SRF und die bösen radikalen jüdischen Siedler

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Israelische Siedler in Judäa und Samaria. Foto Elyashiv Rakowsky/TPS
Israelische Siedler in Judäa und Samaria. Foto Elyashiv Rakowsky/TPS
Lesezeit: 5 Minuten

In der Sendung «Echo der Zeit» auf SRF vom 23. November 2025 mit dem Online-Titel «Gewalt im Westjordanland – ‚Die Siedler können im Grunde machen, was sie wollen‘» ist auf den ersten Blick ein gutes altes Stück Auslandsjournalismus mit Expertenstimme zu hören. Bei genauerem Hinhören bleibt von diesem Anspruch jedoch nicht viel übrig. Anstatt die Lage auf beiden Seiten einzuordnen, liefert der Sender ein politisch einseitiges Aktivisten-Narrativ.

Im Beitrag beschreibt der deutsche Autor und Journalist Hanno Hauenstein, wie israelische Siedler rücksichtslos Ernten, Häuser, Autos und Tiere palästinensischer Bauern zerstören würden, während die Armee wegschaue oder sogar die Täter schützt. Die Lage im Westjordanland, so die Hauensteinsche Geschichte, sei quasi eine Art rechtsfreier Raum für jüdische Milizen. Quellen nennt er keine; SRF fragt nicht nach.

Hauenstein schreibt unter anderem auch für das linksradikale Blatt «ak – analyse & kritik», für die linke israelische Zeitung «Haaret» oder für «Zeit Online». Bei «ak» hat er kurz nach dem 7. Oktober einen Text unter dem Titel «Ein Abgrund» veröffentlicht. Darin bezeichnet er die israelische Politik im Westjordanland ausdrücklich als «de facto Apartheid-Politik», die sich in «nach ethnischen Kriterien differenzierten Rechtssystemen» für Siedler und Palästinenser widerspiegle. Gleichzeitig spricht er von einer «Kollektivstrafe von historischem Ausmass» gegen die Bevölkerung in Gaza und verweist nur 2 Wochen nach dem Hamas-Massaker an über 1200 Menschen zustimmend auf Warnungen vor einem «drohenden Genozid».

In einem Beitrag für «Novara Media» kritisiert er die deutsche «Staatsräson», geisselt Verbote pro-palästinensischer Demonstrationen und zeichnet Deutschland als Staat, der unter dem Vorwand der Sicherheit Israels Grundrechte beschneide und insbesondere Muslime «rassistisch» ins Visier nehme.

Noch deutlicher tritt Hauenstein als politischer Akteur an einer Veranstaltung auf, die von vornherein unter dem Vorzeichen des Genozid-Vorwurfs gegen Israel steht. Ein Bericht der «Frankfurter Rundschau» über eine Podiumsdiskussion bei Medico International in Frankfurt, überschrieben mit «Debatte über Genozid in Palästina», beschreibt ein Podium, auf dem sämtliche Teilnehmer die Lage in Gaza als Genozid bezeichnen. Tsafrir Cohen von Medico International spricht von einer «Totalität des Todes», Jamal Juma von «Stop the Wall» spricht vom «langsamen Genozid» am palästinensischen Volk, fordert Boykottaktionen, BDS und unterstellt Israel, die Opferrolle nur noch zu simulieren. Auf diesem Podium sitzt Hanno Hauenstein und erklärt, er beobachte «genozidale Züge» der Siedlerbewegung und der israelischen Regierung in der Westbank. Das ist nicht die Sprache eines analytischen Beobachters, sondern die eines politischen Akteurs, der Israel und die Siedler in die Nähe eines Völkermords rückt.

Hauenstein im Podcast von Shai Hoffmann über «Völkermord».

SRF verschweigt diese Hintergründe. Im Infokasten wird Hauenstein als «Schriftsteller und Journalist» aus Berlin vorgestellt. Nebenbei wird darauf verwiesen, er sei Gründer der deutsch-hebräischen Kunst- und Literaturzeitschrift «aviv Magazine». Dass dieses von der Stiftung Deutsch-Israelisches Zukunftsforum gesponserte Magazin offenbar längst keine erkennbar aktive Publikation mehr herausgibt, bleibt unerwähnt. Vor allem aber verschweigt SRF, dass Hauenstein in seinen Texten und Auftritten Israel als Apartheidstaat beschreibt und von «genozidalen Zügen» der israelischen Politik spricht. Wer ihn so präsentiert, als sei er ein neutraler Analyst, der unbefangen «die Lage im Westjordanland» erläutert, führt das Publikum in die Irre.

Die Einseitigkeit zeigt sich besonders deutlich im Umgang mit dem Stichwort «Siedlergewalt». Hauenstein entwirft im SRF-Gespräch ein Bild nahezu ungebremster, struktureller Gewalt durch Siedler und erklärt, die israelische Armee lasse diese Gewalt gewähren oder schütze die Siedler sogar. Die Existenz palästinensischer Angriffe erwähnt er zwar, ordnet sie aber sofort als untergeordnete Erscheinung einer asymmetrischen «Gewaltbeziehung» ein.

