Moralische Heuchelei

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© istock/Francesco Santalucia

Es wäre einfacher, mit dem Begehren von Abbas nach Anerkennung eines Staates „Palästina“ umzugehen, wenn daraus nicht ein antiisraelischer Propagandafeldzug gemacht würde. Abbas selbst hat bei seiner Rede vor der Generalversammlung der UNO nichts ausgelassen, um Israel dafür verantwortlich zu machen, dass ein solcher Staat noch nicht existiert. Gegen jegliche Tatsachenwahrheit. Er bemühte alle Stichworte, die in der automatischen antiisraelischen Mehrheit der UNO verfangen, um Israel zu beschuldigen. Von arabischer Selbstkritik war er so fern wie der Mond von der Erde. Er kann auch völlig unkritisiert verlangen, dass ein Staat „Palästina“ von nicht einem einzigen Juden bewohnt werden dürfte, aber zugleich Israel des Rassismus beschuldigen.

Wer nüchtern die völkerrechtlichen Grundlagen des Staates Israel und die Geschichte des palästinensisch-israelischen Konflikts betrachtet, hat einige Probleme mit den überschwänglich moralischen, aber in der Sache unbedarften Einlassungen, die in so manchen Medien dem UNO-Auftritt von Abbas folgten. Hier nur ein Beispiel: Christian Nünlist beginnt seinen Artikel „Ein moralischer Sieg für Palästina“ in der AZ mit dem Satz: „63 Jahre nach der Staatsgründung Israels ist es höchste Zeit, dass auch die Palästinenser ihren eigenen Staat erhalten.“

Dem könnte man durchaus zustimmen, wenn da nicht im Folgenden die geschichtsklitternde Unterstellung käme, dass eigentlich für die Nichtrealisierung eines palästinensischen Staates zuerst die Israelis und dann die USA verantwortlich sind. Die USA deswegen, weil sie Opfer einer jüdischen Lobby sind. So kann man sich zwar um das eigentliche Problem foutieren. Aber es gibt Zeitgenossen, die nicht so blöd sind, wie manche Kommentatoren hoffen, dass sie es sind.

Jeder kann wissen, dass den arabischen Einwohnern des Mandatsgebiets Palästina durch den Teilungsbeschluss der UNO von 1947 ein eigener Staat zugesichert wurde, also ein Recht verbrieft wurde, ihren eigenen staatlichen Ausdruck, ihr Selbstbestimmungsrecht, zu leben. Jedermann weiss, dass dies den arabischen Nationen nicht gefiel, weswegen sie einen Krieg gegen das sich gerade als unabhängiger Staat erklärende Israel führten. Die sogenannten „Palästinenser“ hatten wegen ihrer arabischen „Freunde“ gar keine Chance, einen eigenen Staat zu gründen. Und diese gegen die Interessen der Palästinenser gerichtete Verweigerungspolitik hat auch die folgenden Jahrzehnte bestimmt. Immer wieder Kriege, immer wieder Verweigerungen von Friedensverhandlungen auf arabischer Seite. Erinnern wir uns nur an das berüchtigte dreifache „Nein“ der arabischen Gipfelkonferenz in Khartoum nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967: „Keine Versöhnung mit Israel; keine Verhandlungen mit Israel, keine Anerkennung Israels“. Und leider hat die PLO trotz der Oslo-Verträge diese Verweigerungspolitik fortgeführt. Ende 2000, Anfang 2001 lag eine Friedenslösung, vermittelt durch US-Präsident Clinton, in greifbarer Nähe. Doch Arafat hatte nicht die Courage und auch wohl nicht die Absicht, einen Friedensvertrag zu unterschreiben. Vergleichbares gilt für seinen als gemässigt geltenden Nachfolger Abbas, der ein Verhandlungsangebot von Olmert ausschlug.

Der Grund dafür war jeweils ein elementarer: Man wollte nicht einen jüdischen Staat akzeptieren. Die Juden sollten ins Meer getrieben werden. Was auch immer die Motivation war, eines jedenfalls war klar: Es darf kein Staat Israel existieren, in welchen Grenzen auch immer.

Abbas Zaki

Dass das weiterhin aktuell ist, davor sollte man nicht die Augen verschliessen und sich so als nützlicher Idiot erweisen. Kürzlich hat ein hochrangiges Mitglied des Zentralkomitees von Abbas’ Fatah, Abbas Zaki, befragt zum UNO-Auftritt der Palästinenservertretung,  gegenüber dem arabischen Netzwerk Al-Jazeera gesagt, dass eine Vereinbarung auf Basis der Grenzen von 1967, also eigentlich von 1949, nur ein Anfang wäre. Das „grössere Ziel“, nämlich Israels Auslöschung, sollte man nicht offen benennen, sondern bei sich behalten. Es reicht vorderhand, dass die „Drecksäcke“ Netanjahu und Obama nervös geworden sind.

Wenn es also nach Nünlist „höchste Zeit“ ist, „dass auch die Palästinenser ihren eigenen Staat erhalten“, dann kann man dem nur zustimmen, wenn man dies in Kritik der Verweigerung eines jüdischen Staates durch die arabischen und palästinensischen Akteure auf der nahöstlichen Bühne äussert. Israel und den Amerikanern die Schuld zuzuschieben, ist ein fatales Einknicken vor antiisraelischer und antiamerikanischer Propaganda. Gewiss, die ägyptische und die jordanische Regierung haben sich damit vor einiger Zeit abgefunden, dass es einen jüdischen Staat gibt. In der ägyptischen Welt des arabischen Frühlings ist das nicht mehr eine gesicherte diplomatische und völkerrechtliche Bastion, wie wir wissen. Aber sie ist noch nicht gefallen.

