Hamas in Europa – Ermittler sprechen von strategischer Neuausrichtung

0
Symbolbild. Foto KI
Symbolbild. Foto KI
Lesezeit: 4 Minuten

Die Hamas hat noch nie einen erfolgreichen Terroranschlag ausserhalb Israels, des Westjordanlands oder des Gazastreifens durchgeführt – aber nicht, weil sie es nicht versucht hätte. Im Laufe der Jahre stand die Gruppe mehrmals kurz davor, Anschläge im Ausland zu verüben, doch diese wurden entweder vereitelt oder vor der Ausführung abgebrochen.

Laut einer umfassenden Analyse des Washington Institute for Near East Policy hat die Hamas bereits Jahre vor dem Massaker vom 7. Oktober 2023 mit konkreten Vorbereitungen für Anschläge in Europa begonnen. Deutsche und dänische Ermittlungen belegen, dass die Terrororganisation Waffenlager in mehreren europäischen Ländern anlegte, Kontakte zu kriminellen Netzwerken aufbaute und Attentate auf israelische und jüdische Ziele plante.

Bereits 2019 habe ein Hamas-Agent namens Ibrahim Elrassatmi auf Befehl der Qassam-Brigaden ein Waffenlager nahe Plovdiv in Bulgarien angelegt, wie deutsche Ermittlungsakten zeigen. Wenig später sei er nach Dänemark gereist, um dort eine weitere Waffenkiste aus einem früheren Hamas-Depot zu bergen. Die Aktionen standen unter direkter Leitung des damaligen stellvertretenden Kommandeurs der Qassam-Brigaden im Libanon, Khalil al-Kharraz.

Zwischen 2023 und 2024 unternahmen Hamas-Mitglieder mehrere Reisen nach Polen, um Waffenverstecke zu suchen, die im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für den 7. Oktober standen. Im Dezember 2023 wurden Elrassatmi und mehrere Mitstreiter in Berlin festgenommen. Ermittler fanden Beweise, dass die Waffen für Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland bestimmt waren – darunter die israelische Botschaft in Berlin und das US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein.

Hamas und das dänische Gangnetzwerk „Loyal to Familia“

Parallel dazu deckten dänische Behörden ein weiteres Hamas-Netzwerk auf, das mit der verbotenen dänischen Gang Loyal to Familia (LtF) kooperierte. LtF-Mitglieder, von denen einige libanesische oder palästinensische Wurzeln haben, sollten für Hamas Drohnen beschaffen, um Anschläge in Dänemark oder Schweden vorzubereiten. Ein 28-jähriger dänischer Staatsbürger mit Verbindungen zu LtF wurde später angeklagt, weil er für Hamas mehrere Drohnen zur Durchführung eines Attentats bestellt hatte – mutmasslich auf die israelische Botschaft in Stockholm.

Hamas-Führung in Libanon als Schaltzentrale

Die Ermittlungen in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden führen alle zur Hamas-Führung im Libanon zurück. Diese Struktur wurde ab 2017 von Salah al-Arouri, dem später von Israel getöteten stellvertretenden Generalsekretär der Hamas, aufgebaut. Al-Arouri und seine Stellvertreter Samir Fandi, Azzam al-Aqra und Khalil al-Kharraz leiteten laut israelischen und europäischen Behörden die Auslandseinsätze der Hamas.

Nach dem Tod dieser Kommandeure – al-Arouri im Januar 2024, al-Kharraz im November 2023 – ist unklar, wer die Führung der externen Operationen übernommen hat. Fest steht, dass das libanesische Hamas-Netzwerk in enger Kooperation mit der Hisbollah und iranischen Kräften arbeitet. Israelische Geheimdienste sprechen von einer gemeinsamen „Einheit 3900“, in der Mitglieder der Quds-Brigaden und der Hisbollah mit Hamas-Vertretern Anschlagslogistik im Ausland planen.

Strategischer Kurswechsel der Hamas?

Autor Matthew Levitt, Leiter des Reinhard-Programms am Washington Institute, bewertet die jüngsten Entwicklungen als möglichen Wendepunkt: Hamas habe über Jahrzehnte ausschliesslich Anschläge in Israel und den palästinensischen Gebieten verübt. Die nun dokumentierten Aktivitäten – Waffenlager in Europa, Kooperation mit organisierten Kriminellen, konkrete Anschlagsplanungen – deuten darauf hin, dass die Organisation erstmals systematisch globale Terroroperationen vorbereitet.

Israelische und europäische Sicherheitsdienste befürchten, dass die Hamas nach der massiven Schwächung ihrer militärischen Infrastruktur in Gaza gezielt versucht, ihre Operationen ins Ausland zu verlagern. Der israelische Nationale Sicherheitsrat warnte im September 2025, „Hamas expandiert ihre Aktivitäten über den Krieg in Gaza hinaus, um terroristische Infrastruktur und Anschläge gegen Juden und Israelis im Ausland zu etablieren“.

Ein neues Muster

Laut deutschen Geheimdiensten hat Hamas in den letzten Jahren gezielt versucht, in Europa ansässige Mitglieder mit Wohnsitzstatus zu rekrutieren, um sie flexibel einsetzen zu können. Einige Verdächtige waren in humanitären Vereinen aktiv, darunter die niederländische Organisation Al-Israa, die vom US-Finanzministerium 2025 als Hamas-Front eingestuft wurde.

Levitt fasst zusammen: Hamas habe „über Jahre lokale Akteure in Europa etabliert“, und zwar mit dem Ziel, „militärische Zellen und sichere Häuser in mehreren Ländern“ aufzubauen. Ob die jüngsten Anschlagspläne ein Ausnahmefall oder ein dauerhaft neuer Kurs sind, sei noch unklar. Doch die Ermittlungen zeigen: Hamas ist längst in Europa aktiv – und die Schwelle zu koordinierten Terrorangriffen gegen jüdische und israelische Ziele ausserhalb des Nahen Ostens ist bereits überschritten.

Matthew Levitt, “Hamas Plots in Europe: A Shift Toward External Operations?”, CTC Sentinel, Oktober 2025. Der vollständige englischsprachige Bericht kann hier heruntergeladen werden: 👉Vollständiges PDF herunterladen – CTC Sentinel, Oktober 2025

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.