Warum die UNRWA aufgelöst werden sollte

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Der Sitz des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) in Gaza-Stadt. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Der Sitz des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) in Gaza-Stadt. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Lesezeit: 9 Minuten

Keine andere Bevölkerungsgruppe hat ihr eigenes UN-Hilfswerk – und keinen anderen «Flüchtlingsstatus» kann man vererben. Die UNRWA produziert keine Lösungen, sondern sorgt für die institutionelle Verlängerung eines Konflikts. Ihre Auflösung ist überfällig.

von Emrah Erken

Die meisten, die völlig zu Recht für die Auflösung der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (UNRWA) plädieren, begründen dies in erster Linie mit der Verquickung der Organisation mit dschihadistischen Terrororganisationen und der antisemitischen Indoktrination, die an den von ihr betrieben Schulen erfolgt. In der nachfolgenden Darstellung wird auf die UNRWA-Problematik mit anderen Argumenten eingegangen, die praktisch von niemandem thematisiert werden.

Die erste geradezu banale Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Warum existiert unter dem Dach der Vereinten Nationen eine Organisation, die sich exklusiv um eine Bevölkerungsgruppe kümmert? Schon der Umstand, dass die Vereinten Nationen über zwei Flüchtlingshilfswerke verfügen, sollte doch Fragen aufwerfen. Namentlich sind es die im Jahr 1949 UNRWA für die sogenannten «Palästina-Flüchtlinge», ausserdem die im Folgejahr gegründete United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) für alle Flüchtlinge der Welt, die nicht von der UNRWA betreut werden. Noch überraschender mutet die unterschiedlich starke Finanzierung der beiden Institutionen an. Aussagekräftig sind in diesem Zusammenhang die Zahlen vor dem Ausbruch des aktuellen Gaza-Konflikts. Während das Budget der UNHCR, die im Jahr 2022 für weltweit insgesamt 108,4 Millionen Flüchtlinge zuständig war, 10,7 Milliarden Dollar betrug, hatte die UNRWA, die sich für insgesamt 5,9 Millionen als «Palästina-Flüchtlinge» bezeichnete Personen zuständig sieht, von denen 1,5 Millionen in sogenannten «Palästinensischen Flüchtlingslagern» leben, im gleichen Jahr 1,6 Milliarden Dollar von der internationalen Gemeinschaft gefordert. Wer jetzt zum Taschenrechner greift, um das Ausmass dieser vermeintlichen Privilegierung nachzurechnen, befindet sich auf der falschen Spur: Beide Institutionen verwenden sehr unterschiedliche Flüchtlingsdefinitionen, worauf gleich eingegangen wird. Während sich das UNHCR um tatsächliche Flüchtlinge kümmert, erfüllt die UNRWA mit ihrer Flüchtlingsdefinition eine politische Funktion. Mit Schutz vor Flucht, politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung hat die gewöhnliche Tätigkeit der UNRWA zumindest in Friedenszeiten nichts zu tun.

Ein Flüchtlingsstatus ohne Flucht

Die UNHCR definiert den Begriff «Flüchtling» wie folgt:

«Flüchtlinge sind Menschen, die gezwungen sind, ihr eigenes Land zu verlassen und in einem anderen Land Schutz zu suchen. Sie können nicht in ihr eigenes Land zurückkehren, weil sie aufgrund ihrer Person, ihres Glaubens oder ihrer Äusserungen verfolgt werden oder weil es in ihrem Land zu bewaffneten Konflikten, Gewalt oder schweren Unruhen kommt.»

