Das israelische Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem hat nach Jahrzehnten intensiver Forschungsarbeit einen historischen Meilenstein erreicht: Die Namen von fünf Millionen Juden, die während der Schoah ermordet wurden, konnten identifiziert und dokumentiert werden.
Dieser Schritt markiert einen entscheidenden Fortschritt in der jahrzehntelangen Mission, die Identität der sechs Millionen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung wiederherzustellen.
«Hinter jedem Namen steht ein Leben, das zählte – ein Kind, das nie erwachsen wurde, ein Elternteil, der nie zurückkehrte, eine Stimme, die für immer verstummte», sagte Yad-Vashem-Vorsitzender Dani Dayan gegenüber der Times of Israel. «Es ist unsere moralische Pflicht, dafür zu sorgen, dass kein Opfer in der Dunkelheit der Anonymität zurückbleibt.»
Das Ende des Zeitalters der Zeugenschaft
Die Ankündigung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Zahl der Überlebenden rapide abnimmt. Von den heute rund 200.000 noch lebenden Holocaust-Überlebenden wird laut einer Berechnung der Claims Conference etwa die Hälfte in den kommenden sieben Jahren nicht mehr am Leben sein. Mit jedem verstummenden Zeitzeugen drohen Erinnerungen und persönliche Geschichten verloren zu gehen.
Yad Vashem betont, dass die Namen der verbleibenden rund eine Million Opfer wohl nie vollständig ermittelt werden können – doch moderne Technologien wie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen könnten helfen, bis zu 250.000 weitere Namen aufzuspüren.
Die «Seiten der Zeugnisse» als symbolische Grabsteine
Zentraler Bestandteil dieser Arbeit ist das Projekt der sogenannten «Pages of Testimony» – handschriftlich ausgefüllte Gedenkblätter, die von Überlebenden, Freunden und Angehörigen eingereicht wurden. Bis heute wurden 2,8 Millionen Namen auf diesem Weg gesammelt – in über zwanzig Sprachen.
Dr. Alexander Avram, Leiter der Zentraldatenbank der Namen der Schoah-Opfer, beschreibt sie als «symbolische Grabsteine». «Die meisten Opfer der Schoah haben kein Grab und keine Spur hinterlassen. Nur durch diese Seiten können ihre Namen und ihr Andenken weiterleben.» so Avram.
Die Sammlung dieser Gedenkseiten wurde 2013 in das UNESCO-Register «Memory of the World» aufgenommen – als Anerkennung für die globale Bedeutung dieser Erinnerungsarbeit.
Weltweite Spurensuche mit Technologie und Herz
Yad Vashem arbeitet seit Jahren mit jüdischen Gemeinden, Archiven, genealogischen Gesellschaften und Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt zusammen. Forscher nutzen Briefe, Tagebücher, Deportationslisten, Gerichtsdokumente und sogar Grabsteine in jüdischen Friedhöfen, um weitere Namen zu finden.
Alle Informationen fliessen in die Zentraldatenbank der Shoah-Opfernamen ein, die inzwischen online in sechs Sprachen zugänglich ist. Mithilfe eigens entwickelter Algorithmen werden Varianten von Namen und Orten abgeglichen, um individuelle Schicksale zu rekonstruieren.
Diese Arbeit hat in vielen Fällen dazu geführt, dass Familien vermisste Angehörige wiederfinden oder erstmals gedenken konnten.
Erinnerung als Verpflichtung
Mit dem Erreichen von fünf Millionen identifizierten Namen hat Yad Vashem einen Punkt erreicht, der sowohl Erfüllung als auch Schmerz bedeutet: die Gewissheit, dass Millionen Schicksale wieder sichtbar geworden sind – und zugleich, dass Tausende weitere für immer anonym bleiben könnten.
Die Gedenkstätte wird diesen Meilenstein am 6. November in Jerusalem sowie am 9. November bei einer Veranstaltung der Yad Vashem USA Foundation in New York würdigen.
«Fünf Millionen Namen – das ist mehr als eine Zahl. Es ist ein Aufschrei gegen das Vergessen», sagte Dani Dayan. «Solange wir noch einen Namen finden, dürfen wir nicht aufhören.»
                


























