Wie Moskau den Zionismus zur Schmähung machte: Propaganda, die den Fall der UdSSR überlebte

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Leonid Breschnew, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, und Jassir Arafat, Vorsitzender des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation am 17.07.1981 in Moskau. Foto IMAGO / SNA
Leonid Breschnew, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, und Jassir Arafat, Vorsitzender des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation am 17.07.1981 in Moskau. Foto IMAGO / SNA
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Am Morgen des 7. Oktober 2023, während Hamas-Terroristen noch israelische Familien bei lebendigem Leib verbrannten, Menschen enthaupteten, Frauen vergewaltigten und Hunderte Geiseln in den Gazastreifen verschleppten, riefen ihre westlichen Sympathisanten von der Palestine Solidarity Campaign – der grössten europäischen Organisation für „palästinensische Rechte“ – eifrig bei der Londoner Polizei an, um einen Massenmarsch zu organisieren. Nicht gegen die Mörder, sondern gegen deren Opfer. Während des schlimmsten Massakers an Juden seit der Schoah hallten Londons Strassen von Sprechchören, die Israel mit Apartheid und Zionismus mit Rassismus gleichsetzten. Die Stadt war überschwemmt von palästinensischen Fahnen und Transparenten, die den Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichsetzten.

von Jan Kapusnak

Noch bevor die erste israelische Bombe Terroristenstellungen in Gaza traf, beschuldigten pro-palästinensische Aktivisten Israel bereits, „Kriegsverbrechen“ und „Völkermord“ zu begehen. Das Gemetzel der Hamas wurde als legitimer Akt des „Widerstands gegen zionistischen Kolonialismus“ dargestellt. Was Aussenstehenden wie ein spontaner Wutausbruch erscheinen konnte, war in Wahrheit das Ergebnis jahrzehntelanger systematischer Kampagnen mit einem einzigen Ziel – Israel zu delegitimieren.

Die Wurzeln der heutigen reflexhaften antiisraelischen Rhetorik reichen zurück in die 1960er Jahre, als die Sowjetunion einen globalen ideologischen Krieg gegen den Zionismus entfesselte. Moskau investierte enorme Ressourcen in den Aufbau eines raffinierten Propaganda-Arsenals, das sowohl den US-Einfluss im Nahen Osten schwächen als auch Israel als koloniales und rassistisches Projekt darstellen sollte. Diese zynisch fabrizierte Sprache, voller Lügen und manipulativer Symbole, überlebte den Fall des „Reichs des Bösen“ und vergiftet die öffentliche Debatte bis heute.

Ein aufschlussreiches Beispiel ist der Bericht der sogenannten Pillay-Kommission, die im September 2025 Israel des Völkermords in Gaza beschuldigte. Die Kommission operiert unter dem UN-Menschenrechtsrat – einer Institution, die von Fachleuten seit Langem als von einer Obsession mit Israel geprägt beschrieben wird. Gegen kein anderes Land hat sie eine derart absurde Zahl an Resolutionen verabschiedet. Was als unabhängige Untersuchung präsentiert wurde, wirkte von Anfang an wie ein ideologischer Schauprozess mit vorgefertigten Schlussfolgerungen. Ihr Rahmen kopierte schlicht die gleichen Schwarz-Weiss-Schemata, die Moskau während des Kalten Krieges verbreitete.

Der Bericht ignoriert die Tatsache, dass Israel einer 30.000 Mann starken Hamas-Armee gegenübersteht, die Zivilisten als Schutzschilde benutzt und militärische Infrastruktur in dicht besiedelten Gebieten errichtet. Er übernimmt unkritisch Hamas-Statistiken, stützt sich auf zweifelhafte Zeugen und zitiert israelische Politiker selektiv. Fakten über Geiseln, Tunnel und die Militarisierung Gazas werden verschwiegen. Palästinensische zivile Opfer werden ausschliesslich Israel angelastet – ganz im Sinne des bewährten sowjetischen Handbuchs: Israel ist der unmoralische Aggressor, die Palästinenser sind die hilflosen Opfer.