Die UNRWA hingegen definiert «Palästina-Flüchtling» als «Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben». Relevant für diese «Flüchtlingseigenschaft» ist damit der gewöhnliche Wohnsitz während eines Zeitfensters von circa zwei Jahren vor mehr als 75 Jahren, nicht etwa die Geburt im britischen Mandatsgebiet Palästina. In Anbetracht dieser eigenwilligen Flüchtlingsdefinition gilt beispielsweise Jassir Arafat nicht als «palästinensischer Flüchtling», da er im für die UNRWA relevanten Zeitraum seinen gewöhnlichen Wohnsitz nicht im britischen Mandatsgebiet Palästina hatte, sondern in Ägypten. Wikipedia schreibt über ihn: «Jassir Arafat wurde am 4. oder 24. August 1929 in Kairo, Ägypten geboren. Dies basiert auf übereinstimmenden Angaben von verschiedenen Biografen. (…) 1948 schloss Arafat seine Schulausbildung mit dem ägyptischen Abitur ab. Das Studium nahm er erst ein Jahr später auf, da sein Hauptinteresse der politischen Entwicklung galt.»

Zudem wurde die Definition des «Palästina-Flüchtlings» von der UNRWA erheblich ausgeweitet. Die UNRWA schreibt auf ihrer Webseite:

«Die Dienste der UNRWA stehen allen Personen zur Verfügung, die in ihrem Einsatzgebiet leben, dieser Definition entsprechen, bei der Agentur registriert sind und Hilfe benötigen. Auch die Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge, einschliesslich Adoptivkinder, können sich registrieren lassen. Als die Agentur 1950 ihre Arbeit aufnahm, reagierte sie auf die Bedürfnisse von etwa 750.000 palästinensischen Flüchtlingen. Heute haben etwa 5,9 Millionen palästinensische Flüchtlinge Anspruch auf die Dienste der UNRWA.»

Vom Flüchtlingsstatus zur Ersatz-Staatsbürgerschaft

Um ein praktisches Beispiel zu geben, damit klar wird, was das bedeutet: Da die UNRWA auch die Nachkommen der von ihr selbst definierten «Palästina-Flüchtlinge» in ihre Begriffsbestimmung einbezieht, ist beispielsweise die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, die als Sprecherin des ehemaligen deutschen Aussenministers Frank-Walter Steinmeier und später als Staatssekretärin des Landes Berlin amtete, ein «Palästina-Flüchtling», und dies trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit, weil ihr verstorbener Vater gemäss UNRWA-Definition diesen Status hatte. Da ihr Ehemann Nizar Maarouf nicht als «palästinensischer Flüchtling» gilt, hat ihr gemeinsames Kind, welches im Jahr 2021 geboren wurde, diesen Status nicht, weil die Vererbbarkeit sich auf das männliche Geschlecht beschränkt.

Mit ihrer eigenwilligen Definition etabliert die UNRWA den Status eines Erbflüchtlings, der mittels offizieller Registrierung von Personen erfolgt, die als Palästinenser gelten sollen. Wenn man so will, kann man von einer Art Ersatzstaatsangehörigkeit sprechen, um das Staatsvolk des zukünftigen Staates «Palästina» zu definieren. Zu diesem Status gehört unausgesprochen die Botschaft, dass die Flüchtlingseigenschaft erst dann endet, wenn nach der Vernichtung Israels an seiner Stelle ein Staat namens «Palästina» entsteht. Erst dann würde aus der Ersatzstaatsangehörigkeit eine echte Staatsangehörigkeit, und erst dann hätte die UNRWA ihr Endziel verwirklicht. Natürlich steht auch die sogenannte «Zweistaatenlösung» im Widerspruch zur UNRWA-Definition, weil nur das vollständige Verschwinden Israels die «Flüchtlingseigenschaft» sämtlicher «Palästina-Flüchtlinge» und deren Nachkommen beenden könnte und erst dann könnte die UNRWA aufhören zu existieren.

