Wo ist eigentlich das Rote Kreuz?

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Demonstranten versammelten sich bereits im November 2023 vor den Büros des Britischen Roten Kreuzes und forderten die Organisation auf, die von der Hamas in Gaza festgehaltenen israelischen Geiseln zu besuchen. Foto IMAGO / ZUMA Press Wire
Demonstranten versammelten sich bereits im November 2023 vor den Büros des Britischen Roten Kreuzes und forderten die Organisation auf, die von der Hamas in Gaza festgehaltenen israelischen Geiseln zu besuchen. Foto IMAGO / ZUMA Press Wire
Lesezeit: 4 Minuten

Bis heute werden noch immer 59 israelische Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Wie kann man ernsthaft von Verhandlungen mit einer Terrororganisation sprechen, wenn man nicht einmal weiss, wer von den Geiseln noch lebt und wer brutal ermordet wurde?

von Michael Wise

Die Aussagen freigelassener Geiseln bestätigen, dass viele unter grausamen Umständen getötet wurden. Viele befinden sich in unterirdischen Höhlen, werden ausgehungert und bewusst in Gefahr gebracht – um es vorsichtig auszudrücken. Sollte das Internationale Rote Kreuz nicht aktiv werden und humanitäre Massnahmen ergreifen, um diese terroristische Barbarei aufzudecken?

Vor weiteren Verhandlungen muss das Internationale Rote Kreuz sofortigen Zugang zu allen noch lebenden Geiseln fordern. Vor einem möglichen Waffenstillstand ist ein nicht verhandelbarer Schritt notwendig: Israel muss wissen, wer lebt und wer getötet wurde.

Alle zivilisierten Nationen, alle Menschenrechtsorganisationen, die UNO, die USA, alle europäischen Regierungen, alle studentischen Friedensdemonstranten, alle Araber und Juden müssen den sofortigen und bedingungslosen humanitären Zugang zu allen von der Hamas gefolterten Geiseln fordern. Gleichzeitig muss das Rote Kreuz die Hamas auffordern, diesen Zugang zu gewähren. Die Welt muss deutlich machen: Es gibt keine Entschuldigung dafür, diese gefolterten Menschen zu isolieren. Das verstösst eklatant gegen alle moralischen, religiösen und humanitären Gebote.

Darüber hinaus dürfen Geiseln nicht als menschliche Schutzschilde von Terroristen missbraucht werden. Geiseln zu nehmen und vorsätzlich in Lebensgefahr zu bringen, ist ein unentschuldbares Verbrechen. Leider bleibt der weltweite Aufschrei gegen die Brutalität der Hamas aus. Das Rote Kreuz sollte ein humanitäres Vorbild sein – und nicht ein passiver Mitläufer, der es unterlässt, ein Ende dieser sinnlosen Barbarei zu fordern.

Auch wer – wie offenbar der UN-Generalsekretär – meint, die Hamas habe das Recht, in Israel einzudringen, ein Musikfestival und Wohnhäuser anzugreifen, Menschen zu ermorden, zu vergewaltigen und zu entführen: Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Geiseln zu foltern, zu ermorden und als Schutzschilde zu missbrauchen.

Wer Terroristen entgegenkommt und sie belohnt, fördert künftige Gewalt in endloser Wiederholung. Geiselnahmen sind äusserst schwer zu verhindern – wenn die internationale Gemeinschaft nicht entschlossen gegen die Täter vorgeht, wird es in Zukunft noch schlimmere terroristische Verbrechen geben. Geiseln als Druckmittel für politische Zugeständnisse, internationale Legitimität oder einen Waffenstillstand einzusetzen, ist ein gefährlicher Präzedenzfall – nicht nur mit Blick auf die Hamas, sondern auf bewaffnete Gruppierungen weltweit.

Das Rote Kreuz hat in Gaza zwar humanitäre Hilfe geleistet – unter anderem medizinische Versorgung in Krankenhäusern, Notfalldienste in Zusammenarbeit mit dem Palästinensischen Roten Halbmond sowie die Verteilung von Hilfsgütern an Zivilisten. Das Rote Kreuz sollte aber auch sicherstellen, dass die Geiseln als Nichtkombattanten menschenwürdig behandelt werden.

Premierminister Netanyahu forderte, dass das Rote Kreuz bei jedem Waffenstillstand alle Geiseln besuchen solle – doch die Hamas verweigerte den Zugang. Ende 2023 sagte der damalige israelische Aussenminister Eli Cohen, das Rote Kreuz habe „kein Existenzrecht“, wenn es die Geiseln in Gaza nicht besuche. Doch bis heute hat kein einziger Besuch bei den israelischen Geiseln stattgefunden.

Das Rote Kreuz erwähnt sie nicht einmal – es scheint ihnen völlig gleichgültig zu sein.

Leider ist es nicht verwunderlich, dass das Internationale Rote Kreuz das Schicksal der jüdischen Geiseln ignoriert. An der Gleichgültigkeit des Roten Kreuzes gegenüber jüdischem Leben und Leiden in Gefangenschaft hat sich nichts geändert. Schon im Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg bekannte das Rote Kreuz, es habe damals „versäumt, für die Millionen Opfer der Konzentrationslager – insbesondere für die gezielt verfolgten und ermordeten Juden – zu sprechen und zu handeln“. Erinnern wir uns: Vor über 80 Jahren bescheinigten Vertreter des Roten Kreuzes den Nazis, dass die Juden in Theresienstadt und anderen Lagern „gut behandelt“ würden.

In Israel entspricht das Rote Kreuz dem Magen David Adom, dem nationalen Rettungs-, Notfall- und Blutspendedienst. Seit den 1930er Jahren bemühte sich Magen David Adom um die Aufnahme in die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Erst 2006, nach mehr als 60 Jahren des Ausschlusses, wurde Israel aufgenommen.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat das Rote Kreuz keine einzige der ursprünglich 251 Geiseln besucht oder geholfen. Das einzige, was vom Roten Kreuz zu sehen war, waren Krankenwagenkonvois bei Geiselbefreiungen – begleitet von schwer bewaffneten Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad. Diese Konvois dienten lediglich als Taxiservice von der Hamas zu den israelischen Streitkräften. Die Vertreter des Roten Kreuzes unternahmen nichts, um diese entwürdigende und einschüchternde öffentliche Zurschaustellung zu verhindern.

Israel sollte verlangen, dass vor jeder Verhandlung mit der Hamas über die Geiseln das Rote Kreuz alle Geiseln besucht und den Zustand von Leben und Tod feststellt. Dieser Forderung sollten sich auch die Vermittler aus Katar, Ägypten und den USA anschliessen. Ohne diese Grundlage gibt es keine Verhandlungsbasis.

Juden und Menschen aus aller Welt sollten ihre Spenden an das Internationale Rote Kreuz einstellen, bis diese Besuche stattfinden. Eine Entschuldigung des Roten Kreuzes und eine Änderung seiner einseitigen und vorurteilsbehafteten Haltung ist wahrscheinlich zu viel verlangt.

Dr. Michael Wise ist Gründer und Investor in zahlreichen Technologieunternehmen. Er ist Absolvent der Yeshiva University und hat an der Brandeis University in theoretischer Physik promoviert. Auf Englisch zuerst erschienen bei Arutz Sheva. Übersetzung Audiatur-Online.

1 Kommentar

  1. Danke für diesen wichtigen Bericht. Wenn das IKRK die Geiseln nicht besucht, kann es wenigstens aufrichtigen Herzens sagen: Das haben wir so alles nicht gewusst…

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