Trauriger Betonzeuge: Jerusalemer Flughafen-Relikt mit Symbolcharakter

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Jerusalemer Flughafen Qalandia-Atarot. Foto Hagai Agmon-Snir حچاي اچمون-سنير חגי אגמון-שניר - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128376282
Jerusalemer Flughafen Qalandia-Atarot. Foto Hagai Agmon-Snir حچاي اچمون-سنير חגי אגמון-שניר - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128376282
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Jerusalem hatte einst einen internationalen Flughafen. Dessen Ruine zeugt nicht nur vom Preis des Konfliktes, sondern von einer weiteren verpassten Chance.

Die verschiedenen Namen mögen irritieren: Atarot, Qalandiya (manchmal auch Kolundia), Jerusalem und schliesslich Jerusalem International Airport. Die Umbenennungen gehen auf politische Einschnitte zurück, die den Betrieb dieses Flughafens nördlich von Jerusalem massiv beeinflussten.

Die wechselhafte Geschichte der Umgebung

Die geografische Vorortung dieses 1925 eingeweihten Flughafens macht einsichtig, warum seine Geschichte nicht nur wechselhaft war, sondern von extremen Konstellationen geprägt wurde. Für diese Region nördlich von Jerusalem erwähnt die Bibel (Josua 16,2 u. 7) die Ortschaft Atarot. Archäologische Funde belegen, dass in der Gegend der heutigen Westjordanland-Stadt Qalandiya sowie des 1949 errichteten gleichnamigen Flüchtlingscamp ab der Zeit des Zweiten Tempels Juden lebten.

1912 kaufte die Palestine Land Development Corporation von arabischen Einwohnern des Dorfes Qalandiya Ländereien, auf denen sich 1914 jüdische Einwanderer niederliessen, darunter der spätere israelische Ministerpräsident Levi Eshkol. Der Plan, den Boden landwirtschaftlich ertragreich zu erschliessen, rentierte sich erst nach Ankauf weiterer Ländereien, was 1922 zur Gründung des Moschaw Atarot führte. 1931 verzeichnete eine britische Volkserhebung in dieser landwirtschaftlichen Kooperative 250 Einwohner.

Die Briten als Pioniere

Als den Briten nach dem Ersten Weltkrieg das Völkerbundmandat für Palästina zugesprochen wurde, gab es keinen Flughafen in der Region. Schon 1918 eruierten die zukünftigen Machthaber mehrere Gebiete, wobei sich Atarot als geeignet für die Anlage eines Rollfeldes herausstellte. Der 1925 eingeweihte Atarot Airport war zunächst ausschliesslich für militärische Zwecke gedacht. Obwohl die Start- und Landebahn lediglich aus einer Schotterstrecke bestand, kam schon bald ein privater Flugverkehr hinzu.

1936 wurden regelmässig bediente Reiseziele hinzugefügt, was bemerkenswert ist, da seit 1935 der ebenfalls von den Briten errichteten Flughafen Lydda, der spätere Ben-Gurion-Flughafen, operierte. Damals wurde auf dem Weg von London nach Indien in Atarot Tank- und Versorgungsstopp eingelegt. Auch beim Abzug der Briten aus dem Mandatsgebiet schrieb der Flughafen Geschichte. Am Freitag den 14. Mai 1948 reiste von hier der letzte britische Hochkommissar Sir Alan Cunningham aus dem Land ab.

Herrscherwechsel

Während der britischen Mandatszeit etablierte sich der Moschaw Atarot. Er versorgte Jerusalem mit Agrar- und Milchprodukten. Während der Arabischen Unruhen (1929, 1936-1939) rangen die Bewohner mit Übergriffen und sogar Belagerungen. Als der Staat Israel gegründet wurde, galt Atarot als Teil des Bollwerkes, das Jerusalem schützen sollte, musste allerdings nur wenige Tage später aufgegeben werden. Schon am 17. Mai 1948 rückte die Arabische Legion unter jordanischem Befehl in die Gegend vor und übernahm somit auch die Kontrolle über den Flughafen, der zunächst als Qalandiya und ab 1950 als Jerusalem Airport bekannt war.

Übrigens: Die geflohenen jüdischen Bewohner von Atarot liessen sich in Wilhelma nieder, einer der verwaisten Ansiedlungen der deutschen Templer, die sie in Gedenken an ihr ehemaliges Zuhause Bnei Atarot benannten.

Glanz und Gloria unter jordanischer Leitung

Schnell wurden Flugverbindungen mit der jordanischen Hauptstadt Amman eingeführt. Nachdem die Jordanier Grenz- und Zollkontrolleinrichtungen aufgebaut hatten, kamen Verbindungen ins syrische Damaskus und im weiteren Verlauf ins libanesische Beirut sowie nach Kairo in Ägypten hinzu.

