Wundersames Israelbild

4
Lesezeit: 3 Minuten
Gay Pride TLV 2010
Gay Pride Parade in Tel Aviv 2010

Wussten sie, dass Schwule und Lesben in Israel unter immer widrigeren Umständen zu leben haben? Dass sie gar auswandern müssen, „wenn sie auch nur halbwegs frei leben wollen“?  Nicht? So ist es zumindest in dem verheissungsvollen Artikel „Israel: vom Sieg zur selbstverursachten Niederlage“ auf der alternativen Medienplattform infosperber zu lesen.

Der Verfasser Christian Müller, er ist auch Mitglied der Redaktionsleitung von infosperber, beschäftigt sich in seinen Beiträgen gerne mit Israel. Auch Audiatur hat er schon unter die Lupe genommen:  Auf dieser „Propaganda“-Plattform werde „Pro-Israelmeinungsmache“ betrieben und jeder Israel-Kritiker des Antisemitismus bezichtigt.[1] Dies hielt ihn selbstredend nicht davon ab, in den hiesigen Kommentarspalten Shlomo Sands Buch „Die Erfindung des jüdischen Volkes“ oder Veranstaltungen mit Naomi Hazan vom New Israel Fund (NIF) zu bewerben. Soweit, so gut. Es ist Herrn Müllers Recht, von Audiatur zu halten, was er will.

Was nun aber Christian Müller in seinem Artikel schreibt, ist bestenfalls absurd, schlimmstenfalls  aber geradezu bösartig. Impliziert doch seine Behauptung, dass  homosexuelle Israelis auswandern müssen, wollten sie „auch nur halbwegs frei“ leben im Umkehrschluss, dass es für sie in Israel überhaupt keine Freiheit mehr gäbe.

Da mutet es schon etwas seltsam an, dass ausgerechnet Tel Aviv vor kurzem in einer weltweiten Umfrage von gaycities.com und American Airlines zur besten Gay-Reisedestination weltweit gekürt wurde. Dass Israel weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt in Bezug auf LGTB-Rechte, dass Homosexuelle in den Israelischen Streitkräften IDF in sämtlichen Positionen offen dienen können, oder dass im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen gesetzlich anerkannt werden, oder dass für homosexuelle Paare seit 2008 die gleichen Adoptionsrechte gelten, widersprechen Christian Müllers Aussagen eklatant. Ganz zu schweigen von  homosexuellen Palästinensern aus den Autonomiegebieten, die immer wieder nach Israel fliehen, um nämlich dort zumindest „halbwegs frei“ leben zu können.

Das ist allerdings bei weitem nicht die einzige Behauptung, bei der sich Christian Müller ins Reich der Fantasie versteigt. Um das Bild einer theokratischen und fundamentalistischen israelischen Gesellschaft im Stile Saudi-Arabiens oder des Iran weiter zu etablieren, schreibt er im gleichen Satz, „öffentliche Verkehrsmittel etwa mit getrennten Sitzplätzen für Männer und Frauen“ seien „bereits wieder Alltag“ und bringt somit, ob nun willentlich oder nicht, einiges durcheinander.

Es gibt die sogenannten Mehadrin-Linien, die gegen Ende der 90er-Jahre für ultraorthodoxe Juden eingerichtet wurden. Doch hat das Oberste Gericht im Januar 2011 eine Geschlechtertrennung in den Bussen verboten (wenngleich es die Trennung auf ausdrücklich freiwilliger Basis gut hiess).[2] Diese Praxis stand für die übrigen öffentlichen Verkehrsmittel wie etwa Busse, Sammeltaxis oder Züge gar nie zur Debatte und insbesondere in Israel lösten die in den Medien bekanntgewordenen Vorfälle in Mehadrin-Bussen grosse  Empörung aus. Von Alltag kann hier keine Rede sein. Und weshalb er in diesem Zusammenhang von „bereits wieder“ schreibt, weiss vermutlich nur Christian Müller persönlich.

