Ägyptens Regierung: böswillig oder inkompetent?

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Die Entscheidung der ägyptischen Regierung, die Räume prodemokratischer NGOs wegen krimineller Aktivitäten zu durchsuchen, und das anschliessende Reiseverbot für Mitarbeitende hat nicht nur Pläne von sechs Amerikanern ruiniert, die nun dort festsitzen; sie löste auch eine ernste Krise in den Beziehungen zwischen Kairo und Washington aus. Doch die Reaktion der Obama-Regierung hängt von einer Frage ab, die noch nicht beantwortet ist: Löst Ägyptens derzeitige Regierung bewusst einen Konflikt aus oder ist sie einfach nur unfähig, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln?

Während der Kongress darauf drängte, einen Teil seiner jährlichen militärischen Auslandshilfe an Ägypten einzubehalten, ist das Weisse Haus vorsichtig und zögert, die guten Beziehungen zum Obersten Rat der Streitkräfte (engl.: Supreme Council of the Armed Forces, SCAF), der in Ägypten derzeit herrschenden Junta, zu verlieren. Ausserdem ist die Obama-Regierung noch nicht davon überzeugt, dass der SCAF an der Durchsuchung der NGOs direkt Schuld trägt, und hält vielmehr ägyptische Regierungsbeamte für verantwortlich, deren Aktionen sie ausserhalb der rechtsstaatlichen Kontrolle des SCAF vermutet. Aus dem Weissen Haus wird es so lange keine klare Reaktion geben, bis dort zufriedenstellend geklärt ist, ob Kairo feindlich gesinnt oder einfach nur inkompetent gehandelt hat.

Washington ist nicht der einzige Ort, an dem man sich diese Frage stellt. Sie beunruhigt praktisch jeden, der ein Interesse an Ägypten hat – am allermeisten die Ägypter selbst. In den  Nachwehen des jüngsten Massakers bei dem Fussballspiel von Port Said zeigten sich die Ägypter tief gespalten über die Frage, wem sie die Schuld für das Geschehene geben sollten. Während demonstrierende Jugendliche der Meinung waren, dass der SCAF die Gewalt inszeniert habe, beschuldigten andere – einschliesslich einer parlamentarischen Untersuchungskommission unter der Leitung eines Abgeordneten der salafistischen Al-Nour-Partei (Partei des Lichts) – die örtlichen Sicherheitsbehörden in Port Said und die ägyptische Fussballbehörde, die Fans nicht gründlich durchsucht zu haben. Die Bemühungen des Parlaments, die Regierung verantwortlich zu machen, liefen auf eine weitgehende Entlastung des SCAF hinaus.

Die Debatte über die strafrechtliche Verfolgung prodemokratischer NGOs folgt dem gleichen Muster. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Beweise für die direkte Beteiligung des SCAF an dieser Razzia. Als Ägyptens Staatsanwaltschaft die NGOs am 29. Dezember ein erstes Mal durchsuchte, war Berichten zufolge auch Militärpersonal dabei. Darüber hinaus haben die staatlichen Medien, die unter der Kontrolle des SCAF stehen, die Razzien wiederholt gutgeheissen. Und dass Berichten zufolge Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, Vorsitzender des SCAF, es war, der US-Verteidigungsminister Leon Panetta versprochen hat, den betroffenen NGOs werde die Wiedereröffnung ihrer Büros gestattet, legt nahe, dass in der Tat der SCAF in dieser Situation das Sagen hat.

Doch es gibt auch gute Gründe, an der direkten Schuld des SCAF zu zweifeln. Zunächst hat der SCAF die noch aus der Ära Mubarak stammende Ministerin für Internationale Zusammenarbeit, Fayza Aboul Naga, aufgefordert, sich mit rhetorischen Angriffen zurückzuhalten in der Frage der Finanzierung von NGOs durch Washington, die nicht bei der ägyptischen Regierung registriert sind. Nachdem auf Aboul Nagas Beschwerde hin nun die Untersuchungen darüber im Gange sind, sagt der SCAF, er könne nicht rechtmässig eingreifen, ohne das ägyptische Justizsystem zu unterlaufen, so fehlerhaft es auch sein mag. In Verteidigung dieser Position zitiert der SCAF die Bedingungen der USA für die militärische Auslandshilfe an Ägypten; diese verlangen ausdrücklich, dass die Regierung ein ordnungsgemässes rechtsstaatliches Verfahren unterstützt. Der SCAF argumentiert nun, ein Stopp der Untersuchungen würde eine Abkehr von dieser Bestimmung bedeuten.

Letztlich trägt der Grossteil der SCAF-Erklärungen einfach zur Verschleierung bei. Selbst wenn er die Untersuchung der NGOs, die Aboul Naga befürwortete, nicht beeinflussen kann, spricht die Tatsache, dass er eine offenkundig antiamerikanische Beamtin als Ministerin für Internationale Zusammenarbeit beibehalten hat, für die feindliche Gesinnung des Militärs. Ägyptens Kabinett wurde während der vergangenen zwölf Monate drei Mal umgebildet wurde, doch Aboul Naga ist eine der wenigen gewesen, die ihren Platz behalten haben; das legt die Vermutung nahe, dass sie vom Regime als Figur benutzt wird, um die USA ins Visier zu nehmen. So sieht es Michael Meunier, Vorsitzender des US-Copts Association (Koptenvereinigung der USA), der wie andere daran gehindert wurde, Ägypten zu verlassen.

Am Ende führen ein feindlich gesinnter SCAF und ein inkompetenter SCAF zum selben Ergebnis: wachsende Spannungen zwischen Washington und Kairo und eine ägyptische Regierung, die ihr Volk mit dem Mythos abspeist, dass die von den USA finanzierten Organisationen vor Ort Chaos stiften. Natürlich benötigt Washington angesichts der geopolitisch zentralen Bedeutung Ägyptens für Nahostangelegenheiten eine funktionierende Beziehung zum ägyptischen Militär. Doch sei es durch den Mangel an Disziplin oder den an gesundem Menschenverstand des SCAF: der Wert dieser Beziehung ist deutlich geschmälert. Ob der SCAF die prodemokratischen NGOs nun böswillig ins Visier nimmt oder einfach unfähig ist, andere daran zu hindern, dies zu tun – eine Sache sollte klar sein: Washingtons Beziehung zu ihm ist nicht mehr 1,3 Milliarden Dollar wert.

Eric Trager, Ira-Weiner-Fellow am Washington Institute, schreibt an der University of Pennsylvania seine Dissertation über Ägyptens Oppositionsparteien im Fachbereich Politikwissenschaften.

Originalversion: Is Egypt’s Government Malicious or Incompetent? By Eric Trager © The Washington Institute for Near East Policy, February 18, 2012. All rights reserved.