recherchen standen zum einen die vom amerikanischen Geheimdienst als „Rattenlinien“ bezeichnete Fluchtrouten, welche Vertreter des NS-Regimes, Angehörige der SS und der kroatischen „Ustascha“ nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch durch die Schweiz führten. Zum anderen war da die „Aktion Buchenwald“, in deren Rahmen die Schweiz unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) kurz nach Kriegsende jüdische Kinder und Jugendliche aus dem Konzentrationslager Buchenwald für einen sechsmonatigen Erholungsaufenthalt ins Land holte. 

Vorangegangen ist dieser Aktion, die eindeutig auch der humanitären Imagepflege diente, die ebenfalls vom Roten Kreuz durchgeführte „Aktion Kinderzug“, welche bereits während des Kriegs Kindern aus Deutschland die Erholung in der Schweiz ermöglichte. Volpe meinte im Interview zur Serie, am meisten verblüfft habe sie die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse, die Tatsache, dass sich die Wege von Kriegsverbrechern und Kriegsopfern in der Schweiz anno 1945 kreuzten.

Eine der wichtigsten Quelle für Volpe war der 2002 vorgelegte, rund 12.000 Seiten umfassende Abschlussbericht der „Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“, welcher Abklärungen über in die Schweiz gelangte Vermögen während der Kriegsjahre dokumentiert. De facto geht es darin nicht nur um Gold und Geld, Raubgut und Vertriebene, Handelsbeziehungen und Transitabkommen, sondern auch um technisches Know-How und Patente der Nazis, die während und kurz nach dem Krieg den Weg in die Schweiz fanden. Vieles davon ist direkt in das Drehbuch von „Frieden“ eingeflossen.

Geplant hatte Volpe „Frieden“ ursprünglich als Spielfilm. Doch in Anbetracht der Materialfülle schlug Produzent Reto Schaerli schlussendlich eine abgeschlossene Miniserie vor; die Möglichkeit breiter zu erzählen, meinte Volpe, sei eine Befreiung gewesen. Schliesslich gewann man das Schweizer Fernsehen für das Projekt, die Regie übernahm Michael „Mike“ Schaerer. Mit einem Budget von über 8 Millionen Schweizer Franken ist die im November 2020 in der Schweiz erstmals ausgestrahlte historische Fernsehserie „Frieden“ eine der bis dato teuersten Produktionen des Schweizer Fernsehens.

„Frieden“ sticht aber auch in anderer Hinsicht besonders hervor. Obwohl die unmittelbare Nachkriegszeit in der Schweiz von Historikern aufbereitet wurde und in der Schweiz dazu einige Dokumentarfilme entstanden sind, ist diese im Schweizer Spielfilm bisher kaum präsent. Will man „Frieden“ in der Schweizer Filmlandschaft verorten, landet man irgendwo zwischen Markus Imhoofs „Das Boot ist voll“ und der ebenfalls vom SRF produzierten „Schoggi-Soap“ „Lüthi und Blanc“; international bewegt sich „Frieden“ im weiten Feld zwischen „Downton Abbey“, „The Crown“ und „Babylon Berlin“.

Wiewohl „Frieden“ auf tatsächlichen Begebenheiten und realen Biografien beruht – als Vorbild für Klara etwa diente die Lehrerin und Journalistin Charlotte Weber (1912-2000), die ihre Erlebnisse als Flüchtlingshelferin in einem Buch festhielt -, ist das Geschehen fiktiv, eine Geschichte, wie sie sich so oder ähnlich sich in der Schweiz anno 1945 hätte zutragen können. 

Sie nimmt ihren Anfang mit Ankunft der Buchenwald-Kinder, die sich mehrheitlich als über 12-jährige, zum Teil gar über 17-jährige, männliche Jugendliche entpuppen und über deren Verbleib in der Schweiz vorerst nochmals hektisch diskutiert wird. Und sie nimmt ihren Anfang ebenfalls mit Egon, der auf Hinweis eines Bauern einen vermeintlichen Deserteur verhaftet und sich nach dessen Befragung unverhofft die Hände mit Blut verschmiert.

