Freiwilligenarbeit in Israel: Energie für das eigene Leben und der Versuch etwas zurückzugeben

0
Lesezeit: 6 Minuten

In Israel gibt es unzählige Menschen, die sich freiwillig engagieren – sei es temporär als Gast im Land oder dauerhaft als Bürger. In Krankenhäusern, Bibliotheken oder besonderen Projekten – ein wichtiger Teil des israelischen Alltags beruht auf den Volontären. Ob jung oder alt, als Zivildienstleistender oder im Ruhestand, die Motive für das Engagement können sehr verschieden sein – wir haben mehrere Freiwillige getroffen, die uns von ihrer Arbeit erzählen…

„Ich bin direkt nach meinem Abitur nach Israel gekommen und leiste hier meinen Zivildienst ab. Den wollte ich gerne im Ausland absolvieren und Länder wie Australien waren mir einfach zu langweilig. Ich wollte eine andere Kultur kennenlernen.“ Der Deutsche Clemens Kirsch ist 20 und seit sechs Monaten im Land. Israel ist nicht neu für ihn, zweimal war er im Rahmen von Schüler- Austausch-Programmen schon hier. Ähnlich ging es auch der Deutsch-Türkin Raphaela Öner. Sie war im vergangenen Jahr das erste Mal in Israel und hat israelische Freunde besucht. Die 25-Jährige hat in Aachen vor Kurzem ihr Lehramtsstudium abgeschlossen und arbeitet nun mit Clemens zusammen als Freiwillige im Tel Aviver „Reuth Medical Center“. „In Deutschland habe ich schnurstracks mein Studium durchgezogen und hier kann ich endlich mal ein bisschen entspannen. Das ist Freiheit pur. Obwohl, wenn wir Patienten zu ihren Terminen im Krankenhaus bringen sollen, ist es manchmal gar nicht so einfach, die deutsche Pünktlichkeit durchzusetzen.“, lacht Öner.

„Im Judentum ist das Helfen eine Selbstverständlichkeit“

Mehrere Hundert Freiwillige befinden sich nach Schätzungen der Deutschen Botschaft Tel Aviv allein aus Deutschland in Israel. Die Webseite „Evangelisch in Jerusalem“ schätzt die Zahl auf circa 650 deutsche Freiwillige. Doch auch aus anderen Ländern, vor allem der USA, aber auch der Schweiz (die Botschaft verfügt hier leider über keine Zahlen) kommen Menschen nach Israel, um im Freiwilligendienst zu arbeiten. Daneben engagieren sich im Land selbst Tausende Israelis unentgeltlich für verschiedene Projekte.

Eine von ihnen ist Irith Langer, die 62-Jährige ist vor sieben Jahren aus der Schweiz eingewandert und lebt seitdem in der Mittelmeerstadt Netanya. Für die Fitness-Trainerin und Alexander-
Lehrerin (Die Alexander-Technik ist eine Körpertherapiemethode) ist die Freiwilligenarbeit eine Selbstverständlichkeit, die auch mit ihrem jüdischen Glauben zu tun hat: „Es ist eine jüdische
Tradition, dass man dem Hilfebedürftigen hilft. Im Judentum ist das Helfen eine Mizwa (Gebot). Spenden, genannt Zedaka, spielen eine wichtige Rolle. Man soll Gutes tun, gerecht sein – das ist
wichtig für ein ehrwürdiges Leben. Und wird als Selbstverständlichkeit gesehen.“ Langer erzählt, dass sich vor allem viele Pensionierte, die nach Eintritt in den Ruhestand nach Israel gekommen
aus einem „alten Idealismus“ heraus freiwillig engagieren: „Sie lieben Israel und wollen dem Land etwas bieten. Das ist auch zionistisch motiviert.“

Verschiedene Organisationen unterstützen die Freiwilligendienste

Deswegen engagiert sich Irith Langer seit einigen Jahren mit Unterstützung der Organisation „Esra“: „Ich arbeitete mit äthiopischen Frauen zwischen 30 und 40. Viele von ihnen sind als
Putzkräfte oder Kindergärtnerinnen tätig. Das ist körperlich sehr anstrengend und ich zeige ihnen, wie sie ihren Körper besser in Balance bringen können. Wir arbeiten einmal die Woche eine
Stunde daran – diese Stunde ist für sie kostenlos.“ Den Raum, in dem Langer mit den Frauen trainiert, stellt „Esra“. 1979 in Israel gegründet, will die Organisation „Esra“ vor allem englischsprachigen
Neueinwanderern bei der Integration in den jüdischen Staat helfen. Diese sollen ermutigt werden, „nützliche Mitglieder“ der israelischen Gesellschaft zu werden, in dem sie anderen, vor allem
Benachteiligten, im Land helfen. Für diese Arbeit wurde die Organisation bereits vom „National Council for Volunteering in Israel“ (CVI) ausgezeichnet. Der CVI ist die grösste Freiwilligen-
Organisation Israels. Der Non-Profit Verein arbeitet mit unzähligen Vereinen und Organisationen zusammen, die Volontärsarbeit ermöglichen. Dabei wird er u.a. von der „Jewish Agency“, dem
Ministerium für soziale Fragen sowie Unternehmen wie „Microsoft“ und „Intel“ finanziell unterstützt.

