Nora Bussigny: Wie die linksextreme Szene antisemitische Narrative normalisiert

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Linke Pro-Palästina Demonstration, Paris, 6. September 2025. Foto IMAGO / Le Pictorium
Linke Pro-Palästina Demonstration, Paris, 6. September 2025. Foto IMAGO / Le Pictorium
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In einem bemerkenswerten Interview mit der Westschweizer Zeitung La Liberté schildert die französisch-marokkanische Journalistin Nora Bussigny, wie sich Antisemitismus, linksextremer Aktivismus, islamistische Ideologie und progressive Milieus seit dem 7. Oktober 2023 zunehmend miteinander verzahnen.

Über ein Jahr lang infiltrierte sie Gruppen der radikalen Linken in Frankreich, Belgien und sogar an der US-Eliteuniversität Columbia. Ihre Beobachtungen hat sie in ihrem neuen Buch «Les nouveaux antisémites» zusammengefasst – eine detailreiche und bedrückende Recherche über ein zunehmend enthemmtes politisches Milieu.

Wie Bussigny in La Liberté erklärt, wird die „legitime Empathie” vieler junger Menschen mit den palästinensischen Zivilisten gezielt ausgenutzt. Aktivisten der radikalen Linken hätten erkannt, dass die Palästina-Frage eine hohe Mobilisierungskraft für die Generation Z besitzt – insbesondere mit Blick auf die französischen Kommunalwahlen 2026 und die Präsidentschaftswahl 2027.

Junge Menschen würden als «nützliche Idioten» eingesetzt, wie Bussigny es formuliert: gutgläubige Unterstützer, die nicht erkennen, dass sie strategisch instrumentalisiert werden, um eine radikalere politische Agenda voranzutreiben.

Bussigny dokumentiert zahlreiche Fälle von offenem Judenhass in französischen Städten. Neu sei nicht der Antisemitismus selbst, sondern dessen extreme Sichtbarkeit und Verbreitung über Plattformen wie TikTok, Instagram oder X.

Diese Netzwerke wirkten wie «Megafone» für radikale Botschaften, die Antisemitismus hinter vermeintlichem Engagement für die palästinensische Sache tarnen.

Historisch, so Bussigny, kehre Antisemitismus stets in Momenten gesellschaftlicher Fragmentierung zurück – genau in einer solchen Phase befänden sich heute Frankreich, Belgien und weitere westliche Länder.

Wie «intersektionale» Milieus radikalisiert werden

Besonders aufschlussreich ist Bussignys Beschreibung, wie feministische und LGBT-Kreise von Aktivisten dominiert werden, die eine strikt «intersektionale» Deutung aller Diskriminierungsformen durchsetzen.

Die Folge: Die Palästina-Frage wird zur obersten Priorität aller Kämpfe stilisiert – sogar auf Kosten anderer Opfer, etwa von Frauen, die Übergriffe oder Gewalt erlebt haben.

Mehrfach beobachtete Bussigny, wie propalästinensische Aktivisten feministische Demonstrationen übernahmen und sogar jüdische Feministinnen aus Veranstaltungen vertrieben – teilweise unter Gewaltandrohungen, Eierwürfen und Flaschenwürfen.

Unterstützung für Hamas und PFLP

Viele der von ihr beobachteten Aktivisten bezeichnen ausdrücklich sowohl die Hamas als auch die PFLP als «palästinensische Widerstandsorganisationen».

Organisationen wie Samidoun oder Urgence Palestine verunglimpfen laut Bussigny die Palästinensische Autonomiebehörde als «Verräter» und rufen offen zur Unterstützung bewaffneter Gruppen auf.

Erschütternd sei auch die Rolle der französischen Europaabgeordneten Rima Hassan, die in den letzten Jahren mehrfach militante und gewalttätige Mobilisierungen unterstützt und nachweislich Inhalte von iranischen Propagandisten geliked hat, die Aktionen gegen Hochschulen inszenierten. Auf Social Media erzeugt Hassan laut Bussigny regelmässig antisemitische Echokammern, die sie selbst nicht moderiert.

Der blinde Fleck gegenüber islamistischer Gewalt

Besonders verstörend ist Bussignys Beschreibung der Reaktionen vieler Aktivisten auf die dokumentierten Massenvergewaltigungen vom 7. Oktober. Sie stösst in ihren Gesprächen auf drei Varianten der Relativierung: 1. Leugnung – die Vergewaltigungen hätten nicht stattgefunden. 2. Uminterpretation – die Gewalt sei «patriarchal» und daher nicht antisemitisch und 3. Kulturalisierung – Hamas sei «nach ihrer Kultur» vorgegangen. Letzteres wertet Bussigny als zutiefst rassistische Argumentation: Es impliziere, dass Gewalt, Folter und sexuelle Brutalität Bestandteil einer «arabischen Kultur» seien und daher akzeptiert werden müssten.

Ihre Recherche hat für Bussigny einen hohen Preis. Die Journalistin berichtet von massivem Cybermobbing und ständigen Bedrohungen – verschärft dadurch, dass sie selbst französisch-marokkanische Wurzeln hat. Bei öffentlichen Auftritten muss sie inzwischen geschützt werden.

Ihre zentrale politische Forderung: Staat und Gemeinden müssten endlich aufhören, radikalen Gruppen Räume, Geld und Legitimität zu gewähren, die offen Terrororganisationen verherrlichen. Dass immer noch öffentliche Gelder an Strukturen fliessen, die die Hamas glorifizieren, sei ein «demokratischer Skandal» so Bussigny.

Das vollständige Interview erschien am 07.11.2025 auf Französisch in La Liberté.

Nora Bussigny – Les nouveaux antisémites, Éditions Albin Michel, 2025, ISBN 2226497730.

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