Die USA haben dem Theatercoup von Abbas in der UNO mit Recht widersprochen. Man schafft keinen Staat „Palästina“, wenn man die von allen völkerrechtlich verbindlichen – auch von Arafat und der PLO anerkannten – Verhandlungswege verlässt. Antiisraelische Propaganda ist vielleicht für viele gut, die darauf hereinfallen. Natürlich mit moralischem Anspruch. Ich kenne keine Juden- oder Israelfeinde, die sich nicht für moralisch überlegen fühlen. Was Abbas getan hat, verletzt jedoch das Abkommen von Oslo, das sein Vorgänger unterschrieben hat. Aber Nünlist sieht alles anders und aus der bekannten alteuropäischen Sicht: Amerika und nicht zuletzt Obama ist für Nünlist „in blinder Solidarität“ mit Israel befangen und Obama soll der erste „jüdische Präsident“ der USA sein. Man fragt sich, wie primitiv und von Fakten unirritiert man sich äussern darf, um in einer Schweizer Zeitung ein Podium zu finden.

Nur noch nebenbei: Es gibt auch jetzt einen Friedenspartner auf der israelischen Seite. Man sollte die monströse Verzerrung der israelischen Regierung einfach mal aufgeben! Das wäre „ein moralischer Sieg“.

Ekkehard W. Stegemann

8 Kommentare

  1. Ja, Herr Müller, vor lauter Rechnerei haben Sie unseren Kommentar einfach nicht verstanden. Was Ihre letzte Aussage angeht, haben Sie eine interessante Erinnerungskultur verinnerlicht.

  2. Danke für die Antwort von Audiatur-online auf meinen Kommentar, auch wenn er etwas seltsam ausgefallen ist. Ich habe nämlich nicht 5944 Anschläge verwendet, sondern nur 169. Da hat halt nicht ganz alles Platz. Um sich zu verteidigen, braucht Audiatur-online nun erneut 1378 Anschläge, also achtmal mehr als der Text, der da kritisiert wird. Das erinnert unweigerlich daran, dass auf einen getöteten Israeli etwa 100 getötete Palästinenser folgen…

  3. schalom, seit über 65 jahren kenne ich Palästina und Israel.
    Ich habe im Mai 1948 die Staatsgründung mitgemacht. Stunden
    drauf sind die Arabischen Staaten mit einer ungeheurigen Übermacht in das kleine Israel eingefallen <<unter dem Motto wir jagen die Juden ins Meer. Es kam aber anders<<die kleine Israelische Armee hat die Araber besiegt. Wir wussten es ging um alles.Diese Schmach haben die Araber bis heute nicht überwunden.Der tödliche Hass hat sich auch nach 65 Jahren nicht geändert. Darum darf es einen Palistaat
    unter den jetzigen Vorraussetzungen nicht geben. Das wäre für Israel tödlich. Karl

  4. Seit den Oslo-Verträgen führten Israel und die Palästinenser Verhandlungen. Abbas hat mit allen vorherigen Ministerpräsidenten verhandelt , ohne dass ein Siedlungsstopp zur Vorbedingung gemacht wurde. Das ist ein Novum, wird aber erfolgreich als ein Kernproblem der Weltöffentlichkeit verkauft. Die Siedlungen sind nicht das Problem auf dem Weg zur palästinensischen Eigentstaatlichkeit. Das hat Israel mit dem Abzug und der Räumung des Gazastreifens bewiesen.
    5944 Anschläge und kein Wort, dass laut Umfragen unter Palästinensern, die Zwei-Staaten-Lösung nicht als permanente Lösung betrachtet wird, sondern als ein erster Schritt, um Israel auszulöschen. 5944 Anschläge und kein Wort zu den grossartigen israelisch-palästinensischen Wirtschaftskooperationen, 5944 Anschläge und kein Wort zu den diesjährigen 530 Raketen (und das Jahr ist noch nicht vorbei), 5944 Anschläge und kein Wort zu israelische-arabischen Schulprojekten …Herr Müller, Sie schreiben von Lüge und Wahrheit. Das bedeutet, dass nur einer Recht hat. Ist der Nahost-Konflikt wirklich so einfach? Eine Seite hat Recht, die andere steht im Unrecht? Rechthaberei führt ohne Umwege in die Sackgasse. Schon König Hussein hat Arafat vorgeworfen, immer nur sein Recht haben zu wollen statt eines Staats. Arafat starb und hinterliess einen Mythos in Kampfuniform, und König Hussein einen Friedensvertrag mit Zukunft.

  5. Auftrag des Mandats, das am 24. Juli 1922 ratifiziert wurde, war die Hilfe zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“.

    Das Mandat nennt in den Artikeln 4, 6 und 7 konkrete Maßnahmen wie Anerkennung und Zusammenarbeit mit einer jüdischen Vertretung (Jewish Agency), Förderung einer geschlossenen jüdischen Ansiedlung (siehe Jischuw) durch Zurverfügungstellung von Staats- und Brachländereien sowie Erleichterungen bei der Einwanderung (siehe Alija) und dem Erwerb der palästinensischen Staatsbürgerschaft durch Juden. Artikel 13 bis 15 sahen freie Religionsausübung, einen geregelten freien Zugang zu den Heiligen Stätten und die Aufrechterhaltung bestehender kultureller und religiöser Selbstverwaltungen vor.
    http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=V%C3%B6

  6. Ein Text mit 5944 Anschlägen und kein einziges Mal das Wort Siedlungen. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Auch das Verschweigen von etwas kann der Lüge nahekommen.

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