Dass die Schaffung des Status des Erbflüchtlings durch die UNRWA ein politisches Ziel verfolgt und eine Ersatzstaatsangehörigkeit darstellt, ist nicht nur die Meinung des Autors. Selbst Philippe Lazzarini, Generalsekretär der UNRWA, bestätigt diese Angabe. In einem X-Post vom 13. September 2024 hebt er die aus seiner Sicht wichtigste Funktion der UNRWA selbst hervor. Im Zusammenhang mit den Bestrebungen, die UNRWA zu zerschlagen, meint er in einem BBC-Hardtalk-Interview: «Diese Versuche zielen darauf ab, den Palästinensern ihren Flüchtlingsstatus zu entziehen und ihr Streben nach Selbstbestimmung zu untergraben.»

Ein Vergleich, der alles sagt: Was ist mit den Kurden?

Um es nochmals zu verdeutlichen, ist hier nochmals auf die UNHCR-Definition eines Flüchtlings hinzuweisen: «Flüchtlinge sind Menschen, die vor Krieg, Gewalt, Konflikten oder Verfolgung geflohen sind und eine internationale Grenze überschritten haben, um in einem anderen Land Sicherheit zu finden.» Die Definition eines «Palästina-Flüchtlings» im Sinne der UNRWA-Definition und der Zweck, der damit verfolgt wird, steht ganz offensichtlich im diametralen Widerspruch zum Flüchtlingsbegriff, der von der UNHCR verwendet wird und was gewöhnliche Menschen unter dem Ausdruck «Flüchtling» verstehen. An dieser Stelle ist zu unterstreichen, dass man das «Streben nach Selbstbestimmung» einer bestimmten Gruppierung durchaus befürworten kann. Das Problem, welches hier vorliegt, ist allerdings, dass es nicht sein kann, eine spezifische Bevölkerung, die nach Selbstbestimmung strebt, aus politischen Gründen als «Flüchtling» zu bezeichnen und dass man eigens für diesen Zweck eine UN-Institution unterhält. So streben beispielsweise auch die Kurden, die auf den Staatsgebieten von der Türkei, Syrien, Iran und Irak leben, ebenfalls die Selbstbestimmung an. Obwohl sich deren Sprache und Kultur von der Mehrheitsgesellschaft in diesen Ländern unterscheidet, werden sie nicht pauschal als «Flüchtlinge» bezeichnet und es gibt auch keine UN-Einrichtung, die dafür zuständig ist, den Kurden die Selbstbestimmung zu ermöglichen. Um bei den Kurden zu bleiben: Es gibt auch in der Schweiz viele Kurden, die als echte Flüchtlinge eingewandert sind. Viele von ihnen konnten sich hervorragend integrieren und haben sodann die schweizerische Staatsangehörigkeit erworben. Ab diesem Zeitpunkt kann man deren Flüchtlingseigenschaft klar verneinen. Das trifft bei den sogenannten «Palästina-Flüchtlingen» nicht zu.

Diese Ausführungen sollten verdeutlicht haben, dass der Ausdruck «Flüchtling» bei den sogenannten «Palästina-Flüchtlingen» missbräuchlich verwendet wird. Das trifft auch auf andere Begriffe zu, die in diesem Zusammenhang gebraucht werden. Das heisst also, dass die UNRWA kein «Flüchtlingshilfswerk» ist, weil sie zumindest in Friedenszeiten keine Personen betreut, «die vor Krieg, Gewalt, Konflikten oder Verfolgung geflohen sind und eine internationale Grenze überschritten haben, um in einem anderen Land Sicherheit zu finden». Ein Schweizer mit palästinensischer Herkunft, was in unserem Land durchaus existiert, ist daher kein Flüchtling, auch wenn die UNRWA ihn so sieht und aus diesem Grund registriert hat. Eine solche Person befindet sich ganz eindeutig nicht auf der Flucht. Das grösste «Flüchtlingslager» der UNRWA befindet sich in Dschabaliya im Norden Gazas, wo vor dem aktuellen Gaza-Krieg rund 116’000 Menschen lebten. Es ist nicht so, dass man die Bewohner von Dschabaliya von der übrigen Bevölkerung Gazas unterscheiden kann. Auch trifft es nicht zu, dass die Bewohner dieses Ortes vor dem aktuellen Krieg in Zelten lebten, wie man sich das vorstellen könnte.

