Rückkehr in die Freiheit

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Gilad Shalit, Foto:IDF

Nach mehr als fünf Jahren Gefangenschaft kehrte gestern der verschleppte israelische Soldat Gilad Shalit heim. In Gaza feierte die radikal-islamische Hamas mit der Rückkehr von 477 Häftlingen einen grossen politischen Sieg.

Manchmal kann schon eine kleine Brille viel aussagen: Israel stiess gestern einen kollektiven Seufzer der Erleichterung aus, als nach fünf Jahren und vier Monaten erstmals klar wurde, dass Gilad Shalit tatsächlich lebendig und wohlauf ist. Er humpelte zwar leicht, war sichtbar verstört, seine Stimme schwach. Doch beim Anblick des so lang vermissten Soldaten, der inzwischen zu einem Haushaltsnamen geworden ist, brachen viele Israelis in Tränen aus. „Seht ihr, er hat wieder eine Brille an“, sagte eine israelische Fernsehkommentatorin, und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass sich jemand endlich wieder um die grundlegendsten, menschlichen Bedürfnisse eines Menschen kümmerte, der fünf Jahre lang in Isolationshaft verbrachte. Auch auf palästinensischer Seite war gestern ein Feiertag, als 477 Häftlinge aus israelischer Haft freikamen: „Wir haben unsere Würde wieder zurück“, rief ein Freigelassener freudig in ein Mikrofon, als er den Boden Gazas betrat.

Hier hatten Hamaskämpfer sich mächtig in Schale geworfen. Am Dienstagmorgen galt es für die radikal-islamische Organisation, die den Gazastreifen beherrscht, grösstmögliches politisches Kapital aus dem Gefangenenaustausch mit Israel zu schlagen. Eine Ehrengarde der Kassambrigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, stand mit gelber Schärpe und weissen Handschuhen am Grenzübergang in Rafah Spalier, um die Heimkehrenden palästinensischen Häftlinge in Empfang zu nehmen. Es war der Auftakt zu dreitägigen Riesenfeiern, die die Hamas für Gaza geplant hat.

Dabei sah es in der Nacht kurz noch so aus, als könne der Deal in letzter Sekunde scheitern. Israels Höchster Gerichtshof hatte zwar eine Klage, die die Freilassung hunderter überführter Mörder verhindern wollte, zwar wie erwartet abgewiesen, zwei palästinensische Häftlinge jedoch weigerten sich, die Haftanstalt zu verlassen, um in den Gazastreifen abgeschoben zu werden. Amna Mona, bekannt für den Mord an einem 17 Jahre alten Israeli, hatte laut israelischen Angaben Angst vor Racheakten palästinensischer Familien, nachdem sie sich in Haft an anderen weiblichen Häftlingen vergriffen hatte. Kairo sprang vermittelnd ein und gewährte Mona Asyl.

Als sich zig Busse der Gefängnisbehörde unter schwerem Geleitschutz dann in den Morgenstunden auf den Weg Richtung ägyptische Grenze machten, war jedoch klar, dass nichts den Austausch mehr aufhalten würde. Wenige Stunden später erreichten die ersten Bilder Shalits Israel, von der Übergabe Shalits von der Hamas an die ägyptischen Unterhändler, die ihn sofort ans ägyptische Fernsehen weiterleiteten. Das interviewte den Soldaten, der sich laut eigenen Angaben „nicht so wohl“ fühlte. „Nach so langer Zeit so viele Menschen zu sehen, ist gewöhnungsbedürftig“, sagte Shalit in einem Interview, dass ihm offensichtlich von den ägyptischen Vermittlern aufgezwungen worden war. Der ohnehin scheue junge Mann wand sich in seinem Sessel vor wenig empathischen Fragen: „Nach ihrer eigenen Erfahrung, werden sie sich jetzt auch für die Freilassung der anderen palästinensischen Häftlinge einsetzen?“, wollte die Interviewerin wissen. „Ich würde mich freuen, wenn alle freikommen, solang das dem Frieden hilft und sie nicht wieder Israel angreifen“, antwortete ein vorsichtiger Shalit.

Nach der Feuerprobe in Rafah wurde Shalit den Israelis übergeben, die ihn schnell zu einem Luftwaffenstützpunkt in Zentralisrael flogen. Hier nahm ihn Benjamin Netanjahu in Empfang: “Willkommen in Israel, gut dass Du wieder daheim bist“, sagte Israels Premier und zum salutierenden, extrem blassen jungen Mann, jetzt wieder in israelischer in Uniform, und brachte ihn zu seinen Eltern. „Ich habe meine Aufgabe als Premier erfüllt“, sagte Netanjahu Reportern später, dennoch sei es ein Tag voller „Freude und Trauer“. Netanjahu war in vergangenen Tagen unter scharfe Kritik von Hinterbliebenen der Terroropfer geraten, deren Mörder gestern freigekommen waren.

Während Israels Führung angesichts des schweren Preises, den sie für die Freiheit Shalits zahlen musste, ständig zu Zurückhaltung aufrief, waren die meisten Palästinenser in Westjordanland und Gaza ausser sich vor Freude. Dörfer wurden zu Ehren der Heimkehrer geschmückt. Freudig wurde auch im Westjordanland, das von Hamas Widersachern der Fatah beherrscht wird, die grüne Flagge der Islamisten gehisst. Menschen skandierten: „Wir wollen einen neuen Shalit!“, eine Aufforderung an Hamas, weitere Soldaten zu entführen, um die restlichen 5000 Palästinenser in israelischer Haft freizupressen. Die Entlassenen wurden wie Helden gefeiert, von den Mengen auf Schultern getragen. „Ihr seid Freiheitskämpfer und heilige Krieger!“, begrüsste Palästinenserpräsident Mahmud Abbas später einen Teil der Häftlinge in seinem Amtssitz in Ramallah. Es schien wie ein verzweifelter Versuch, am Erfolg seiner politischen Gegner der Hamas, die den Deal ohne ihn ausgehandelt hatte, teilzuhaben.

Doch der Hauptteil der Zeremonien fand im Gazastreifen statt, in dem die Hamas drei staatliche Feiertage verhängt hatte. Auf der zentralen Veranstaltung auf dem Katiba Platz in Gaza City wurden unter den martialischen Postern der Hamas für den Abend 500.000 Teilnehmer erwartet. Schon am Nachmittag marschierten stolze Hamaskämpfer in voller Montur durch die Strassen Gazas.

© Gil Yaron