Unabwendbare Katastrophe?

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Die palästinensische Führung bereitet sich auf eine gefährliche Konfrontation bei der UN vor, die allen Parteien nur schaden kann. Kann irgendjemand diesen ausser Kontrolle geratenen Zug stoppen?

Ende September nähert sich schnell, und die Bühne scheint bereitet für eine weitere Krise im Nahen Osten. Die palästinensische Führung scheint entschlossen, in der anstehenden diesjährigen Sitzung der UN-Generalversammlung auf eine grössere internationale Anerkennung ihres Staats zu drängen. Zahlreiche Länder sind Berichten zufolge bereit, zugunsten der Palästinenser abzustimmen, sehr zum Verdruss der israelischen Regierung, die eine aufwendige Lobbykampagne gegen die Anerkennung betreibt.

Ein palästinensischer Staat ist seit langem überfällig. Aber wenn die Palästinenser auch absolut berechtigt sind, bilaterale und multilaterale Anerkennung zu suchen, könnte ihr Schritt bei den Vereinten Nationen zu einer gefährlichen diplomatischen Konfrontation führen. Die Palästinenser könnten den Sicherheitsrat um volle UN-Mitgliedschaft ansuchen, wogegen die USA ihr Veto einlegen würde. Oder sie könnten andere Schritte in der Generalversammlung ergreifen, die sie und ihre Verbündeten in Konflikt mit der USA, Israel und führenden Westmächten bringen würden.

Ich bin gerade aus der Region zurückgekehrt, wo mich die gelassene Einstellung der Palästinenser hinsichtlich des UN-Schritts überrascht hat, die, trotz hoher öffentlicher Erwartungen, annehmen, dass sie schlichtweg einen diplomatischen Prozess verfolgen, der ihre Position am Verhandlungstisch stärken wird. Die Israelis dagegen scheinen den UN-Plan als eine grosse nationale Krise zu betrachten. Beide Parteien ergreifen indes Sicherheitsmassnahmen in Erwartung möglicher Unruhen.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas besteht darauf, dass er Verhandlungen vorzieht und keine Konfrontation sucht, während Israel sich weiterhin bemüht, Opposition zu jeder UN-Initiative aufzubauen. Beide Seiten konzentrieren sich auf Europa, das, aus seinen eigenen strategischen Motiven, eine gespaltene Abstimmung vermeiden möchte, aber bisher unfähig scheint, einen Konsens zu erreichen. Die USA hat ihre Intention deutlich gemacht, gegen jede palästinensische Bewerbung um volle UN-Mitgliedschaft ihr Veto einzulegen, und lehnt auch jede andere mögliche UN-Initiative ab.

Eine diplomatische Konfrontation ist im Interesse keiner der Parteien. Für Israel könnte die Folge ein Ausbruch öffentlicher Wut und mögliche Gewalt in den besetzten Gebieten sein, was ein Sicherheitsproblem im Inneren sowie wachsende Isolation im Ausland bedeuten würde. Für die Palästinenser könnte es die Rückkehr zu restriktiveren Formen von Kontrolle durch die israelischen Besatzungsbehörden sein, mehr Checkpoints und Strassensperren ebenso wie andere Arten von Strafmassnahmen, einschliesslich wirtschaftlicher Sanktionen. Für die USA besteht das Risiko, traditionelle anti-amerikanische Ressentiments zurück in den arabischen politischen Diskurs zu bringen – zu einem Zeitpunkt, an dem Amerika verstärkt als positive Kraft auf Seite der Bevölkerungen gegen die Diktatoren wahrgenommen wird.

Ein Kompromiss wird dringender benötigt als je zuvor. Die USA bemüht sich durch das Nahost-Quartett intensiv, eine Formel zu finden, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Es besteht Hoffnung und ist diplomatisch machbar, allgemein akzeptable Sprachregelungen für eine Resolution zu finden, die das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkennt. Eine diplomatische Konfrontation mit potentiell schwerwiegenden Konsequenzen vor Ort bleibt jedoch eine entfernte Möglichkeit. Was auch immer bei den Vereinten Nationen passiert, es ist wichtig für alle Parteien, sich auf den Tag danach vorzubereiten.

Erste Priorität muss sein, den Ausbruch von Gewalt zu verhindern, die einen katastrophalen menschlichen Preis haben und die Aussichten für eine Zweistaatenlösung verschlechtern könnte.