Eine Analyse der israelischen NGO «Regavim» vom April 2025 mit dem Titel «False Flags and Real Agendas», in der die UNO-Datenbank zu sogenannter Siedlergewalt systematisch ausgewertet wird, zeigt ein völlig anderes Bild. Von den über 8.000 vom «Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den besetzten palästinensischen Gebieten» (OCHA OPT) aufgeführten «Vorfällen» bleiben nach dem Herausfiltern von Falschklassifikationen, Nicht-Gewalt-Ereignissen und Fällen, in denen Juden selbst Opfer palästinensischer Angriffe sind, gerade einmal 833 Vorfälle mit tatsächlicher körperlicher Gewalt über einen Zeitraum von siebeneinhalb Jahren übrig. Das entspricht im Durchschnitt rund neun Fällen pro Monat in einer Region mit über 500 000 israelischen Juden, die ihrerseits einer hohen Zahl palästinensischer Angriffe ausgesetzt sind. Der Bericht weist zudem dokumentierte Fälle aus, in denen neutralisierte palästinensische Terroristen von OCHA fälschlicherweise als Opfer «jüdischer Gewalt» geführt werden.

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Screenshot Regavim

Gadi Taub, Autor und Historiker fasst diese Befunde in «Tablet Magazine» zusammen und zeigt, wie aus diesem statistischen OCHA-Datenmaterial eine globale Kampagne gemacht wurde: Siedler als Inbegriff des Problems, ihre angebliche Gewalt als Hebel für internationale Sanktionen. Er verweist zugleich auf offizielle Zahlen von IDF und Shin Bet, die im gleichen Zeitraum Zehntausende palästinensische Angriffe gegen Juden in Judäa und Samaria (Westjordanland) dokumentieren – Steinwürfe, Brandflaschen, Schussangriffe, Sprengsätze –, die im «Echo der Zeit” mit Hanno Hauenstein nicht vorkommen.

Natürlich gibt es gewalttätige israelische Täter, und jede Form nationalistischer Gewalt – selbst wenn sie von einer kleinen Minderheit ausgeht – ist inakzeptabel und muss konsequent unterbunden werden. Genau das geschieht auch: Die israelischen Behörden verfolgen solche Delikte nachweislich strafrechtlich und verurteilen jüdische Täter, was die Existenz eines funktionierenden rechtsstaatlichen Rahmens belegt. Darüber sendet SRF nichts.

Stattdessen werden Hauensteins wertende Begriffe und seine Perspektive einfach übernommen. Siedlergewalt wird als zentrales Problem dargestellt und die Lage im Westjordanland wird im Kern aus der Aggression einer rechtsextremen Regierung und ihrer Siedler abgeleitet. Wer Hauensteins Texte kennt, erkennt das Muster. Wer nur den SRF-Beitrag hört, glaubt hingegen, hier spreche ein unabhängiger Experte.

Der Skandal liegt deshalb weniger in dem, was Hauenstein sagt – er bewegt sich im Rahmen dessen, was er seit Jahren öffentlich vertritt –, sondern darin, wie der öffentlich-rechtliche Sender, der hauptsächlich durch Gebühren finanziert wird, damit umgeht. Ein Medium, das sich Objektivität und Ausgewogenheit auf die Fahne schreibt, darf einen Autor, der Israel als Apartheidstaat bezeichnet, «genozidale Züge» der israelischen Politik beschwört und auf Podien sitzt, in denen der Genozid-Vorwurf gegen Israel Ausgangspunkt der Diskussion ist, nicht als neutralen «Nahostkenner» präsentieren. Es müsste seine Rolle klar kennzeichnen, seine Aussagen mit den verfügbaren Daten konfrontieren oder zumindest noch eine andere Stimme zu Wort kommen lassen. Genau das passierte nicht. Wieder einmal.

1 Kommentar

  1. Da antwortete mir doch SRF am 18. des Monats, als ich mich unter vielem anderem über eine verzerrte Nahostberichterstattung ausweinte:

    „SRF ist kein «zwangssubventionierter Sender». Die Erhebung der Medienabgabe basiert auf dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG), über welches im Juni 2015 demokratisch abgestimmt wurde. Die Gebühr stellt sicher, dass die SRG sowie konzessionierte Regionalanbieter ihren verfassungsmässigen Leistungsauftrag erfüllen können. Die Finanzierung des medialen Service public über die Abgabe garantiert Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen.

    SRF betreibt keinen Kampagnenjournalismus. Für unsere Redaktionen gelten publizistische Leitlinien, welche stets eine sachgerechte, vielfältige und unabhängige Berichterstattung erfordern.“

    Ach so.

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