Fortschritt für arabische Frauen? Kaum.

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Haleh Esfandiari

Wie ist es den Frauen in den arabischen Aufständen ergangen? Haleh Esfandiari, die Direktorin des Middle East Program am Woodrow Wilson International Center for Scholars, wollte dies anlässlich des Internationalen Frauentages von Wissenschaftlerinnen, Aktivistinnen, Journalistinnen, Politikerinnen, Beamtinnen und Geschäftsfrauen wissen. Die Antworten vor allem der Frauen aus den Ländern mitten im Nahen Osten fallen deprimierend negativ aus – bisweilen regelrecht vernichtend.

Ein Aspekt, den diese Frauen thematisieren, ist die Tatsache, dass Frauen in den Aufständen der arabischen Welt eine entscheidende Rolle gespielt haben – um an den Rand gedrängt zu werden, sobald der gesellschaftliche Übergang einsetzte. Die ehemalige ägyptische Botschafterin in Südafrika und Ministerin für Familie und Bevölkerung Moushira Khattan schreibt, Frauen hätten gemeinsam mit den Männern den Ruf nach Freiheit auf dem Tahrir-Platz angestimmt. Seither aber hat „der Zug der Veränderung sie nicht nur zurückgelassen, sondern sich eigentlich gegen sie gewendet … durch einen religiösen Diskurs werden schlafende konservative Werte geweckt, die den Frauen ihre Rechte verwehren“.

Die iranische Nobelpreisgewinnern und Menschenrechtsaktivisten Shirin Ebadi sagt rundheraus, dass „‘arabischer Frühling’ keine genaue Beschreibung der Geschehnisse ist“. Nach der iranischen Revolution „hat ein Diktator die Macht verloren, aber statt der Demokratie hat religiöse Tyrannei seinen Platz eingenommen“. Das Ziel der Aufstände wird erst erreicht sein, „wenn Frauen ihre Rechte erhalten“, sagt sie.

Viele schätzen den Erfolg einer Politik, die auf Tradition und Religion beruht, als zutiefst schädlich für die Frauen ein. Rola Dashti war Abgeordnete im kuwaitischen Parlament, bis sie ihren Sitz im letzten Monat verloren hat; bei diesen Wahlen haben die Islamisten zugelegt, keine einzige Frau wurde gewählt. Sie stellt fest, dass „aus einer marginalisierten Präsenz und Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben unter repressiven Regimes, besonders in der Politik, bei Entscheidungsträgern und allen staatlichen Angelegenheiten, jetzt unter islamistischen Regimes regelrechte Ablehnung geworden ist“. Was den gemässigten Islam angeht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund: „Dass die Islamisten an der Macht den gemässigten Islamismus unterstützen, ist im Hinblick auf soziale Aspekte und Bürgerrechte, besonders wenn es um Frauen geht, nichts weiter als eine versteckte Agenda radikaler und extremistischer Ideologien“.

Rend Al-Rahim, die erste irakische Botschafterin in den USA nach dem Fall Saddam Husseins und heute Leiterin der Iraq Foundation, sagt, die Einschränkung von Frauenrechten habe „mehr zu tun mit dem Wiederaufleben patriarchaler, engstirniger konservativer gesellschaftlicher Bräuche, die in antike Stammesbräuche eingebettet sind, als mit Religion. Die Scharia ist nur ein Alibi für den tiefen männlichen Instinkt nach Dominanz“.

Interessanterweise stammen einige optimistische Beiträge aus dem Maghreb. Die Tunesierin Omezzine Khéleifa, die erfolglos mit der Ettakatol-Partei bei den Parlamentswahlen angetreten war, merkt an, das tunesische Familienstandgesetz sei das fortschrittlichste der arabischen Welt. „Den Frauen ist klar, dass sie es sind, die am meisten zu verlieren haben, wenn der Übergang nicht gut verläuft, und nehmen als Folge weiterhin sehr aktiv am politischen Prozess teil“, schreibt sie. Aufgrund des progressiven Wahlgesetzes in Tunesien haben Frauen 27 Prozent der Parlamentssitze bei den Oktober-Wahlen erhalten, erwähnt sie, und „die NGOs von Frauen waren wichtig, um die tunesische Regierung dazu zu bringen, die wichtigsten Vorbehalte gegenüber der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW) aufzuheben. Tunesien ist das erste Land in der Region, das diesen Schritt gemacht hat“.

Najat Zarrouk aus Marokko meint, die jüngsten Aufstände hätten „ein günstiges Umfeld“ für den demokratischen Prozess in ihrem Land geschaffen, insbesondere durch die neue Verfassung im vergangenen Jahr, die für „gleiche Rechte, Chancengleichheit und Leistungsorientierung“ gesorgt hat.

Für ein Urteil über die langfristige Entwicklung der Frauenrechte ist es noch zu früh. Die marokkanische Professorin Souad Eddouada meint, der Aufstand des vergangenen Jahres habe „in der Art der Graswurzelbewegung viel Engagement von Jugendlichen hervorgebracht; dort herrscht ein gleichberechtigter Zugang zu den sozialen Medien, was Einzelpersonen unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sozialen Herkunft zur Teilnahme befähigt“.  Wenn das vergangene Jahr zu solcher Ermächtigung einzelner geführt hat, hat sich damit ein Geist verbreitet, der sich schwerlich wieder unterdrücken lassen wird. Doch viele werden dies dennoch versuchen.

Vom CFR.org. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. Für weitere Analysen und Blogeinträge über den Nahen Osten und Aussenpolitik, besuchen Sie CFR.org.

Originalversion: Uneven Progress for Arab Women by Isobel Coleman © Council on Foreign Relations. March 6, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.