Intervention in Syrien: Warum es eine Militärmacht aus muslimischen Ländern braucht

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London, UK - October 8, 2011: A group of Syrian nationals gathered together in London's Trafalgar Square spreading the word on their home countries civil unrest. Foto: © istock/Chris Schmidt

Die anhaltende Krise in Syrien ist eine der seltenen internationalen Angelegenheiten, die für eine Einigung zwischen Menschenfreunden und aussenpolitischen Realisten sorgen sollte.

Die einzige Möglichkeit, die seit Jahrzehnten blutigste humanitäre Tragödie im Nahen Osten zu stoppen, ist eine Intervention zur Beendigung des Assad-Regimes. Sie ist auch der effektivste Weg, um das am deutlichsten antiamerikanische Regime der strategisch interessanten östlichen Mittelmeerregion loszuwerden. Das heisst nicht, dass eine Intervention auch einfach ist. Schlecht geplante Aktionen können den Konflikt eskalieren lassen. Daher muss die Intervention in Syrien in Samt verpackt sein, einen weichen Zugriff haben und geduldig eingefädelt werden.

Dafür kann aus den 1990er Jahren und der Intervention in Bosnien gelernt werden, die damals von den USA angeführt wurde. Während des Bosnienkrieges erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Gebiete, die von bosnischen Bürgerwehreinheiten befreit worden waren, zu Schutzzonen. Die UN beauftragte Friedenstruppen, diese Gebiete zu schützen, da die bosnischen Verteidigungseinheiten der überragenden Jugoslawischen Volksarmee (JNA) und den serbischen Paramilitärs waffentechnisch unterlegen zu sein schienen. Doch es kam zu einer hochproblematischen Situation: 1995 überrannten Truppen der JNA die Schutzzone von Srebrenica, und die mit einem nur beschränkten UN-Mandat ausgestatteten Friedenstruppen mussten zusehen, wie Tausende Bosniern massakriert wurden.

Auch in Syrien werden Gebiete befreit – wie damals in Bosnien –, von Truppen, die aus Bürgerwehreinheiten bestehen; der überlegenen syrischen Armee sind sie dauerhaft nicht gewachsen. Die gute Nachricht aus dem bosnischen Präzedenzfall lautet: Richtet den Syrern sichere Schutzzonen ein, und sie werden Assad wahrscheinlich erledigen. Doch Bosnien enthält eine weitere Lektion: Schickt dort nicht Friedenstruppen mit einem beschränkten UN-Mandat hinein. Sie können den Konflikt nicht stoppen. Eine Intervention muss im Zugriff weich sein und schlau. Sie sollte keine Bodentruppen beteiligen, sondern Luftstreitkräfte, um die einzurichtenden Schutzzonen zu sichern.

Dabei stellt sich eine Frage: Die Amerikaner haben offensichtlich keine Lust,  wieder einen Krieg in Übersee zu führen – welche Luftstreitkräfte würden die Schutzzonen sichern? Der Widerwille Washingtons, eine Operation anzuführen, könnte sich als Segen erweisen, da er der Türkei Raum lässt, die Zügel in die Hand zu nehmen. Während des vergangenen Jahrzehnts hat die Türkei eine neue Politik im Nahen Osten und sich selbst in der Rolle der Regionalmacht aufgebaut, deren Verbindungen über Ankaras traditionelle westliche Verbündete hinausreicht. In der Folge würde Ankara die Teilnahme an jeder von den USA angeführten Intervention in einem muslimischen Land als unvereinbar mit der neuen türkischen Rolle im Nahen Osten betrachten.

Doch würde die Türkei eine luftgestützte Intervention zur Sicherung der von den Vereinten Nationen bestimmten Schutzzonen unterstützen, solange die Mission von einer „Regionalmacht“ angeführt würde, die sich aus türkischen und arabischen Militärs zusammensetzt. Katar und Saudi-Arabien, die die Opposition finanzieren, sollten froh sein, mit ihrem neuen Verbündeten in Ankara zur Sicherung von Schutzzonen zusammenzuarbeiten. Washington und die europäischen Mächte könnten dann die Operation aus der Ferne unterstützen und dadurch ihren Erfolg erleichtern. Dies könnte genau das sein, was die kriegsmüden USA benötigen: ein militärischer Sieg im Nahen Osten ohne amerikanisches Militär.

Da ist natürlich eine weitere Barriere: Russlands Veto im UN-Sicherheitsrat. Solange Russland eine UN-Resolution weiter blockiert, wird es keine international anerkannten Schutzzonen und keine von der Türkei angeführte Koalition zu deren Sicherung geben. Hier allerdings kann eine aktive US-Diplomatie, wenn sie von historisch kenntnisreichem Wohlwollen geleitet wird, den Unterschied machen. Moskaus Blockadehaltung rührt nicht daher, dass es so grosse Sympathie für das Assad-Regime hätte. Russland befürchtet vielmehr, dass es mit dem Assad auch seine einzige Marinebasis im Mittelmeer in der syrischen Küstenstadt Tartus verlieren würde.

Seit dem 18. Jahrhundert kontrolliert Moskau ein riesiges Gebiet. Den grössten Teil des Jahres jedoch ist dieses Land umschlossen von zugefrorenen Meeren. Um dieses Problem zu bekämpfen, hat Moskau immer ein Standbein im Mittelmeerraum und damit den Zugang zu „warmen“ Meeren gehalten. Der Verlust Tartus‘ würde einen historischen Ausschluss Russlands vom Mittelmeer und den warmen Meeren einleiten – das wäre eine strategische Katastrophe für Russland. Washington muss sicherstellen, dass Russland nach Assads Abgang Zugang zu Tartus erhalten wird: Gebt Russland seinen Warmwasserhafen, und es wird gegen die Resolution kein Veto einlegen.

Washington sollte eine gut geplante, feinfühlige Interventionsstrategie für Syrien entwickeln: unterstützt von den Russen, ausgeführt von den Türken und Arabern, aus der Ferne unterstützt von den USA und ihren europäischen Verbündeten – und nicht zuletzt ohne die Beteiligung von Bodentruppen.

Soner Cagaptay ist Leiter des Turkish Research Program am Washington Institute.

Originalversion: The Case for Organizing a Military Force from Muslim Countries to Intervene in Syria by Soner Cagaptay © The Washington Institute for Near East Policy. February 9, 2012. All rights reserved.