Es fänden sich durchaus noch einige weitere Halb- und Unwahrheiten in seinem Artikel. Doch Fakten scheinen Müller nicht zu interessieren, stattdessen beschliesst er, sie schlicht und einfach zu ignorieren. Denn was nicht passt, wird passend gemacht oder eben ausgespart.

Bemerkenswert ist allerdings, was man gegen Ende des Beitrages vernimmt:

„Zu den Publikationen, die sich das eine oder andere Mal einen Israel-kritischen Bericht oder Kommentar erlauben, gehört die hochrenommierte Zeitschrift «Foreign Affairs». Sie wagte es schon Anfang 2010, eine detaillierte Analyse des ehemaligen Präsidenten-Beraters Zbigniew Brzezinski zu publizieren […].“

Scheinbar sind es nur noch wenige Publikationen, die es wagen, einen „Israel-kritischen Bericht“ abzudrucken. Zum Glück gibt es da Christian Müller.

Michel Wyss


[1] Müller, Christian: Sind die Juden wirklich ein auserwähltes Volk?, infosperber.ch, 15.10.2011 (aufgerufen

am 16.01.2012)

[2] AFP: Gerichtshof stoppt Geschlechtertrennung in Bussen, Welt Online, 06.01.2011 (aufgerufen am

16.01.2011)

4 Kommentare

  1. Lieber Urs (Gasche), nichts für ungut, du weisst ja, dass ich dich sehr schätze. Aber hier verteidigst du den Falschen. Christian Müllers Animosität gegenüber Israel (du siehst, ich formuliere es zurückhaltend) hat schon etwas wahnhafte Züge. A propos: Hast du ihn schon Mal gefragt, ober er überhaupt schon je selber in Israel war? Oder ob seine "brillianten" Analysen auf Infosperber auf Kolportage aus zweiter Hand beruhen (wobei mich dann seine genauen Quellen interessieren würden, denn die Angabe derselben gehört ja bekanntlich zum guten journalistischen Handwerk).

  2. Wie möchten klarstellen, dass in unserem Beitrag "Wundersames Israelbild" Ihre Plattform nicht als antisemitisch bezeichnet wurde.
    Die Freischaltung von Leserkommentaren bedeutet nicht eine automatische Gutheissung dieser Meinung. Der Tages-Anzeiger und die NZZ stehen auch nicht hinter jedem ihrer Leserkommentare!
    Es ist Ihr gutes Recht, gegen die Beurteilung von Daniel Radouchkoff Einspruch einzulegen.
    Es erscheint jedoch unverständlich, Audiatur-Online der Verbreitung von Verleumdungen zu bezichtigen, ist es doch Herr Christian Müller, der dasselbige in seinen Beiträgen mit unserer Plattform macht "Die Propaganda-Plattform erklärt jeden Israel-Kritiker zum Antisemiten." Auch wir verwehren uns gegen die Verbreitung solcher Beleidigungen und Verleumdungen. Wir lehnen jegliche Schwarzweissmalerei ab.
    Herr Gasche, bringen Sie seriöse Israel-Kritik, seien Sie anderer Meinung, es wäre sonst langweilig.
    Sandra Hoffmann, Audiatur-Online

  3. Wir verwahren uns in aller Form gegen die Unterstellung, eine antisemitische Plattform zu sein.
    In der Hoffnung, «Audiatur online» werde eine solche Beleidigung und Verleumdung nicht mehr verbreiten, verbleibe ich mit freundlichen Grüssen.
    Urs P. Gasche, Mitglied der Redaktionsleitung Infosperber.ch

  4. e-Mail: (info@zermatt.ch) mit Kopie an verschiedene Hotels in Zermatt

    An die Marketingorganisation: http://www.Zermatt.ch

    z.K.


    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Ist es eigentlich üblich, dass Sie Zermatt sich bei http://www.infosperber.ch bewerben lässt? Eine derartige antisemitische Seite verursacht wohl eine gewisse Sortierung der Kunden. Ist das gewollt?

    Kleiner Link hierzu: http://www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Is

    Falls Sie Davos 1939 nicht als Erfolgsmodell sehen, sollten Sie Ihre Auswahl überdenken.

    Freundlichen Gruss,

    XY

Kommentarfunktion ist geschlossen.