Antisemitismus auf dem Weg zum Mainstream

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Alan M. Dershowitz

Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden klassische antisemitische Bemerkungen zunehmend zu hinnehmbaren und legitimen Themen der akademischen und politischen Diskussion. Um zu verstehen, warum sich diese absurden und verwerflichen Ansichten, die vormals für rassistische Randzonen in der Wissenschaft und Politik reserviert waren, sich in Richtung Mainstream bewegen, können wir die Ansichten zweier Männer betrachten, die solchen Fanatismus zum Ausdruck bringen oder befürworten. Einer ist Wissenschaftler- Professor Brian Leiter -, der andere Politiker: Ron Paul.

Leiter ist ein recht unbedeutender Jurist, der versucht, sein Profil dadurch hervorzuheben, dass er einen schwatzhaften Blog über Jura-Professoren schreibt. Er ist ein Kollege des weltbekannten John Mearsheimer von der University of Chicago.

Mearsheimer hat vor einigen Monaten begeistert das Buch, „The Wandering Who“ des Briten Gilad Atzmon empfohlen, das nichts weiter als ein Pamphlet ist. Es ist durchsetzt mit allen klassischen antisemitischen Themen. Atzmon, der Saxophon spielt und akademisch nicht weiter aufgefallen ist, schreibt, dass wir die Vermutung „sehr ernst“  nehmen sollten, dass  „das jüdische Volk versucht, die ganze Welt zu beherrschen.“ Die letzte Krise der Geldwirtschaft nennt er „Zio-punch“. „Der Holocaust-Narrativ“, sagt er, ergebe keinen „historischen Sinn“, und er zweifelt an, dass Auschwitz ein Todeslager war. Er fordert Studierende auf, die „Anschuldigung“ zu akzeptieren, „dass Juden ihre Matzen mit jungem goyischem Blut backen“.

Tagtäglich werden solche Bücher und Pamphlete von unbedeutenden Antisemiten geschrieben und von anrüchigen Verlagen herausgegeben, die sich auf solchen Müll spezialisiert haben. Eigentlich nimmt keiner von ihnen Kenntnis, ausser den Neo-Nazis weltweit, die solche Fortschreibungen der Hassliteratur begrüssen.

Bemerkenswert jedoch ist, dass dieses hasserfüllte Stück antisemitischen Schunds von zwei bekannten amerikanischen Professoren begeistert empfohlen wurde – John Mearsheimer und Richard Falk. Sie drängen den Leser, auch Studierende, Atzmons Buch zu lesen und über diese Themen „nachzudenken“ und sie „breit zu diskutieren.“

Weniger überraschend als schockierend war die Tatsache, dass zu Mearsheimers Verteidigung sein eher unpolitischer Kollege Brian Leiter beisprang. Ohne überhaupt Atzmons Buch gelesen zu haben, verkündete Leiter, dass Atzmons „Standpunkt [ihn nicht] als Antisemiten [markiere, sondern eher als] Kosmopoliten.“ Auch bescheinigte Leiter, dass Atzmon „weder den Holocaust noch die Gaskammern leugnet.“  Solche Aussagen hätte Leiter nicht machen können, wenn er das Buch gelesen hätte.

Atzmon seinerseits rühmt „einen Mann, der … Antisemit war“ für „[seine] vielen Erkenntnisse“, und sich selbst nennt er einen „Juden, der sich selbst hasst“ und Verachtung für „den Juden in mir“ hegt. Nun, wenn das nicht eher ein Hinweis auf Antisemitismus als auf „Kosmopolitismus“ ist, weiss ich es auch nicht. Was den Holocaust angeht, behauptet Atzmon, er sei „kein historischer Bericht“. Und im Hinblick auf die Gaskammern bezweifelt er, dass „die Nazis eine Todesfabrik in Auschwitz-Birkenau betrieben haben.“

Leiter ging soweit, diejenigen zu verurteilen, die es wagten, Mearsheimer für seine Buchempfehlung zu kritisieren, nannte sie „hysterisch“ und für den „ehrlichen intellektuellen Diskurs“ nicht hilfreich.

