Was der radikale Islam dem Westen aufzwingen möchte

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Symbolbild. Über 1500 Islamisten haben am 12.10.2024 in Hamburg eine Demonstration für ein Kalifat und gegen Israel abgehalten. Foto IMAGO / BREUEL-BILD
Symbolbild. Über 1500 Islamisten haben am 12.10.2024 in Hamburg eine Demonstration für ein Kalifat und gegen Israel abgehalten. Foto IMAGO / BREUEL-BILD
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Am 18. November 2025 veröffentlichte das Gatestone Institute ein ausführliches Gespräch zwischen dem französischen Autor Grégoire Canlorbe und dem belgischen Arzt, ehemaligen Generalsekretär von Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) und früheren Senator Alain Destexhe. Der langjährige Beobachter internationaler Konflikte spricht darin über Israel, den Nahen Osten, die Entwicklungen in Belgien und Europa sowie über seine Kritik an Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen.

Destexhe weist die Behauptung eines Genozids in Gaza entschieden zurück. Ein Genozid richte sich auf die gezielte Vernichtung einer klar umrissenen ethnischen, religiösen oder rassischen Gruppe. Israel verfolge jedoch nicht die Absicht, Palästinenser zu vernichten, sondern bekämpfe die Organisation Hamas als bewaffnete Gruppe. Zivile Opfer seien eine Folge des Krieges, aber keine Absicht. Im Gegensatz dazu richteten sich die Angriffe der vergangenen Jahrzehnte in der Region immer wieder gegen Juden als Gruppe. Der Angriff vom 7. Oktober 2023 hätte, so Destexhe, im Falle einer koordinierten Beteiligung des Libanon und des Iran möglicherweise sogar genozidale Züge angenommen.

Was am 7. Oktober geschah – Ein Vorgeschmack

Destexhe sieht in Teilen des Islam eine tiefe Feindseligkeit gegenüber dem Westen. In Gesellschaften, in denen Muslime die Mehrheit bilden, komme es nach seinen Beobachtungen zu grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Angehörige anderer Gruppen – Christen, Säkularisierte oder Andersgläubige – würden dort faktisch zu Bürgern zweiter Klasse, sogenannten Dhimmis.

Die Vorgehensweise der Terroristen gegen Israel am 7. Oktober sei eine beispielhafte Darstellung dessen, was radikale islamische Kräfte auch im Westen anstreben würden, wenn sie dazu in der Lage wären. Derzeit fehle ihnen zwar die Macht, nicht jedoch der Wille. Europa halte diese Gefahr für fern, doch demografische Entwicklungen könnten die Bedrohung beschleunigen

Im Gespräch verweist Destexhe auf soziale Spannungen, die sich aus ungleichen historischen Voraussetzungen ergeben. Bevölkerungsgruppen belgischer Herkunft hätten über Generationen hinweg Wohlstand aufgebaut, während Migranten oft neu in das System kämen und von Sozialleistungen profitierten, ohne an diesem historischen Aufbau beteiligt gewesen zu sein. Dadurch entstehe ein Gefühl des Neides, das der Philosoph René Girard als «mimetisches Begehren» bezeichnet hat. Dieses Spannungsfeld präge auch politische Debatten, etwa Forderungen nach höherer Besteuerung Wohlhabender.

Die Wahl von Rima Hassan

Destexhe führt die Wahl der pro-palästinensischen Aktivistin Rima Hassan zur Patin des Abschlussjahrgangs der Juristischen Fakultät der Freien Universität Brüssel auf zwei Faktoren zurück. Einerseits sei die Zahl arabisch-muslimischer Studierender sehr hoch; nach Angaben aus dem Interview bilde ein entsprechender Kreis rund 8’000 der 30’000 Studierenden. Andererseits spiele die europäische radikale Linke eine wichtige Rolle. Die Entscheidung sei somit das Ergebnis eines Zusammenwirkens beider Gruppen.

Kein Einfluss reformorientierter Strömungen im Islam

Destexhe erklärt dies mit der Unantastbarkeit des Korans im traditionellen Verständnis. Da der Islam begrifflich «Unterwerfung» bedeute, sei der Text selbst nicht zur Kritik freigegeben. Die darin enthaltenen Vorgaben – etwa die Bestrafung der Abkehr vom Glauben mit dem Tod oder die Einstufung von Juden und Christen als Menschen zweiter Ordnung – schafften ein geschlossenes, nicht hinterfragbares System. Solange der Koran nicht diskutiert werden dürfe, kehrten die meisten Diskussionen zwangsläufig zum Wortlaut zurück. Dies erschwere es reformorientierten, kritisch-hinterfragenden Richtungen, an westlichen Universitäten Fuss zu fassen.

