Östlicher Mittelmeerraum: Strategische Neuausrichtung und Energiesicherung

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Das östliche Mittelmeer rückt zunehmend ins Zentrum einer wachsenden geopolitischen tektonischen Verschiebung. Die Türkei sieht sich heute, ermutigt durch die Amtsenthebung prowestlicher Führer in der Region, als wiedererstarkte Herrin einer Region, die einst und bis zur Auflösung ihres Reiches von ihren osmanischen Vorgängern beherrscht wurde.

Mit diesem Ziel vor Augen hat die regierende AKPPartei ihre Aussenpolitik neu ausgerichtet und dabei strategische Bündnisse mit ihren arabischen Nachbarn wie auch terroristischen Organisationen wie der Hamas geschmiedet. Dieses türkische Vorgehen ist eine logische Erweiterung der Doktrin der „Strategischen Tiefe“, zu der die Forderung nach türkischer Dominanz über die Gewässer des Mittelmeeres gehört, einschliesslich seiner Seewege und Meeresressourcen.

Erdgas: keine sichere Energiequelle für Israel

Dass die Türkei ihre islamistischen Referenzen so enthusiastisch zur Schau gestellt hat, führte zum Einfrieren ihrer strategischen Partnerschaft mit Israel. Daraufhin hat Israel aktiv nach neuen Verbündeten in der Nachbarschaft gesucht und Griechenland und Zypern umworben.

Einer der kritischen Punkte im neu entstehenden Kräfteverhältnis ist die wachsende Bedeutung der Energiesicherung für alle globalen Angelegenheiten. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Türkei sich selbst als unverzichtbaren Energieumschlagplatz für Europa und Israel präsentiert, und die Regierung Erdogans steht einer israelisch-zypriotischen Erdgasförderung feindselig gegenüber. Die Erdgasfelder befinden sich im Mittelmeerschelf der Republik Zypern, und ihre Eigentümerschaft wird von der Türkei heftig angefochten.

Für Israel wird Gas zu einer immer wichtigeren Energiequelle. Rund 36 Prozent seines Strombedarfs wird zurzeit durch Gas gedeckt, Prognosen gehen von steigenden Anteilen auf rund 70 Prozent bis zum Jahr 2020 aus. Damit würden die Gasimporte aus Ägypten zunehmend wichtig. Auf lange Sicht jedoch muss Israel seine heimischen Gasquellen entwickeln und sich von diesem unzuverlässigen Anbieter unabhängiger machen. Der Ausgang dieser Entwicklung wird in hohem Masse von der Dynamik der weiteren israelisch-ägyptischen Beziehungen beeinflusst.

Ägypten versorgt Israel seit 2008 über eine einhundert Kilometer lange Unterwasserpipeline zwischen al-Arisch im nördlichen Sinai und einer Gasimportanlage in Aschkelon an Israels Mittelmeerküste mit Gas. In den vergangenen sechs Monaten wurde die Pipeline im Sinai von Aktivisten fünfmal in die Luft gesprengt, was die Energiepreise in Israel sprunghaft hat ansteigen lassen. Unterdessen ist davon auszugehen, dass Israels Offshore-Mari-B-Feld bis zum Jahr 2013 erschöpft sein wird.

Schon in den vergangenen Jahren haben Israel und Zypern verstärkt nach unabhängigen Energiequellen in ihren Mittelmeerschelfen gesucht. Im Dezember 2010 unterzeichneten die Regierungen von Israel und Zypern ein Abkommen, das die Ausschliesslichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones EEZ) der beiden Länder definiert. Eine klare Grenzlinie ist wichtig für den Schutz von Israels Rechten an den unterseeischen Öl- und Gasvorkommen. In den vergangenen drei Jahren hat Israel Funde im Tamar- und Leviathan-Gasfeld gemacht, und nach 2013 wird es sich auf die Förderung aus diesen kürzlich entdeckten Gasfeldern verlassen.

Israelische Gasfunde werden von der Türkei und den Libanon angefochten

Im September 2011 sagte Ministerpräsident Erdogan, dass die Türkei „angemessene Massnahmen ergreifen“ und „eine einseitige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des östlichen Mittelmeeres durch Israel verhindern“ wird. Mitte September sandte die Türkei drei Kriegsschiffe zum „Schutz“ des von der türkischen Regierung angeheuerten norwegischen Schiffes, das in den Hoheitsgewässern der Republik Zypern Gasexplorationen durchführen sollte. Unter dem Druck der Türkei willigte die Regierung in Nikosia ein, künftige Gasressourcen mit ihrem nördlichen Nachbarn zu teilen. Im November erklärte der türkische Energieminister Taner Yildiz die israelischen und zypriotischen Gas- und Ölexplorationen im östlichen Mittelmeer für illegal und forderte ein Abkommen zwischen allen Parteien – einschliesslich der Türkei und der Türkischen Republik Nordzypern –, und dass die Ressourcen gleichmässig aufgeteilt werden sollen.