Die Brian Leiters dieser Welt spielen eine wichtige Rolle bei der Frage nach der Ursache, warum antisemitische Ansichten in die Legitimität der Wissenschaften zurückkriechen können. Seine reflexartige Verteidigung eines anerkannten Judenhassers, den er nicht für einen kläglichen Antisemiten, sondern für einen „Kosmopoliten“ hält, trägt zur Legitimierung des Antisemitismus bei.

Ron Paul Foto: Wikipedia.org

Das gleiche kann über Ron Paul gesagt werden; ihn kennt im Gegensatz zu Leiter jeder. Wie die New York Times (NYT) berichtet, hat Paul sich geweigert, sich von der „Unterstützung“ „weisser Rassisten, Überlebenskünstler und Antizionisten zu distanzieren, die sich hinter seiner Kandidatur versammelt haben.“  Edward H. Crance, Gründer des liberalen CATO Institute sagte, „ich wünschte, Ron würde die Gestalten, die am Rand seiner Kampagne umhertreiben, verurteilen“; aber er weigert sich, die Unterstützung dieser Antisemiten abzulehnen, die einen bedeutenden Teil seiner Basis ausmachen.

Als der Antisemitismus der Nazis in Deutschland und Österreich in den 1930er Jahren legitimier Teil des Mainstream wurde, lag es nicht an Hitler, Goebbels und Göring, die ihn verbreiteten; ihre widerwärtigen Ansichten waren seit Jahren bekannt. Diese Tatsache ist auf die Nicht-Nazis zurückzuführen – besonders Akademiker, Politiker und Künstler – die sich weigerten, den Antisemitismus und die, die ihn vertraten, zu verurteilen.

Es heisst,  damit „das Böse triumphiert, braucht es nur gute Menschen, die nichts machen.“ Leiter und Paul mögen gute Menschen sein oder auch nicht, aber sie machen sich schuldig wegen mehr als Nichtstun. Mit ihren Taten tragen sie dazu bei, dass der älteste Fanatismus legitimiert wird. Schande über sie!

Gekürzte Fassung der Originalversion: Why Anti-Semitism Is Moving Toward the Mainstream by Alan M. Dershowitz © Stonegate Institute, January 3, 2012.

5 Kommentare

  1. Ja, aber wer wird schon freiwillig auf Wählergruppen verzichten? Zumal Ron Paul nur Aussenseiterchancen hat. Zudem ziehen seine libertären Positionen Verschwörungstheoretiker gerade zu an. Seine Positionen in Wirtschaft und Aussenpolitik, kann man ihm aber nicht verübeln. Deshalb finde ich es nicht ok, ihn in die antisemitische Ecke zu stellen, ohne irgendwie klar antisemitsche Positionen von ihm auszumachen….

  2. Dershowitz geht es ja grundsätzlich darum, dass antisemitisch geprägte "Diskurse" nicht mehr am Rande stattfinden, sondern fast salonfähig werden.
    Ron Paul mag sich als Verbündeter Israels ausgeben und das vielleicht auch wirklich sein, aber nur deshalb wird er auf bestimmte Gruppen in seiner Anhängerschaft nicht verzichten.

  3. Also die Kritik an Ron Paul finde ich schwach. Natülich braucht es nur gute Menschen, die nichts machen, damit das Böse triumphiert. Aber das kann man vielen Menschen anlasten… Soweit ich weiss, hat Ron Paul sich in den letzten Tagen zu Israel als Verbündeten gestellt. Auch wenn diese Positionierung möglicherweise Wahlkampfbedingt ist, ist sie doch nicht unbedeutungslos. Wie auch immer, im Fall Ron Paul braucht es einfach mehr handfestes. Im Fall Leiter scheint die Sache klarer zu sein.

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