Fünf Minuten mit Avraham Burg

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Avraham Burg

Avraham Burg als Mitglied der politischen Elite Israels zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. In der israelischen Politik gibt es nur wenige Personen, die sich in gleicher Weise ausgezeichnet haben wie er. Sein Vater, Josef Burg, gilt als einer der Gründungsväter Israels und war ein langjähriges und hoch angesehenes Mitglied der Knesset, in der er die heute aufgelöste Nationalreligiöse Partei vertrat. Avraham Burg selbst war Sprecher der Knesset und Vorsitzender der Jewish Agency. Obwohl er sich 2004 offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, taucht Burg, der sich selbst offen als einen „Linken, Peacenik und Sozi“ beschreibt, immer wieder auf der Bühne auf; in den vergangenen Jahren ist er, nicht zuletzt nach der Publikation seines Buches Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, zu einer umstrittenen Figur geworden. Burg behauptet darin, dass Israel im Trauma der Vergangenheit feststecke, und ist in der Folge schon mit allen erdenklichen Bezeichnungen bedacht worden – vom „Post-Zionisten“ bis zum weniger höflichen „selbstverachtenden Juden“.

Als Avraham Burg kürzlich in Zürich an einem Jom Ijun (Lerntag) über das europäische Judentum teilnahm, hatten wir Gelegenheit, ihn zu treffen. In seinem öffentlichen Vortrag stellte Burg aufschlussreiche Überlegungen über die Diaspora, das Exil und die israelische Demokratie an. Wir sprachen mit ihm über die Hamas, Versöhnung und – ein Muss für jedes Gespräch mit Burg – Israel als einen jüdischen Staat.

Was denken Sie über den Versuch der Schweiz, die Genfer Initiative, in die Sie anfangs eng eingebunden waren, wiederzubeleben? Werden Sie daran teilnehmen? Hat die Idee noch in irgendeiner Form Zugkraft?

Nein, ich werde nicht daran teilnehmen. Die Genfer Initiative war damals ein sehr wichtiger Durchbruch. Sie war ein Mittel zur Friedenserziehung, insbesondere im Hinblick auf die Einbeziehung neuer Gruppen, wie des rechten Flügels der Schas-Partei. Heute ist sie zu einem Forum für den Austausch geworden – als Modell zur Anwendung, das man nur aus dem Regal holen könnte, taugt sie nicht mehr.

Wir haben vor kurzem den PLO-Vertreter in der Schweiz und bei den Vereinten Nationen befragt und bei ihm verspürt – wie es bei der Lektüre über die derzeitige PLO vielleicht generell zu vernehmen ist – dass sich eine kritische Sichtweise gegenüber Arafat und seinem Führungsstil zeigt. Nehmen Sie das auch so wahr?

Die politische Kultur der PLO ist genauso chaotisch wie die der Israelis. Und die Kritik ist darin verankert. Egal, wer die vorhergehende Führung innehatte – es hätte Mahatma Gandhi sein können –, es gibt Kritik. Das ist etwas, was Israelis und Palästinenser gemeinsam haben: eine kritische politische Kultur. Das ist nicht neu. Die neuen Töne, die ich höre, sind diese: im aktuellen palästinensischen Diskurs geht es nicht mehr um Jammern, um Elend und Leiden. Sie sagen: Uns stehen Menschenrechte, individuelle Rechte und Bürgerrechte zu. Dies sind legitime Forderungen, und sie stellen sie. Das Gespräch ist weniger emotional grundiert.

Sind diese Veränderungen echt, oder verfolgen die Palästinenser einen realpolitischen Ansatz?

Realpolitik ist echt. Wenn sie nicht authentisch wäre, dann wäre sie nicht aufrechtzuerhalten. Der Palästinensischen Autonomiebehörde ist es gelungen, Recht und Gesetz im Westjordanland wiederherzustellen und die Ordnung zu erhalten. Dies ist ein Merkmal des Führungsstils von Salam Fayyad.

Erst kürzlich aber kündigte die Hamas während der neuen Versöhnungsgespräche mit der Fatah an, dass Fayyad gehen und ein neuer Ministerpräsident gewählt werden würde.

Sie werden wieder auf [Fayyad] oder jemanden wie ihn zurückkommen.

Was halten Sie von der Versöhnung zwischen Fatah und Hamas – wird sie von Dauer sein? Oder ist sie ein PR-Schachzug?

Israelis betrachten alles von ihrem eigenen Standpunkt aus. Ihr einziges Kriterium ist: „Ist es gut oder schlecht für Israel?“. Doch Hamas und Fatah reagieren auf anderes – den Arabischen Frühling etwa. Den Leuten geht es um etwas anderes. Dieser Zusammenschluss, diese gemeinsame Bemühung versucht, diesen Erwartungen gerecht zu werden, ausserhalb der Israel-Frage. Schauen Sie, worauf dieser Schritt zur Versöhnung hin antwortet. Israel ist nicht der einzige Spieler [in palästinensischen Angelegenheiten].

Sie haben sich deutlich dafür ausgesprochen, dass Israel einen Dialog mit der Hamas führen sollte; nun stimmt diese dadurch, dass sie sich mit der Fatah aussöhnt, den Grenzen von 1967 zu – was sie lange abgelehnt hatte. Kann Israel dem vertrauen?

Israel sollte auf jeden Fall einen Dialog führen, keine Frage. Ich kann nicht vorhersehen, was die Hamas in Zukunft tun wird, aber im Vorhinein Einspruch einzulegen ist wertend und arrogant. Israel hat seit Jahren mit der Hamas über Gilad Shalit verhandelt. Das Gespräch nun zu verweigern ist reine politische Scheinheiligkeit.

Zur Innenpolitik. Sie lehnen es ab, dass Israel als jüdischer Staat definiert wird. Warum?

Die Definition, um die es mir geht, ist: ein Staat für die Juden. Das bedeutet, Israel als ein demokratisches Land auf der Grundlage der Erneuerung einer jüdischen Heimat zu definieren, aber als Land, das allen seinen Bürgen gleichwertig gehört. Und das heisst natürlich auch, dass die Rechte von Menschen, die zu einer Minderheit gehören oder zur Minderheit werden, respektiert werden müssen. Schaut man auf die Werte, die herrschen, zeigt sich, dass Israel keine wirkliche Demokratie ist, denn es unterdrückt seine Bürger – und zwar nicht nur die Araber.

In einer Demokratie liegt die Autorität bei uns, dem Volk. In Israel wird „Judentum“ religiös verstanden, von Leuten, die sich der Theokratie verschrieben haben, und es kommt zum Konflikt zwischen Demokratie und Theokratie. Das ist eine explosive Situation. Israel braucht die Trennung von Kirche und Staat.

Gerade als wir auf diese haarige Angelegenheit zu sprechen kamen, wurde Burg zur nächsten Sitzung gerufen und wir konnten unser Gespräch leider nicht fortsetzen. Eine Folgefrage (per email) blieb bislang unbeantwortet. Heisst das, dass Juden keine Nation sind mit Recht auf Eigenstaatlichkeit?

Shana Goldberg © Audiatur-Online