Die Absurdität der Anklage zeigt sich auch aus juristischer Sicht. Um Völkermord nachzuweisen, muss ein spezifischer Vorsatz bestehen, ein Volk zu vernichten. Einen solchen Vorsatz gibt es im Fall Israels nicht, und der Bericht liefert keinen Beweis – er ersetzt ihn durch die tragischen Folgen urbaner Kriegsführung als angeblichen „Nachweis des Völkermords“. Hamas wird derweil nahezu vollständig aus dem Dokument getilgt, sodass der Eindruck entsteht, die israelische Armee führe Krieg ausschliesslich gegen Zivilisten.

Wie sind wir hierhergekommen? Um das Ausmass der sowjetischen Propaganda über den Zionismus zu begreifen, müssen wir zurück zum Anfang.

Zionismus vor Moskaus Wende

Der Zionismus begann als nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes – eines seit Jahrhunderten verfolgten Volkes, das nach politischer Souveränität in seiner historischen Heimat strebte. In seiner modernen Form wurde er im 19. Jahrhundert durch Theodor Herzl geprägt, einen österreichisch-jüdischen Journalisten, der ein sicheres Refugium für Juden entwarf und seine Vision durch pragmatische politische Strategie zu verwirklichen suchte. Er konzentrierte sich auf internationale Anerkennung und Diplomatie, die den Juden die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts ermöglichen sollten – genau diese Legitimität wurde später zum Hauptziel sowjetischer Propaganda.

Die Schoah machte den Zionismus zu einer Überlebensfrage. Überlebende, die von vielen Ländern abgelehnt wurden, sahen im jüdischen Staat ihre einzige Chance auf ein würdiges Leben. Die Idee der Rückkehr fand auch bei Linken breite Unterstützung, die Israel als den Kampf der Unterdrückten gegen Unterdrückung betrachteten. Seine Gründung wurde zu einem Symbol für Gerechtigkeit und den universellen Kampf um Freiheit.

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte die Sowjetunion selbst die Gründung Israels. Sie gehörte zu den ersten, die den neuen Staat diplomatisch anerkannten, und lieferte über die Tschechoslowakei Waffen, die Israels Überleben im ersten Krieg mit den Arabern ermöglichten. Moskau sah darin eine Chance, den britischen Einfluss im Nahen Osten zu schwächen und hoffte, der neue Staat würde sich dem sozialistischen Block anschliessen.

Doch die Geopolitik änderte sich rasch. Israels Zusammenarbeit mit Grossbritannien und Frankreich während der Suezkrise zerstörte Moskaus Hoffnungen auf einen Verbündeten. Der im Stalinismus tief verwurzelte Antisemitismus kehrte mit aller Macht zurück. Der entscheidende Wendepunkt kam 1967. Der Sechstagekrieg, den Israel aus Angst um sein Überleben führte, endete mit einem Blitzsieg über die von der Sowjetunion unterstützten arabischen Armeen. Israel gewann neue Gebiete und bot das Prinzip „Land für Frieden“ an. Die arabischen Staaten antworteten jedoch mit der Khartum-Resolution – den „drei Neins“: kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel. Moskau verdrehte diese Realität und stellte den Zionismus in seiner Propaganda als expansionistisches Kolonialprojekt und Werkzeug des westlichen Imperialismus dar.

Währenddessen forderten sowjetische Juden zunehmend das Recht auf Auswanderung, unterstützt von jüdischen Gemeinschaften weltweit. Für den Kreml wurde der Zionismus zur Bedrohung. Für KGB-Chef Juri Andropow war er nicht mehr nur eine nationale Bewegung, sondern eine angebliche globale, antisozialistische Verschwörung, die nur durch eine sorgfältig inszenierte internationale Propagandakampagne bekämpft werden konnte.

Rassismus und die UNO

Die sowjetische Strategie beruhte auf dem, was Hitler einst die „grosse Lüge“ nannte – gigantische Unwahrheiten, so lange wiederholt, bis sie glaubwürdig erscheinen. In der sowjetischen Version war es die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus. Auf internationalen Konferenzen, in der Presse und auf Universitäten verbreitete sich eine Rhetorik, die Israel mit Apartheid, Kolonialismus und sogar Nazismus verband. „Israelkritik“ wurde zum Synonym moralischer Tugend.