Das beste Mittel gegen Chaos ist die Kooperation zwischen den palästinensischen und israelischen Sicherheitskräften. In den vergangenen zwei Jahren hat diese Kooperation ungekannte und, nach Angaben aller Beteiligten, beispielhafte Dimensionen erreicht. Sicherheitskooperation ist ebenso sehr im Interesse der Palästinenser wie der Israels, denn für Recht und Ordnung zu sorgen, ist das sine qua non von Regierungsmacht. Diese Kooperation muss aufrechterhalten werden, wofür konstante Unterstützung für die palästinensischen Sicherheitskräfte sowie das Bekenntnis zu ihrer Integrität und der Moral ihrer Offiziere notwendig sind. Auch amerikanische Unterstützung in Diplomatie und Sicherheit vor Ort wird nötig sein, um sicherzustellen, dass die Sicherheitskooperation unabhängig ist von der politischen Effekthascherei, die einer Konfrontation bei der UN zwangsläufig folgen würde.

Sobald sich der Staub einer möglichen diplomatischen Krise legt, wird die Schaffung einer Zweistaatenlösung weiterhin ein amerikanischer, israelischer und palästinensischer Imperativ für nationale Sicherheit sein. Für ein Friedensabkommen werden ernsthafte israelische und palästinensische Partner benötigt. Der Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde ist deshalb nicht im amerikanischen und israelischen Interesse. Ebenso wenig wird eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Palästinenser dem Frieden und moderaten Stimmen dienen. Man schaue sich nur Gaza an.

Während der letzten zwei Jahre hat das palästinensische Programm zum Aufbau von Institutionen zu Stabilität und Prosperität beigetragen. Es hat zudem einen Mechanismus geschaffen, durch den Fortschritt zwischen Palästinensern und Israelis andauern kann, selbst wenn Diplomatie scheitert. Dieser Weg sollte zu einem solch sensiblen, emotional geladenen Zeitpunkt nicht verschlossen werden, selbst wenn Verhandlungen in der nahen Zukunft unerreichbar scheinen. Dafür ist die Klugheit vonnöten, über diplomatische und politische Uneinigkeiten hinauszublicken und stattdessen auf dem aufzubauen, was die Palästinenser mit internationaler, und in der Tat israelischer, Kooperation bereits erreicht haben.

Die Palästinenser haben die Summe, die sie von Spendern benötigen, stetig reduziert und sind entschlossen, ein Sparprogramm einzurichten, das sie vor der Unbeständigkeit ausländischer Hilfe und wechselnden Einstellungen der Spenderländer schützt. Die internationale Gemeinschaft sollte mit dieser verantwortlichen Politik durch entsprechend gestaltete und verlässliche Hilfsleistungen gleichziehen.

Der US-Kongress kann verlangen und sollte sicherstellen, dass die palästinensischen Finanzen transparent und verantwortlich sind. Die Finanzleistungen an die Palästinensische Autonomiebehörde oder an die internationalen und UN-Behörden, die in den palästinensischen Gebieten aktiv sind, jedoch zu kürzen oder ganz zu unterbrechen, würde die Spannung vor Ort erhöhen und direkt in die Hände extremistischer Gruppen und ihrer regionalen Unterstützer spielen. Die fortdauernde Unterstützung des palästinensischen Programms zum Aufbau von Institutionen würde einen dringend gebrauchten Anker erhalten, der den möglichen negativen Effekt der Ereignisse im September ausgleichen könnte, bis bedeutsame Verhandlungen erneut möglich sind.

Jede Kürzung von Finanzmitteln, die die wichtigen Errungenschaften des palästinensischen Institutionenaufbaus, der das Leben der Palästinenser in den besetzten Gebieten so stark verbessert hat, gefährdet – oder auch die Sicherheitskräfte, deren Kooperation mit Israel Recht und Ordnung garantiert und Terrorismus stark vermindert hat -, würde nicht nur die Palästinenser strafen. Sie würde auch zu Spannungen führen, in die Hände von Extremisten spielen und für Israel und Amerika ein weit ernsteres Problem am „Tag danach“ schaffen. Simpel ausgedrückt: Es wäre ein Fehler, der eine schwierige Situation für alle Parteien nicht nur noch schwieriger machen würde, sondern möglicherweise sogar unbeherrschbar.

Ziad J. Asali ist Gründer und Präsident des American Task Force on Palestine

Originalversion: Train Wreck in Turtle Bay by Ziad J. Asali, Foreign Policy, September 8, 2011; Übersetzung: TIP – The Israel Project