Auch der Libanon hat seinen Widerspruch gegen die neu entdeckten Gasfelder in der israelischen EEZ angekündigt. Beirut versuchte, eine Beschwerde bei der UN über die derzeitige Markierung der Seegrenzen zwischen den beiden Ländern, die sich formal noch im Kriegszustand befinden, einzulegen. Die libanesischen Behörden behaupten, dass sich zumindest ein Teil der Gasreserven in der EEZ  des Libanon befindet.

Wie Zypern und Israel reagieren

Auf die jüngsten feindlichen Aktionen der Türkei reagierte Zyperns Präsident Dimitris Christofias mit der Bemerkung: „Wenn die Türkei ihre Kanonenbootdiplomatie nicht ändert und nicht aufhört, die Rolle der regionalen Polizei zu spielen, wird es Konsequenzen geben, die mit Sicherheit nicht gut sein werden – entweder für die ganze Region oder das türkische Volk, vor allem aber für die türkischen Zyprioten“.

Und Zyperns Aussenministerin Erato Kozakou-Marcoullis teilte ihre Bedenken hinsichtlich der türkischen Provokationen US-Aussenministerin Hillary Clinton im Dezember bei einem Besuch in Washington mit. Bei ihrer Abreise fühlte Kozakou-Marcoullis sich ermutigt, die Gasförderung fortzusetzen und die türkischen Bedrohungen zu ignorieren. In einer Rede am Woodrow Wilson International Center for Scholars sagte sie: „Die Spannungen mit Israel waren nur der Beginn einer konzertierten Anstrengung Ankaras, andere zu delegitimieren, um die eigenen Aktionen zu legitimieren.“

Israels Energieminister Uzi Landau machte als Reaktion auf den Aufmarsch der türkischen Marine nahe der israelischen Gasanlagen deutlich, Israel werde an seinen Gasplattformen weiterbauen – und sie verteidigen. Und israelische Behörden erklärten, dass sie zum Schutz ihrer Bohrinseln unbemannte Seefahrzeuge einsetzen würden, ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten, Radaranlagen und Mehrfachraketenwerfersystemen.

Fazit

Das jüngste internationale Verhalten der Türkei ist ein deutliches Zeichen dafür, dass ihre Führung, die ein neoimperiales Syndrom motiviert, die Aussenpolitik des Landes in gefährliche Gewässer führt. Der Konflikt über die Energieressourcen im östlichen Mittelmeer verschärft die bereits angespannten türkisch-israelischen Beziehungen weiter.

Angesichts des zunehmenden globalen Wettbewerbs um Energieressourcen sollte Israel die Entwicklung neuer Gasfelder in seiner Ausschliesslichen Wirtschaftszone EEZ beschleunigen. Da Israel plant, sein Gas nach Europa und an seinen neuen strategischen Partner Indien zu exportieren, muss es die Legitimität und Sicherheit seiner Gas- und Seeanlagen demonstrieren. Israel sollte daher auch eine diplomatische Kampagne anstrengen, um den Einfluss über seine EEZ auf Augenhöhe zu erhalten. Darüber hinaus sollte Israel seine Marinepräsenz in seiner EEZ erhöhen, um seinen Zugang zu deren Ressourcen zu schützen. Schliesslich sollte Israel seine Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten im östlichen Mittelmeerraum vertiefen – wie mit Griechenland und Zypern –, um die Sicherheit der Energieversorgung aufrechtzuerhalten und Pipelines für Energieexporte nach Europa zu bauen.

 

Alexander Murinson, unabhängiger Forscher, promovierte an der School of Oriental and African Studies der University of London. Er ist der Autor von Turkey’s Entente with Israel and Azerbaijan: State Identity and Security in the Middle East and Caucasus.

Zusammenfassung der Originalversion: Strategic Realignment and Energy Security in the Eastern Mediterranean by Dr. Alexander Murinson © BESA Center, Perspectives Papers on Current Affairs No. 159, January 9, 2012.