Der Rapper, der dem König von Marokko die Stirn bietet

0
Lesezeit: 4 Minuten
L7a9ed Januar 2012 Foto: wikimedia.org/L7a9ed

Sein Künstlername ist L7a9ed (zu lesen L‘haqed) – der Empörte. Mouad Belghouat, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, ist ein 24 Jahre alter Rapper aus einem der ärmsten Slums von Casablanca, der vor kurzem durch seine Kritik am Königreiche Marokko bekannt wurde.

Seine Texte waren so mächtig und stark, dass L7a9ed zu einem der meistgesuchten Dissidenten in Marokko wurde. In einem seiner Songs heisst es: „Diese Menschen leiden stumm, kriechen in den Strassen, müde davon, sich im Kreis zu drehen … und was tut ER [der König von Marokko]? […] Ich bin derjenige, der wählen sollte, wen ich als heilig betrachten will! Und wenn du uns verstehen willst, komm und lebe bei uns. Allah, das Land, Freiheit!“

Das offizielle Motto Marokkos lautet: „Allah, das Land, der König“. L7a9ed jedoch ersetzte das Wort „König“ durch „Freiheit“ – ein symbolischer Angriff auf das Königreich, dass er als ein System der absoluten Macht beschreibt, das während der vergangenen vier Jahrzehnte über Marokko geherrscht hat und auf königlicher Prominenz, Geschäftsleuten, wohlhabenden Landbesitzern, Stammesführern, hochrangigem Militärpersonal und so weiter beruht. Auch wenn seine Musik vielleicht nicht unbedingt die genialste ist, hat seine kritische Botschaft einen starken Einfluss auf die jüngere Generation, besonders, da sie die Ereignisse um sich herum im Nahen Osten sehen. Nun sind die Songs von L7a9ed zur Hymne des marokkanischen Protests geworden.

Obgleich die marokkanischen Behörden vom Angriff des jungen Rappers auf die Monarchie höchst beunruhigt waren, konnten sie nicht direkt etwas gegen ihn unternehmen, da er gegen kein Gesetz verstiess. Jedoch wurde ein Zwischenfall geschaffen oder trat ein, und der junge Rapper kam ins Gefängnis.

Laut einer Rekonstruktion des liberalen marokkanischen Magazins Tel Quel, begann alles in der Nacht des 9. September 2011, als L7a9ed und einige seiner Freunde Flugblätter für eine Kundgebung der M20-Gruppe, einer oppositionellen pro-demokratischen Bewegung, verteilten. Irgendwann wurden L7a9ed und seine Freunde von einem Mann verbal angegriffen, der zu schreien begann, L7a9ed sei „der Verräter“. Offensichtlich folgte eine Auseinandersetzung, die jedoch laut dem Rapper und anderen Zeugen ohne jegliche physische Gewalt ablief. Dennoch wurde eine Beschwerde gegen den jungen Rapper eingereicht, weil er dem Mann, der ihn zuvor beleidigt hatte, angeblich gegen den Kopf geschlagen hatte.

L7a9ed wurde dann telefonisch bei der Polizei vorgeladen. Sobald er sich auf der Polizeistation befand, wurde der Rapper nicht über die angebliche Gewalt verhört, sondern über seine politischen Aktivitäten: „Sie sprachen über meine Aktivitäten in der Nachbarschaft“, sagte er. Nach einigen Stunden der Befragung kam der Vernehmer schliesslich zur eigentlichen Sache: „Du kannst singen, was immer du willst“, sagte er offenbar, „aber erwähne nicht den König.“

Am folgenden Tag wurde er kurz vom Staatsanwalt verhört, und später wurde er ins Krankenhaus gebracht, um seine Version zu überprüfen. „Während ich im Auto war“, sagte er, „hörte ich, wie ein Polizist zu seinem Vorgesetzen sagte, dass sich der Arzt in dem Krankenhaus geweigert hatte, ein ärztliches Attest für den [den Mann, der ihn beleidigt hatte] auszugeben.“ Trotzdem gelang es dem Mann, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, irgendwie, ein Attest für 45 Tage Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Somit wurde L7a9ed nach einer Verlängerung der Dauer des Polizeigewahrsams offiziell in das Staatsgefängnis eingeliefert.

Laut Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen war die Verhaftung politisch motiviert. Die M20-Bewegung organisierte Demonstrationen vor der Sicherheitszentrale in Casablanca; eine Unterstützung der Rap-Vorführungen hätte die Monarchie destabilisieren können. Als Folge wurde der junge Rapper zu einer Haftdauer von vier Monaten verurteilt, der Zeit, die er bereits im Gefängnis verbracht hatte, und zu einer Geldstrafe von 500 Dirhem (60 US-Dollar); danach wurde er entlassen.

Heute hat Marokko eine neue Verfassung. Der König jedoch behält noch immer Befugnisse bei, die über das hinausreichen, was normalerweise in parlamentarischen Monarchien geschieht. Insbesondere behält der König die Macht über den Regierungschef bei: Er muss durch seinen Vorsitz im Ministerrat und im Nationalen Sicherheitsrat seine direkte oder indirekte Zustimmung zu allen Entscheidungen geben. Kein einziger Regierungsbeschluss kann ohne die Zustimmung des Königs verkündet werden, und wann er seine Befugnisse delegiert, bleibt vollständig von seiner Willkür abhängig. Diese Macht und Heiligkeit, die dem König zugeschrieben werden, erklären die Überreaktion eines Systems, das noch immer in der Vergangenheit verankert ist.

Originalversion: The Rapper Who Defied the King of Morocco by Amel Chraibi © Stonegate Institute, February 17, 2012.