Die bedeutendste Bühne dieser Kampagne war die UNO, die geschaffen wurde, um neue Konflikte zu verhindern und Frieden zu fördern. Doch in den 1960er- und 1970er-Jahren veränderte sich ihre Struktur dramatisch: Die Mitgliedschaft wuchs vor allem durch neue Staaten in Afrika und Asien, die sich gerade vom Kolonialismus befreit hatten. Diese Länder hatten oft keine demokratische Tradition, waren aber anfällig für sowjetische Propaganda und finanzielle Unterstützung. So sicherte sich Moskau eine automatische Mehrheit in der UNO. Alles, was dem Westen oder Israel schadete, hatte gute Erfolgsaussichten.

1975 verabschiedete die Generalversammlung die berüchtigte Resolution 3379, die erklärte: „Zionismus ist eine Form von Rassismus.“ Vom Westen abgelehnt, wurde sie jedoch von einer grossen Mehrheit aus Ostblock, Afrika, Asien und Lateinamerika unterstützt. Die Resolution verlieh der sowjetischen Propaganda einen Stempel der Legitimität: Die Lüge wurde Teil des offiziellen internationalen Diskurses. Damit wurde die UNO zur Plattform für die Institutionalisierung des modernen Antisemitismus. Staaten, die offenen Judenhass nicht verbreiten wollten, konnten stattdessen gegen den „Zionismus“ stimmen – und so tun, als verteidigten sie die Menschenrechte.

Die Aufhebung der Resolution 1991 war weitgehend ein geopolitischer Schachzug, um die Nahost-Diplomatie zu erleichtern, nicht um ein Unrecht zu korrigieren. Im selben Jahr sollte die Madrider Friedenskonferenz direkte Gespräche zwischen Israel und seinen Nachbarn einleiten. Doch das ideologische Gerüst, das jahrzehntelange sowjetische Propaganda geschaffen hatte, prägt die Wahrnehmung Israels bis heute. Die Resolution wird von antiisraelischen Aktivisten noch immer zitiert.

Die Erfindung der „palästinensischen Nation“

Ein weiteres Kernelement der sowjetischen antizionistischen Strategie war die systematische Kultivierung einer eigenständigen palästinensischen nationalen Identität. Bis in die 1960er Jahre bezeichnete der Begriff „Palästinenser“ alle Bewohner (einschliesslich Juden) des britischen Mandatsgebiets Palästina, und der arabische Nationalismus betonte eine breitere arabische Einheit. Doch in den 1960er- und 1970er-Jahren förderte Moskau in Zusammenarbeit mit bestimmten arabischen Regimen aktiv die Idee einer separaten „palästinensischen Nation“ – als Werkzeug zur Delegitimierung Israels.

Ion Pacepa, der ranghöchste jemals in den Westen übergelaufene Offizier des sowjetischen Blocks, berichtete, dass diese Kampagne bewusst vom KGB entworfen wurde. Dessen Chef, Andropow, erkannte, dass islamische Gesellschaften besonders empfänglich für antiwestliche Rhetorik waren. Er lenkte diese natürliche Feindseligkeit gezielt gegen Juden und Israel, indem er den Konflikt nicht als religiösen Dschihad, sondern als nationalen Kampf um Menschenrechte und Selbstbestimmung neu rahmte. Diese neue Sprache sprach auch westliche Intellektuelle, Aktivisten und Politiker an.

Die Kampagne setzte Tausende von Agenten des Ostblocks im Nahen Osten ein, um Propaganda auf Arabisch zu verbreiten – darunter Ausgaben der „Protokolle der Weisen von Zion“ – und unterstützte lokale arabische Bewegungen finanziell und ideologisch.

Im Zentrum stand die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). Sie wurde 1964 unter sowjetischer Schirmherrschaft gegründet und war das perfekte Vehikel zur Konstruktion einer neuen nationalen Identität. Pacepa enthüllte später, dass die Palästinensische Nationalcharta von 1964 – das ideologische Fundament der PLO – in Moskau verfasst wurde. Bemerkenswert: Die Charta forderte keine Souveränität über das Westjordanland oder Gaza, die sie ausdrücklich als ägyptisch bzw. jordanisch anerkannte. Stattdessen konzentrierte sie sich ausschliesslich auf die Vernichtung Israels. In diesem sowjetisch verfassten Dokument tauchte erstmals der moderne politische Begriff „palästinensische Nation“ auf.