Der Dauerbrenner für ausländische Freiwillige: Die Kibbuzim

Die Mitarbeiter des CVI leisten wichtige Arbeit, in dem sie die vielen Freiwilligenorganisationen, die es im Land gibt, unter einen Hut bringen. Laut Angaben der israelischen Regierung engagieren
sich circa 20 Prozent der Erwachsenen in einem Ehrenamt. Sie sind in über 278 verschiedenen Stellen aktiv: In Krankenhäusern, Rettungseinheiten, Kibbuzen sowie sozialen Einrichtungen und
Umweltorganisationen. Die Kibbuzim sind seit jeher ein Dauerbrenner unter den Einsatzorten für Freiwillige: Nach Angaben der Abteilung für Freiwilligenarbeit der Kibbuzbewegung sind momentan
300 Volontäre aus der ganzen Welt in 25 Kibbuzim engagiert. Darunter sind vier Freiwillige aus der Schweiz, 50 aus Deutschland.

Die israelische Regierung hat sich besonders an die deutschen Freiwilligen, die oftmals ihren Zivildienst in Israel ableisteten, gewöhnt. Seitdem in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft
wurde, gibt es jedoch auch in Israel weniger Zivildienstleistende. Trotzdem kommen nach Informationen der Regierung immer noch viele junge Deutsche ins Land „um die Verbrechen des
Nazi-Regims gegen das jüdische Volk zu sühnen“. Eine Idee, die von der Organisation „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF) so ins Leben gerufen wurde. Ungefähr 25 Freiwillige bringt
die ASF pro Jahr mit diesem Vorhaben ins Land.

Junge Deutsche wollen keine Busse tun – aber etwas zurückgeben

Immer weniger junge Deutsche können sich jedoch mit diesem Motiv identifizieren. „Dieses Gerede von Busse tun. Wofür soll ich denn Busse tun? Der Holocaust war für mich kein Grund
herzukommen.“, stellt Clemens Kirsch klar. Und seine Kollegin Raphaela ergänzt: „Wir kommen nicht aus der Verantwortung heraus her. Ich meine, das ist einfach nicht mehr unsere Geschichte,
unsere Generation.“ Trotzdem freut es sie, wenn Israelis durch sie ein anderen Bild von den Deutschen bekommen: „Ich hatte schon mal einen Patienten, der mir erzählt hat, dass er die
Deutschen hasst. Dass er viele Familienmitglieder im Holocaust verloren hat. Aber er meinte, dass er durch uns auch ein anderes Bild von den Deutschen gewonnen hat. Weil wir da sind, um zu
helfen und etwas zurückzugeben. Das ist schon schön.“, erzählt Raphaela.

„Etwas zurückgeben“, das möchte auch Irith Langer. Sie erzählt, dass die Frauen, mit denen sie arbeitet anfangs immer schüchtern und ausweichend auf den Boden gesehen haben. Weil ihre
Kultur eben so sei, auch wenn sie wissen, dass das in Israel anders ist. Nach einigen Wochen dann bemerkte Langer plötzlich, dass keine einzige der Frauen mehr auf den Boden schaute. Die
Freiwillenarbeit bedeutet für Irith Langer aber auch, dass sie etwas zurückbekommt: „Durch die Arbeit habe ich Einblicke in eine Kultur gewonnen, die ich sonst nicht kennengelernt hätte. Die
Arbeit mit den Frauen gibt mir viel Energie für mein eigenes Leben, wir haben eine wunderbare warme, herzliche Beziehung.“ Deswegen hat Langer auch ihre drei Söhne immer ermutigt, sich
freiwillig zu engagieren.

Vor allem junge und ältere Israelis leisten Freiwilligenarbeit

Diese Erziehung zum Freiwilligen Engagement ist äusserst wichtig. Denn obwohl in Israel die Zahlen der Engagierten auch im internationalen Vergleich ganz gut sind – in der Schweiz
engagieren sich beispielsweise knapp 20 Prozent der Bevölkerung institutionell (Statistik von 2010) während es in Deutschland 36 Prozent sind (Angaben von 2009) – bisher ist die
Freiwilligenarbeit vor allem bei sehr jungen und älteren Israelis verbreitet. Viele von ihnen sind Neueinwanderer. Das liegt natürlich auch daran, dass die Menschen in Israel lange Arbeitstage und
wenig Urlaub (im Durchschnitt zwischen 10 und 15 Tagen) haben.

Umso dankbarer ist man im Land für die Engagierten aus dem Ausland: „Wenn ich sage, dass ich hier arbeite, finden das alle immer total gut. Die Israelis sind sehr dankbar für das, was wir tun.“,
beschreiben Raphaela Öner und Clemens Kirsch. Und auch für sie, ist der Aufenthalt in Israel eine grosser Bereicherung: „Für mich wird Israel immer wichtig bleiben. Mir bedeutet das Land sehr
viel.“, erklärt Raphaela. Und Clemens ergänzt: „Ich bin mir sicher, dass ich noch einmal herkommen werde. Ich könnte mir jetzt gerade nicht vorstellen irgendwo anders zu sein. In einem
anderen Land wäre dieser Dienst nicht genauso gewesen. Das Land hat mich verändert. Israel prägt. Das ist mir manchmal fast ein bisschen unheimlich.“

Quelle: Katharina Höftmann,Israel Zwischenzeilen, Hg. Gesellschaft Israel-Schweiz, 5. – 1.03.2012