Nacht der Schande – Als in Deutschland die Synagogen brannten

0
Das Innere der 1912 eröffneten Synagoge in der Fasanenstrasse in Berlin, nachdem sie während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in Brand gesteckt worden war. Foto IMAGO / CPA Media
Das Innere der 1912 eröffneten Synagoge in der Fasanenstrasse in Berlin, nachdem sie während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in Brand gesteckt worden war. Foto IMAGO / CPA Media
Lesezeit: 4 Minuten

Am 9. November wird an vielen Orten der Novemberpogrome von 1938 gedacht. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zeigt, wie wichtig es weiterhin ist, sich gegen alle Formen von Judenhass zu stellen.

von Christoph Arens

Zersplitterte Schaufenster, brennende Synagogen und Hunderte Tote: Der 9. November 1938 gilt als Zivilisationsbruch. 87 Jahre ist es her, dass bei den Novemberpogromen der Nationalsozialisten, damals zynisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet, mehr als 1.300 Menschen ermordet wurden. Über 1.400 Synagogen und Beträume wurden verwüstet und etwa 7.500 Geschäfte geplündert. Mehr als 30.000 männliche Juden wurden in Konzentrationslager gebracht.

Die Wunden von damals werden immer wieder aufgerissen. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und viele antisemitische Vorfälle weltweit in der Folge haben bei vielen Juden in Deutschland alte Ängste wiedererweckt. Bis heute müssen jüdische Einrichtungen von der Polizei bewacht werden. Terroranschläge auf Synagogen wie in Halle 2019 oder Oldenburg 2024 sorgen für Entsetzen.

Bis heute geht es auch darum, damals zerstörte jüdische Gotteshäuser wieder aufzubauen. Erst Mitte September wurde die alte Synagoge an der Münchner Reichenbachstrasse feierlich wiedereröffnet. Kanzler Friedrich Merz (CDU) rang mit den Tränen, als er die Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander (76) ansprach, die die Sanierung der Synagoge betrieben hatte: „Sie haben in einem Ihrer Bücher geschrieben, dass Sie als Kind immer wieder diese eine Frage stellten: Ob denn den Juden niemand geholfen habe.“

Mehr als 100 für den Gottesdienst genutzte Synagogen gibt es derzeit in Deutschland. Über 3.000 waren es vor 1933. „Der Sturm begann nachts halb drei Uhr“, berichtete die „Neue Zürcher Zeitung“ im November 1938 über die Ereignisse in Berlin: „Dunkle Gestalten durchzogen die Strassen und eröffneten mit Pflastersteinen ein Bombardement auf die Schaufenster…Die Polizei blieb unsichtbar und antwortete auch nicht auf telefonische Anrufe der verängstigten Geschäftsinhaber.“

Am Abend des 9. November 1938 vollzog sich in Deutschland das bis dahin grösste Pogrom der Neuzeit in Mitteleuropa. Nur wenige Meter entfernt von der Münchner Synagoge hatte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in einem Bierkeller das Signal zum Losschlagen gegeben.

In seiner Hetzrede zum Gedenken an den Hitlerputsch vom 9. November 1923 wiegelte er die Parteigenossen auf. „Stürmischer Beifall“, notierte er in sein Tagebuch: „Alles saust gleich an die Telefone. Nun wird das Volk handeln.“ SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich schob ein Telegram hinterher mit der Bitte, deutsches Leben und Eigentum zu verschonen, „z.B. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist“.

Als Anlass für den vermeintlichen Ausbruch des Volkszorns nutzten die Nazis die Ermordung des deutschen Botschaftsangehörigen Ernst vom Rath durch den 17-jährigen Juden Herschel Grünspan am 7. November 1938 in Paris. Er wollte damit gegen die Abschiebung seiner Familie aus Deutschland protestieren.

Schon einen Tag nach dem Attentat ereiferte sich der „Völkische Beobachter“ darüber, dass „Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstrassen beherrschen“. Obwohl die meisten Ausschreitungen am 9. November stattfanden, dauerten die Ereignisse länger: An einigen Orten brachen die ersten Unruhen schon in der Nacht des 7. November aus. Gewaltexzesse gab es bis zum 13. November.

Körperliche Übergriffe, Einschüchterung und Entrechtung von Juden waren bereits seit der Machtergreifung Hitlers 1933 an der traurigen Tagesordnung. Die Nürnberger Gesetze legten seit 1935 fest, wer Jude war, viele hatten plötzlich Berufsverbot. Weitere Gesetze beschränkten den Zugang zu öffentlichen Räumen; jüdisches Eigentum wurde „arisiert“. Für die Schäden des Novemberpogroms mussten die Juden selbst aufkommen. Die Reichsregierung verlangte auch noch eine Kontribution in Höhe von einer Milliarde Reichsmark als vermeintliche „Sühneleistung“.

Die Pogrome markierten den Übergang von der Diskriminierung jüdischer Deutscher hin zur systematischen Verfolgung und zur Schoah. Von den Novemberpogromen führte der Weg nach Auschwitz, Treblinka und Buchenwald. „Am 9. November 1938 änderte sich alles“, schrieb der Historiker Wolfgang Benz.

Der Leiter des Zentrums für Holocauststudien in München, Frank Bajohr, interpretiert das Pogrom als Zeichen dafür, dass die Nazis sich sicher fühlten. Im März 1938 hatte die Mehrheit der Österreicher den Anschluss an das Deutsche Reich bejubelt, im Oktober hatte Deutschland das Sudetenland besetzt. Hitlers Position war gefestigt. Das Ausland nahm die Ereignisse hin. Nur wenige Länder waren bereit, jüdische Auswanderer in grösserer Zahl aufzunehmen.

KNA/cas/gbo/Aud

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.