Yassir Arafat, ein ägyptischer Ingenieur, der von sowjetischen Geheimdiensten gefördert wurde, wurde das Gesicht dieser neu geschaffenen Identität. Er gab zu, dass sich die palästinensische Nationalität „durch den Konflikt mit Israel“ bilde. Sein Nachfolger Mahmud Abbas – später als KGB-Agent enttarnt – verteidigte in Moskau eine Dissertation, die die Schoah verharmloste und den Zionismus als Komplizen des Nazismus darstellte – eine direkte Übernahme sowjetischer Propagandathemen. Beide präsentierten sich im Westen als pragmatische Politiker, während sie zu Hause Terror unterstützten und echten Frieden mit Israel ablehnten.

Zuhair Muhsin, Mitglied des PLO-Exekutivkomitees, gab 1977 offen die Künstlichkeit der palästinensischen Identität zu: „Es gibt keine Unterschiede zwischen Jordaniern, Palästinensern, Syrern und Libanesen. Die Existenz einer separaten palästinensischen Identität dient nur taktischen Zwecken. Die Errichtung eines palästinensischen Staates ist eine neue Waffe im andauernden Kampf gegen Israel.“

Durch ihre Propaganda schuf die Sowjetunion einen der grössten politischen Mythen des 20. Jahrhunderts. Die palästinensische Bewegung ist historisch beispiellos: das einzige „nationale“ Projekt, dessen Ziel nicht der Aufbau eines eigenen Staates ist, sondern die Zerstörung eines anderen.

Die sowjetische antizionistische Kampagne verbreitete sich über linke Netzwerke, NGOs und islamistische Bewegungen. Besonders nutzte sie kommunistische Frontorganisationen, die Konferenzen organisierten, in denen die palästinensische Sache mit anderen „antiimperialistischen“ Kämpfen verbunden wurde – von Vietnam über Südafrika bis Kuba. Delegierte aus Ländern der Dritten Welt und der Blockfreien Bewegung, ebenso wie westliche Radikale, übernahmen diese Narrative und trugen sie zurück in ihre Heimat, wo sie in Politik, Wissenschaft und Aktivismus weitergetragen wurden.

Die sowjetisch-palästinensische Propaganda gehört zu den erfolgreichsten der modernen Geschichte. Sie verschmolz Ideologie, Geschichte und moralische Symbolik zu dauerhaften Narrativen. Sie präsentierte Antizionismus als moralisch edel, verknüpfte ihn mit Antiimperialismus und kleidete ihn in die Sprache des „globalen Friedens“. Propagandisten nutzten geschickt das westliche Schuldgefühl über den Kolonialismus. Die Kontinuität ist bis heute sichtbar: Russische Desinformationskampagnen über die Ukraine bedienen sich derselben Taktiken der Leugnung, Verdrehung der Realität und moralischen Manipulation. Der KGB ist verschwunden, aber seine erfolgreichsten Operationen leben fort.

Die sowjetische Propaganda untergrub nicht nur Israels internationale Legitimität – sie korrumpierte auch die Sprache der Menschenrechte selbst. Sie machte aus der jüdischen Nationalbewegung ein angebliches Symbol der Unterdrückung – ein drastisches Beispiel für die zerstörerische Macht von Propaganda, wenn sie unwidersprochen bleibt.

Die Beständigkeit dieser Narrative liegt darin, dass die Netzwerke und Strukturen, die sie verbreiteten, nie verschwunden sind. Der heutige linke Antizionismus ist weniger eine Reaktion auf Ereignisse in Gaza als vielmehr eine Fortsetzung recycelter sowjetischer Ideologiefetzen, weitergereicht von einer Generation von Intellektuellen und Aktivisten zur nächsten. Der liberale Westen, Sieger im Kalten Krieg, hat es weitgehend versäumt, sich mit diesem Erbe auseinanderzusetzen.

Der KGB machte aus dem Zionismus eine Schmähung – und aus dieser Lüge erwuchs der heutige Antizionismus: das moderne Gesicht des Antisemitismus.

Zionismus ist genau das, was die sowjetischen Narrative leugneten – eine nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes, verankert im universellen Recht auf Selbstbestimmung – ein Recht, das allen anderen Nationen fraglos zugestanden wird.

Jan Kapusnak ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Nahost.

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