Gedenkorte und Gedenkstätten zu NS-Geschichte und Schoah gibt es viele. Die Idee aber, in einem Handyspiel an historischen Schauplätzen die Brücke in die Gegenwart jüdischer Kultur zu schlagen, ist neu.
von Volker Hasenauer
Freiburg (KNA) Einmal mit der Handykamera die Umgebung filmen – und plötzlich steht sie wieder da: die 1938 von den Nationalsozialisten niedergebrannte Freiburger Synagoge. Als digitale 3D-Rekonstruktion fügt sich das jüdische Gotteshaus auf dem Smartphone-Bildschirm perfekt in das Straßenbild von heute ein. Hinter der grau-weißen Synagoge steht die Universitätsbibliothek, daneben das Stadttheater. Auch die Menschen in der Freiburger Innenstadt integriert die App ins Bild.
Willkommen in der App „FreiBuddy“ – einem Geschichts-Stadtrundgang-Handyspiel, das einen neuen Zugang zur jüdischen Geschichte in Freiburg und im Südwesten anbietet. Mit Hilfe von Augmented-Reality-Technik verbinden sich auf dem Handy oder Tablet Realität und Computerspiel.
„Soweit wir wissen, sind wir die erste Stadt in ganz Deutschland, die ein solches ‚Serious Game‘ als Rundgang zur jüdischen Geschichte entwickelt hat“, sagt Julia Wolrab, Leiterin des Freiburger Dokumentationszentrums Nationalsozialismus, das in wenigen Tagen für Besucher öffnet. Sie hatte die Idee zur App, die dann das Projektteam der Freiburger Museen mit Elmira Detscher und Caroline Klemm umsetzte. In Workshops beteiligten sich rund 100 Schüler und Schülerinnen.
Dabei meint „Serious Game“, dass ernste, meist historische Inhalte auf spielerische Art vermittelt werden. Auch um handybegeisterte, junge Besucher zu erreichen, die vielleicht weniger oft ins Museum oder an einen Gedenkort gehen. Möglich wurde die Entwicklung, weil die Freiburger Museen erfolgreich eine Projektförderung bei der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft in Höhe von 180.000 Euro einwerben konnten. Hinzu kamen 30.000 Euro aus dem städtischen Museumsetat.
Ruth Geiss-Friedlander ist Vorsitzende der liberalen, egalitären jüdischen Gemeinde in Freiburg. Als sie vom App-Projekt erfährt, ist sie zunächst skeptisch. „Jüdische Geschichte und Kultur sind doch kein Spiel! Das war mein erster Gedanke. Doch die Ideen, Konzepte und vor allem das neugierige Fragen der App-Macherinnen haben mich dann wirklich überzeugt.“
Also beteiligt sich die jüdische Gemeindevorständin an der weiteren Entwicklung und kommt nun als Figur, mit Texten und Sprachnachrichten in der App vor. Geiss-Friedlander berichtet Nutzern beispielsweise, wie vielfältig jüdisches Leben inzwischen heute im Südwesten Deutschlands ist.
Die App bietet Spielern drei verschiedene, je etwa 90-minütige Szenarien an. App-Nutzer können ein aus Israel nach Deutschland gekommenes Touristenpaar beim Stadtrundgang begleiten, eine jüdische Studentin bei der Suche nach der Geschichte ihre Großmutter unterstützen oder dabei sein, wie eine jüdische Familie aus München nach Freiburg umzieht.
Spielbar ist die App, die kostenlos, aber nur nach persönlicher Anmeldung bei den Freiburger Museen abrufbar ist, nur vor Ort. Informationen und Spielelemente sind immer mit dem jeweiligen Standort verknüpft.
Die frisch und in Neonfarben designten Spielcharaktere berichten in Text und Audios und reagieren auf die Antworten der Spieler. Manchmal sind Rätsel oder Suchspiele zu lösen. Integriert sind historische Originaldokumente. Manche Elemente erinnern an die Erfolgsapp „Pokemon Go“, beispielsweise wenn Hinweise oder Schalter in der Luft schwebend im Handybild auftauchen. Die meisten Inhalte der App sind auch auf Englisch übersetzt, so dass auch internationale Besucher „FreiBuddy“ spielen können.
Ein wichtiger Wunsch von jüdischer Seite war es, die Spielszenarien nicht einseitig auf die NS-Zeit zu fokussieren, sondern die jüdische Vielfalt in der Gegenwart zu zeigen. „Oft gibt es in den Köpfen die Vorstellung, jüdische Kultur sei irgendwie etwas ganz anderes, etwas Exotisches“, sagt Julia Wolrab. „Wer ‚FreiBuddy‘ spielt, wird ein neues Bild bekommen – und beispielsweise mehr über jüdische Studierende, koscheres Essen oder jüdische Sportvereine erfahren. Die App will jüdisches Leben sichtbarer machen.“
Genau das war auch Ruth Geiss-Friedlanders Motivation, sich an dem Computerspiel zu beteiligen. „Vielleicht gelingt es der App, bei manchen Spielern Interesse für jüdisches Leben heute zu wecken. Vielleicht wird mancher sogar neugierig, und sucht dann im echten Leben Kontakt zu Jüdinnen und Juden in seiner Stadt.“
Die App "FreiBuddy" ist kostenlos in den Appstores abrufbar. Wegen der Datenmenge empfiehlt sich der Download über Wlan. Zur Nutzung ist eine Anmeldung über dzns@stadt.freiburg.de notwendig. Tablets mit der App sind ab 21. März im Dokumentationszentrum Nationalsozialismus ausleihbar.
KNA/has/mjb/lwi