
Der Prozess gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zeigt, dass es in der internationalen Justiz an grundlegenden rechtsstaatlichen Standards mangelt. Dennoch hält man im Aussendepartement an der Illusion eines unfehlbaren Systems fest und ignoriert kritische Fragen.
Am 29. Dezember 2023 reichte Südafrika beim IGH eine Klage gegen Israel ein, in der es Israel beschuldigt, gegen die Völkermordkonvention zu verstossen. Das Verfahren ist noch im Gange. Zurzeit hat Israel bis Ende Juli 2025 Zeit, um auf eine Stellungnahme Südafrikas zu antworten. Als Präsident des IGH lag die Verantwortung für ein faires Verfahren bis zu seinem kürzlichen Rücktritt beim libanesischen Juristen und Diplomaten Nawaf Salam, der am 6. Februar 2024 in dieses Amt gewählt wurde. Doch konnte er dieser Aufgabe überhaupt gerecht werden?
Nawaf Salam verurteilte Israel 210-mal als UN-Botschafter
Libanon erklärte Israel am 15. Mai 1948 als Mitgliedstaat der arabischen Liga den Krieg. Der Kriegszustand endete 1983 mit einem kurzlebigen Friedensvertrag, der aber schon 1984 von libanesischer Seite wieder aufgehoben wurde. Konkret bedeutet das: Der Libanon befindet sich bis heute im Kriegszustand mit Israel. Mit dem Angriff der Hisbollah auf Israel am 8. Oktober 2023 ist dieser Krieg wieder in eine heisse Phase getreten.
Salam hatte in seiner diplomatischen Karriere immer wieder wichtige repräsentative Funktionen für den Zedernstaat übernommen und stimmte als UN-Botschafter 210-mal gegen den jüdischen Staat, wie der NGO UN Watch recherchierte. Salam ist daher klar Partei. Statt in den Ausstand zu treten, übernahm er jedoch den Vorsitz über das Verfahren.
Schweiz seit 1948 dem IGH unterstellt
Im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist man voll des Lobes über die internationale Justiz, die vermeintlich zur «Verwirklichung einer stabilen und gerechteren Weltordnung» beitrage, wie es auf dessen Webseite heisst. Der Rechtsprechung des IGH hat man sich bereits 1948 unterstellt: «Seine Urteile und seine Rechtsgutachten machen ihn zu einer unverzichtbaren Komponente der internationalen Rechtsordnung. Die steigende Zahl der Rechtssachen und Rechtsfragen, die ihm vorgelegt werden, zeugt vom Vertrauen der internationalen Gemeinschaft.»
Ein Richter mit politischen Ambitionen
Nawaf Salam hegt schon lange politische Ambitionen. 2022 kandidierte er zum libanesischen Premier – und scheiterte damals am pro-Hisbollah Kandidaten Nadschib Miqati. Anfang 2025 wurde sein Traum endlich Realität: Am 13. Januar 2025 setzte er sich im Parlament gegen seinen Rivalen Miqati durch. Der Zeitstrahl zeigt: Das Amt am IGH war nur die Vorstufe für seine Wahl zum Premier. Hätte er sich am IGH in einer Weise verhalten, die als pro-israelisch oder übermässig neutral gewertet werden könnte, wäre er kaum gewählt worden.
Am 14. Januar 2025 trat Salam als IGH-Präsident zurück. In seiner Rede gleichentags versprach er, «den vollständigen Rückzug des Feindes aus dem letzten besetzten Zentimeter unseres Landes» sicherzustellen. Mit dem Feind meinte er Israel, das Land also, über das er bis zu just jenem Tag als Richter ein Urteil zu sprechen hatte.
Keine Antworten
Angesprochen auf die mögliche Befangenheit Salams verweigert das EDA eine klare Stellungnahme: «Das EDA kommentiert diese Aussagen nicht. Die Schweiz unterstützt den Internationalen Gerichtshof (IGH) seit langem.» Auch aus der Presseabteilung des IGH heisst es nur, man «könne sich nicht zu Äusserungen ehemaliger Mitglieder des Gerichtshofs äussern.» Grundlegende Fragen zu den Mechanismen, die die Neutralität des Gerichts sicherstellen sollen, werden nicht beantwortet. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die internationale Justiz und ihre Unterstützer kritische Fragen nicht gewohnt sind.
Zwischen der idealistischen Vorstellung der internationalen Justiz und der Umsetzung klafft eine grosse Lücke. Jedes einheimische Gericht hätte angesichts der Voreingenommenheit des Gerichtspräsidenten den Prozess neu aufrollen müssen. Doch ausgerechnet für die hochgelobte internationale Justiz scheinen keine Standards zu gelten. Im EDA hält man dennoch an der Illusion eines unfehlbaren Systems fest.
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