Seltene Krankheiten gehören zu den grössten Herausforderungen moderner Gesundheitssysteme – nicht wegen ihrer Schwere allein, sondern vor allem, weil sie häufig über Jahre hinweg unerkannt bleiben. Die Leidtragenden sind die Patienten, deren Symptome oft als psychisch, unspezifisch oder schlicht „unerklärlich“ abgetan werden. Ein israelisches Start-up will diesen Missstand nun beenden – mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz.
Rund 350 Millionen Menschen weltweit leiden laut Schätzungen an einer seltenen oder bislang nicht diagnostizierten Krankheit. Doch weil jede einzelne dieser Erkrankungen so selten ist, verfügen viele Gesundheitssysteme über kaum verwertbare Erfahrungswerte oder Fallzahlen. Ärztinnen und Ärzte sehen solche Fälle meist nur ein einziges Mal im Laufe ihrer Karriere – wenn überhaupt.
„Das System ist einfach nicht darauf ausgelegt, seltene Krankheiten zu erkennen“, sagt Noam Alon, Mitgründer und CEO von Impilo, einem jungen israelischen Unternehmen, das mit einer KI-gestützten Diagnostikplattform genau hier ansetzt. Impilo nutzt maschinelles Lernen, natürliche Sprachverarbeitung und intelligente Datenanalyse, um medizinische Akten gezielt nach Symptomen seltener Erkrankungen zu durchforsten – und zwar dort, wo andere Systeme scheitern: im Fliesstext von Arztberichten, Entlassungsschreiben und Befunden.
Mehr als nur Daten: Das Lesen zwischen den Zeilen
„Unsere Besonderheit ist, dass wir mit medizinischen Texten arbeiten, nicht nur mit strukturierten Daten“, erklärt Alon gegenüber der Nachrichtenagentur israel21c. Denn viele Symptome, die auf seltene Erkrankungen hinweisen, sind in standardisierten Datensätzen oft gar nicht codiert oder werden fälschlich anderen Diagnosen zugeordnet. Impilo extrahiert diese Informationen direkt aus dem Kontext der Patientenakte – ohne dabei die Daten aus dem geschlossenen System herauszuziehen, was einen wichtigen Beitrag zum Datenschutz leistet.
Zeigt das System Hinweise auf eine mögliche Fehldiagnose, wird automatisch ein Warnhinweis generiert – inklusive einer Erläuterung, warum eine bestimmte Erkrankung in Betracht gezogen werden sollte. Die Ärzte bleiben dabei in der Entscheidungshoheit, erhalten jedoch einen wichtigen Impuls für weitere Abklärungen.
Von der persönlichen Erfahrung zur Innovation
Die Idee für Impilo ist nicht nur ein Produkt technischer Raffinesse, sondern hat eine zutiefst persönliche Vorgeschichte: 2017 erkrankte Alons damals 15-jährige Tochter schwer – ohne dass ein Arzt eine Ursache finden konnte. Erst nach zahlreichen Klinikaufenthalten brachte ein privater Spezialist die rettende Diagnose – einzig deshalb, weil er kurz zuvor einen ähnlich gelagerten Fall behandelt hatte. „Da wurde mir klar, wie viel Zufall heute noch bei Diagnosen im Spiel ist – und dass wir das ändern müssen“, so Alon.
Gemeinsam mit einem Kollegen aus dem Militärgeheimdienst und einem erfahrenen Unternehmer gründete er Impilo im Jahr 2021. Der Name ist Programm: „Impilo“ bedeutet auf Zulu „Gesundheit“.
Der britische Gesundheitsmarkt als Sprungbrett
Bislang besteht das Kernteam von Impilo nur aus den drei Gründern und zwei beratenden Ärzten. Doch die Vision ist gross: Unterstützt von der Israel Innovation Authority und ausgewählt für ein Förderprogramm der Dangoor Health-Tech Academy, arbeitet das Start-up nun am Einstieg in den britischen Gesundheitsmarkt – mit Blick auf eine spätere Expansion in die USA, nach Kanada und Europa.
„Unser Ziel ist es, dass kein Mensch mehr jahrelang mit einer unklaren Erkrankung leben muss“, sagt Alon. „Wenn wir es schaffen, den Anteil der chronisch undiagnostizierten Patienten auf null zu senken, wäre das der grösste Erfolg.“
Hightech für die Menschlichkeit
Impilo steht exemplarisch für eine Entwicklung, in der israelische Start-ups nicht nur technologisch, sondern auch ethisch neue Massstäbe setzen: Hightech nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug zur Verbesserung des menschlichen Lebens. In einer Zeit, in der KI oft als Bedrohung wahrgenommen wird, liefert Impilo den Gegenbeweis – und zeigt, was möglich ist, wenn menschlicher Antrieb und technologische Innovation Hand in Hand gehen.
Seltene Krankheiten – eine unterschätzte Herausforderung
Definition: Als selten gilt eine Krankheit, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen in einer Region betroffen sind.
Betroffene weltweit: Schätzungsweise 350 Millionen Menschen leiden an einer seltenen oder undiagnostizierten Krankheit.
Diagnosedauer: Im Durchschnitt dauert es 5 bis 7 Jahre, bis eine seltene Erkrankung korrekt diagnostiziert wird.
Häufige Fehlerquellen: Symptome wirken oft unspezifisch oder treten zeitlich stark versetzt auf – dadurch werden sie nicht zusammengeführt.
Beispiele: Tuberöse Sklerose, Fabry-Krankheit, Pulmonale Fibrose – viele Ärzte sehen solche Fälle nur ein einziges Mal im Berufsleben.