Aber auch Johanns Zukunft als Jungunternehmer gestaltet sich weniger rosig als erhofft, eröffnet ihm sein Schwiegervater doch am Morgen nach der Hochzeit, dass der Schweizerische Bundesstaat den Vertrag mit der Tuchfabrik Frei gekündigt hat und diese sich nun in finanzieller Schieflage befindet. Über ein halbes Jahr – eben die Zeit, welche man den Buchenwald-Kindern in der Schweiz zugesteht, bevor man sie, nachdem Deutschland ihnen zwischenzeitlich die Staatsbürgerschaft aberkannt hat, nach Palästina weiterschickt – entwickeln sich die Schicksale von Egon, Johann und Klara weiter. 

Derweil Egon, von seiner Zeit bei der Grenzwache traumatisiert, sich immer heftiger in seine Ermittlungen verbeisst und dabei ins Fadenkreuz internationaler Spione gerät, sieht sich Johann im Versuch, die Frei AG mittels der neu aufkommenden Kunstfaserproduktion vor dem Untergang zu retten, immer mehr auf das Wissen und Patent eines der NSDAP angehörenden Chemikers sowie dubiose Geldgeber angewiesen.

Und Klara, die in bester Absicht Gutes tun will, muss erleben, dass ihre Schützlinge nicht einfach dankbar sind, sondern Ansprüche haben und Forderungen stellen. Dass sich nicht nur der kleine Jenkele, dem sie auf der Suche nach dem Verbleib seiner Eltern hilft, in ihr Herz schleicht, sondern auch der um einiges ältere Herschel, macht die Situation nicht entspannter. 

Die Fäden verknüpfen sich folglich kreuz und quer; mit Klaras Mutter, die eine antisemitische Haltung vertritt und zudem eine Affäre mit einem in der Schweiz untergeschlüpften Kriegsverbrecher unterhält und Klaras Onkel Carl (Stefan Kurt), der als windiger Wirtschaftsanwalt auf unterschiedlichen Parketten tanzt und Johann eher schlecht als recht berät, erweitert sich das Figurenkabinett von „Frieden“ um einige weitere illustre Charakteren.

„Frieden“ ist kurzweilig, spannend und in der Aufbereitung der (nicht nur Schweizer) Geschichte erfrischend ehrlich und dementsprechend auch anspruchsvoll. Regisseur Schaerer hat Petra Volpes dichtes Drehbuch glänzend umgesetzt, wobei jeder Handlungsstrang in sich selbst schlüssig bleibt. Gedreht hat man vor Ort an zum Teil historischen Schauplätzen in der Schweiz, die Fabrikszenen etwa sind auf dem legendären Leglerareal in Diesbach entstanden.

Auch die Leistung der Schauspieler lässt sich sehen, wobei vor allem die drei Hauptdarsteller überzeugen. Derweil Kohan Kjellgren in seiner Rolle als vom schlechten Gewissen geplagter „Lonesome Zorro“ und knallharter Ermittler aufblüht, balanciert sich Annina Walt souverän durch den schwierigen Zwiespalt von verwöhnter Fabrikantentochter und naiv-aufmüpfiger Weltverbesserin. Und Max Hubacher glänzt in einer Rolle, die ihn als aufstrebenden Jungunternehmer und Ehemann immer mehr in den Clinch zwischen beruflichen Verpflichtungen, persönlichem Glück, Ehrlichkeit und Illegalität geraten lässt.

Auch wenn „Frieden“ da und dort vielleicht etwas zu geleckt daherkommt – ganz so ordentlich und sauber wie hier gezeigt mag es in der Schweiz, in der 1945 auch etliche Menschen verarmt waren und Hunger litten, dann doch nicht ausgesehen haben, – und auf der Ebene der Lovestorys einiges nicht ganz aufgeht, ist dem SRF, Schaerer und Volpe mit der für den kleinen Bildschirm konzipierten historischen Miniserie ziemlich grosses und kluges Kino geglückt.

KNA/mit/gbo

„Miniserie: Frieden“, Donnerstag, 25. März, 21.10 – 23.40 Uhr, Arte (Folge 1 – 3; Folge 4 – 6 am 1. April, ab sofort ist die Serie komplett in der Arte Mediathek zu sehen). Die Autorin ist Mitarbeiterin des Kinoportals filmdienst.de