Arik Einstein: Aushängeschild, Kulturgott

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Arik Einstein: Aushängeschild, Kulturgott. Foto Government Press Office (GPO). Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 via Wikimedia Commons.
Lesezeit: 4 Minuten

Hier ist ein Einstein, von dem Sie vielleicht noch nichts gehört haben: Arik Einstein, er verstarb im Alter von 74 Jahren am 26.November in Tel Aviv. Und doch war er in Israel praktisch ein Gott. Einige Tage nach der traurigen Nachricht seines Todes liefen im Radio nur Lieder von Arik Einstein und tränenreiche Ankündigungen unterstrichen: Israels grösster Sänger ist nicht mehr. Vor seiner Beerdigung war seine Leiche feierlich auf dem Kikar Rabin, dem wichtigsten Platz Tel Avivs, aufgebahrt, wo Tausende zusammenkamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Selbst Ministerpräsident Benjamin Netanyahu pries dort die Musiklegende und nannte Einstein den Sänger von „eretz Israel hayafa, ha’amitit, hamezukeket” (dem schönen, wahren, reinen Land Israels). Und Präsident Shimon Peres teilte in einer Mitteilung mit, dass Arik Einsteins Lieder „der Soundtrack einer ganzen Nation“ waren.

Vielleicht können wir uns vorstellen, wie sich der Sänger in seinem Grab dreht, und lehnen Netanyahus Worte  als rechte Vereinnahmung dieser kulturellen Ikone ab, ein zynischer Trick, um seinen Beliebtheitsgrad zu stärken. Schliesslich hielt sich Einstein konstant aus der Politik raus, obwohl es eindeutig war, dass er auf der liberalen Seite des politischen Spektrums stand. Und doch fing Einsteins Musik eine besondere israelische Nostalgie ein – die der guten alten Tage als der Zionismus neu war und noch bevor der Begriff Eretz Israel von der Politik korrumpiert wurde. Einstein nahm fünf Alben der Serie Good Old Eretz Israel auf, viele sind Covers von alten Standards der Pioniertage und viele andere, die zu Einsteins bekanntesten und beständigsten Nummern gehören. Teilweise ist diese Beliebtheit auf die Tatsache zurückzuführen, dass diese Lieder den israelischen Mainstream erschlossen, der quer durch das politische Spektrum (von rechts bis links) verläuft, so dass Einstein von Siedler und Peace Now Gruppen gleichermassen genossen (und vereinnahmt) werden konnte.

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Arik Einstein war auch ein Filmstar, der die Hauptrolle im wohl einzigem grossen israelischen Film gespielt hat, in Uri Zohars Metzizim (hebräisch für Spanner) – er erzählt die Geschichte zwei alternder Tel Aviver Strandjungs und ihrem Kampf gegen das Erwachsenwerden. Unglaublich lustig, doch mit einem Anflug von Traurigkeit war der Film ein Flop, als er 1972 erschien, fesselte sein Publikum aber ein Jahrzehnt später und dann mit voller Wucht. Der Film verherrlicht das Herumhängen, es zelebriert den Strandgammler zum Hohn des Arbeitsethos der Mittelklasse und der sozialistischen hagshama (Erfüllung, Errungenschaft). Als solches liefert er eine Alternative zum offiziellen zionistischen Programm und Ethos.

Dennoch, als Peres von Einsteins Liedern als dem „Soundtrack einer ganzen Nation“ sprach, war das nicht schiere Rhetorik. Sogar seine gegenkulturellen Lieder aus den 60ern und 70ern sind zu Klassikern geworden, und es ist der junge Arik Einstein, eine gutaussehende, emporragende Figur, der in der nationalen Vorstellung überlebt. Ein 74-jähriger Mann starb, aber Einstein die Legende, das Symbol, ist lebendiger als je zuvor.

Die Frage ist: Für was steht dieses Symbol? Wen repräsentiert es? Ist Einstein „die Verkörperung eines älteren, manierlichem Israel von dem einige sagen, es existiert nicht mehr“, wie es im Nachruf der New York Times heisst? Nun, ja, aber das heisst nicht viel. In einem Leitartikel der Ha‘aretz protestierte Rogel Alpher gegen die Kanonisierung von Einstein in den Medien als Israels „Nationalsänger“. Einstein, so behauptet Alpher, repräsentiere nur die ashkenazische Hegemonie und Mehrheitsgesellschaft; er repräsentiere weder die Mizrahim, (Juden aus dem Nahen Osten) noch die Araber oder die Ultra-Orthodoxen, noch die Einwanderer aus Russland und Äthiopien. Das stimmt. Das zeitgenössische Israel ist vielleicht zu multikulturell, um einen einzigen Nationalsänger zu haben. Aber welcher andere Musiker, egal mit welchem Hintergrund, reicht auch nur annähernd an Einsteins Kultstatus heran oder hat einen derart monumentalen Stempel auf der israelischen Kultur hinterlassen?

Netanyahu beschreibt Arik Einstein als das offizielle Aushängeschild seiner eigenen Marke von Zionismus, als des „wahren Eretz Israel.“ Und er ist tatsächlich ein Aushängeschild, aber mit grösserem Wert: Arik Einstein ist ein Zeugnis der kreativen Schwingung dieser antik-jungen Nation und ihrer Kultur. Man kann dieses Symbol auf ein ideologisches Statement reduzieren, aber das geht an der Sache vorbei. Es ist die Musik, die zählt. In seinem Leitartikeln verflucht Alpher die Assoziation, die viele zwischen Einsteins Beerdigung und der von Rabbi Ovadia Yosef, dem geistigen Anführer der ultra-orthodoxen Shas-Partei, gemacht haben. Ich glaube nicht, dass es ein leere Vergleich ist – und sicherlich kein „wahnhafter“, wie es Alpher nennt. Einstein war ein geistlicher Anführer und seine Musik ein geistiges System, zum Trotz des religiösen und nationalistischen Fanatismus. Sogar Rabbi Uri Zohar, der einige Jahre nach der Entstehung von Metzizim ultra-religiös wurde, schien diese These in seiner tränenreichen Rede am Grab seines Freundes zu bestätigen: „Wenn der Messias kommt, werde ich nicht ihn anschauen, ich werde dich anschauen.“

Ari Lieberman schreibt als Gastblogger für Steven A. Cook’s blog, “From the Potomac to the Euphrates”. Lieberman unterrichtet Vergleichende Literatur an der University of Georgia. Sein Roman The Champions of Innocence (Yediot Books) wird im Februar 2014 erscheinen.

Vom CFR.org. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. Für weitere Analysen und Blogeinträge über den Nahen Osten und Aussenpolitik, besuchen Sie CFR.org.

Originalversion: Arik Einstein: Poster Child, Culture God © Council on Foreign Relations, December 3, 2013.