Die mediale Dämonisierung Netanyahus

Viele benötigten aus Destexhes Sicht stets eine Personalisierung von Schuld im Israelkonflikt. Seit der schwindenden Bedeutung der sozialdemokratischen Ära unter Yitzhak Rabin und Shimon Peres sei diese Rolle zunehmend Benjamin Netanyahu zugeschrieben worden. Destexhe nennt Netanyahu einen «grossen Staatsmann». Dieser habe das Land durch eine gleichzeitige Konfrontation mit Iran, Hisbollah, Hamas, Syrien, Jemen und anderen Akteuren geführt. Die Behauptung, Netanyahu sei verantwortlich für die Ereignisse vom 7. Oktober, bezeichnet er als vollkommen unbegründet. Der eigentliche Fehler sei die Fehleinschätzung gewesen, dass Hamas durch finanzielle Erleichterungen zu einer friedlichen Entwicklung motiviert werden könne – ein Irrtum, den auch die Europäische Union geteilt habe.

Kritik an Ärzte ohne Grenzen: Zusammenarbeit unter Kontrolle von Hamas

Destexhe kritisiert Ärzte ohne Grenzen in aussergewöhnlich scharfer Form. Wer in Gaza arbeite, arbeite zwangsläufig unter vollständiger Kontrolle der Hamas. Dadurch entstehe aus seiner Sicht eine faktische Komplizenschaft. Er führt an, dass zahlreiche lokale Mitarbeiter der Organisation am 7. Oktober Jubelmeldungen in sozialen Netzwerken veröffentlicht hätten. Er kritisiert ferner, dass Ärzte ohne Grenzen kaum oder gar nicht die Freilassung der israelischen Geiseln gefordert habe, obwohl diese für ein Ende des Krieges entscheidend gewesen wäre.

Nach seiner Einschätzung habe sich die Organisation in den vergangenen Jahren von einer neutralen medizinischen Hilfsorganisation zu einem politisch links ausgerichteten Akteur entwickelt. Gleichzeitig seien medizinische Ressourcen in Gaza auch ohne Ärzte ohne Grenzen verfügbar gewesen, da zahlreiche muslimische Länder bereitstanden, medizinisches Personal und Hilfsgüter zu entsenden.

Brüssel im Abstieg: Von der europäischen Hauptstadt zur «gescheiterten Stadt»

Destexhe beschreibt die Entwicklung Brüssels mit grosser Sorge. Seit den frühen 2000er-Jahren seien äusserst liberale Einwanderungs-, Familiennachzugs- und Einbürgerungsregeln eingeführt worden, begleitet von einer der offensten Asylpolitiken Europas. Die Folge sei eine tiefgreifende demografische Veränderung, die die Funktionsfähigkeit der Stadt überfordere.

Die Justiz sei zu langsam, Gefängnisse seien überfüllt, Gewaltverbrechen und insbesondere der Drogenhandel hätten massiv zugenommen. In einigen Stadtteilen komme es mittlerweile regelmässig zu Schusswechseln. Destexhe bezeichnet Brüssel daher als auf dem Weg zu einer «gescheiterten Stadt».

Insel Mayotte als düsterer Vorbote

In seinem Buch über Mayotte beschreibt Destexhe die französische Insel im Indischen Ozean als Beispiel dafür, wie eine Gesellschaft vollständig aus den Fugen geraten kann, wenn die Immigration die Hälfte der Bevölkerung erreicht. Auf Mayotte seien öffentliche Dienste, Schulen und Gesundheitsversorgung überfordert, Sicherheit kaum mehr gewährleistet und die kulturelle Ordnung weitgehend zerstört.

Er zieht daraus den Schluss, dass ähnliche Entwicklungen bereits in Teilen Belgiens und Frankreichs sichtbar seien.

Wahlen und Loyalitäten

Destexhe verweist darauf, dass viele Türken in Belgien bei türkischen Wahlen häufiger für Präsident Erdoğan stimmten als in der Türkei selbst. Bei Belgiern marokkanischer Herkunft beobachtet er, dass viele ihre primäre Identität eindeutig als marokkanisch empfinden. Dies zeige sich besonders deutlich bei sportlichen Ereignissen, etwa als Marokko Belgien schlug und die Feiern in Brüssel überwiegend von Belgiern marokkanischer Herkunft getragen wurden.

Bleibt Hoffnung für Belgien?

Destexhe beschreibt seinen politischen Ansatz als medizinisch: Zunächst müsse man die Diagnose stellen, danach die Therapie. In diesem Fall sei die Diagnose eine tiefgreifende demografische Umwälzung. Die Therapie müsste eine drastische Einschränkung von Familiennachzug und Asyl umfassen. Für Brüssel sieht er jedoch kaum noch einen Weg zurück; die Entwicklung sei nahezu unumkehrbar. Für die Regionen Wallonien und Flandern bestehe dagegen noch Hoffnung.

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