Die Perpetuierung des Problems – statt seiner Lösung

Dass die UNRWA durch ihre eigenwillige und politisch motivierte Flüchtlingsdefinition ein Problem perpetuiert, kann aus ihren eigenen Ausführungen auf ihrer Webseite entnommen werden. Aus einst 750’000 «Palästina-Flüchtlingen» im Jahr 1949, deren überwiegende Mehrheit mittlerweile verstorben sein dürfte, sind heute rund 5,9 Mio. «Palästina-Flüchtlinge» geworden. In zwanzig Jahren dürfte praktisch kein einziger von den ursprünglichen «Palästina-Flüchtlingen» am Leben sein. In Anbetracht des Bevölkerungswachstums der «Palästina-Flüchtlinge» im Sinne der UNRWA-Definition dürfte die Zahl dieser «Flüchtlinge» in zwanzig Jahren die 10 Millionen-Grenze überschritten haben, und dies völlig unabhängig davon, ob die entsprechenden Personen weitere Staatsangehörigkeiten besitzen und beispielsweise Schweizer, Deutsche, Amerikaner oder Franzosen sind.

Angesichts der Tatsache, dass die UNRWA-Definition eines «Palästina-Flüchtlings» sich auf «Personen, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und die infolge des Konflikts von 1948 sowohl ihre Heimat als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben» einschränkt, ist nachfolgend auf eine weitere Tatsache hinzuweisen. Robert Kennedy, der Bruder von John F. Kennedy, der im Jahr 1968 vom palästinensischen Attentäter Sirhan Sirhan ermordet wurde, befand sich im Jahr 1948 kurz bevor die Unabhängigkeit des jüdischen Staates ausgerufen wurde in Palästina, und schrieb seinem Vater einen bemerkenswerten Brief. Darin ist die nachfolgende Stelle hervorzuheben:

«Die Juden verweisen mit Stolz auf die Tatsache, dass in den 12 Jahren zwischen 1932 und 1944 über 500’000 Araber nach Palästina kamen, um von den Lebensbedingungen zu profitieren, die in keinem anderen arabischen Staat herrschen. Dies ist das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, in dem es eine arabische Mittelschicht gibt.»

Wenn man die UNRWA-Definition eines «Palästina-Flüchtlings», die sich auf den Wohnsitz zwischen 1946 und 1948 bezieht, und diese Angaben kombiniert, kann gesagt werden, dass ein erheblicher Teil der heutigen «palästinensischen Flüchtlinge» von Arabern abstammt, die nicht zur arabischen Urbevölkerung des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina gehörten, sondern arabische Migranten aus umliegenden arabischen Gebieten waren, die nur wenige Jahre vor der Staatsgründung Israels eingewandert waren.

In der bevorstehenden Frühlingssession wird der Ständerat als Zweitrat entscheiden, ob die Finanzierung der UNRWA durch die Schweiz fortgesetzt werden soll. Er täte gut daran, die Geldzahlungen an diese höchst fragwürdige Institution von nun an zu verweigern. Die UNRWA ist keineswegs unverzichtbar, wie deren Unterstützer dies angeben. Sie ist Teil des Problems, und dies nicht nur wegen ihrer Verwicklung in dschihadistische Aktivitäten und Indoktrination von Kindern und Jugendlichen mit antisemitischen Verschwörungstheorien, sondern aufgrund ihrer institutionell angelegten Eigenschaft, einen Konflikt aufrechtzuerhalten, anzufeuern und zu perpetuieren.

Emrah Erken ist Rechtsanwalt und Publizist.

3 Kommentare

  1. Ich hoffe unser Ständerat wird noch in dieser Session, den längst überfälligen Entscheid fällen, dieser Zudienerorganisation unsere Steuergelder zu verweigern.
    Danke für den interessanten Beitrag.

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