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Vor dem Flughafen Atarot/Jerusalem am 23. Dezember 1961. Foto Mike Loader – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=113840193

Zu jordanischen Zeiten boten nicht weniger als 17 ausländische Fluglinien Flüge vom und zum Qalandiya/Jerusalem Flughafen an. Darunter waren natürlich Fluggesellschaften arabischer Staaten, aber auch die europäischen Firmen Sabena, KLM, Air France und Alitalia. Der Jerusalemer Flugplan war damals bemerkenswerterweise sehr viel geschäftiger als der Flughafen der jordanischen Hauptstadt, obwohl die Start- und Landebahn zwar längst asphaltiert, aber dennoch recht kurz und ausserdem unbeleuchtet war, weshalb Flüge nur bei Tageslicht abgewickelt werden konnten. Die Jordanier bauten den Flughafen sehr umfangreich aus. König Hussein waren nicht nur Potenzial und politische Bedeutung Jerusalems bewusst. Er wusste zudem, dass in Jerusalem landende Flugzeuge die jordanische Kontrolle über die Stadt zu legitimieren vermögen, gerade weil Jordanien damit rang, dass es von den arabischen Staaten wegen seiner Annexion von Ost-Jerusalem und dem Westjordanland gerügt wurde.

Die 1960er Jahre waren die Blütezeit des Flughafens. In Spitzenjahren wurden hier rund 1.000 Flüge bewältigt und 100.000 Passagiere verzeichnet. Über die bereits erwähnten Ziele in den Anrainerstaaten wurden Verbindungen nach Nikosia und Rom, Bagdad, Kuwait, Doha, Jeddah, Kabul und Kandahar ebenso wie zum iranischen Abadan angeboten. Für VIP-Reisende richtete man eine exquisite Lounge ein, die längst nicht nur die Schauspieler Peter O´Toole und Omar Sharif frequentierten, die während der Dreharbeiten zum Film „Lawrence von Arabien“ regelmässig über diesen Flughafen reisten. Die meisten Reisenden waren jedoch Touristen, Händler und Diplomaten sowie Studenten, die an Universitäten der arabischen Nachbarstaaten studierten. Zudem reisten Palästinenser, die in Kuwait arbeiteten, gerne über diesen Flughafen.

Ein weiteres Kontingent der Flughafengäste stellten Pilger, muslimische wie auch christliche Wallfahrer. Spuren in der Flughafengeschichte hinterliess 1964 die Anreise von Papst Paul VI. bei seinem Besuch im Heiligen Land. Das nämlich brachte eine italienische Fluggesellschaft auf die Idee, eine Verbindung über den Jerusalem Flughafen anzubieten, die sich speziell an christliche Pilger richtete. Tatsächlich stieg das Aufkommen der Pilger-Flugreisenden an, allerdings erst Ende 1967 als der Flughafen bereits Israel unterstand.

Zweierlei Mass enttäuschen Hoffnungen

Dass jüdische Israelis wenige Tage nach Gründung ihres Staates aus Atarot fliehen mussten, wird zumeist nicht erwähnt. Geht es um dieses geografische Gebiet, so steht vielmehr der Flughafen im Fokus. Viele Berichte verfolgen das Narrativ des „gestohlenen Flughafens“, sodass sie hervorheben, dass Israel das Gebiet 1967 gewaltsam eroberte und seither kontrolliert. Dass Jordanien 1948 nichts anderes tat, wird zumeist ausgeblendet.

Diese Unausgewogenheit bekam Israel schon kurz nach 1967 beim weitergeführten Betrieb des Flughafens zu spüren. Das Land investierte nennenswerte Ressourcen, um Flughafen und Flugverkehr aufzuwerten, musste aber hinnehmen, dass – anders als zu jordanischen Zeiten – die westlichen Fluglinien gegenüber Israels Präsenz in der Region keine Toleranz übten und fernblieben. US-Fluglinien z. B. die sehr wohl ein Operieren erwogen, wurden vom State Department zurückgepfiffen.

Deshalb konnten letztlich ausschliesslich Inlandsfüge über diesen ausgegrenzten Flughafen der zudem international nicht anerkannten israelischen Hauptstadt Jerusalem abgewickelt werden. Eine Ausnahme gab es: Als Israels Ministerpräsident Menachem Begin 1978 seinen historischen Besuch bei Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat unternahm, reiste er über den Atarot-Qalandiya-Jerusalem-Flughafen.

Gewalt setzt weitere Grenzen

Nachdem Israel durch das Jerusalem-Gesetz von 1980 die Gegend mitsamt Dörfern und Flughafen dem Verwaltungsbereich von Jerusalem hinzufügte, setzte das für den Industriepark Atarot wichtige Impulse. Vor der Jahrtausendwende beherbergte er über 200 Firmen, darunter Coca-Cola und Mercedes Benz. Als im Jahr 2000 die palästinensische Führung dann die Zweite Intifada ausrief, nahmen die Aktivitäten im Industriegebiet massiv ab. Zudem musste Israel alle Aktivitäten auf dem Flughafen einstellen, da die umliegenden arabischen Dörfer so sehr in dessen Richtung gewachsen waren, dass trotz anwesenden Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) die Sicherheit nicht gewährt werden konnte.

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Flughafengebäude im Jahr 2023 in einem desolaten Zustand. Foto Hagai Agmon-Snir حچاي اچمون-سنير חגי אגמון-שניר – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128376272

Symbol einer verpassten Chance

Immer noch stehen die Flughafengebäude, auch wenn sie längst in einem desolaten Zustand sind. Der gesamte Komplex ist eine Ruine mit kaputten Fenstern und zerstörten Inneneinrichtungen. Rollbahn und Kontrollturm sind noch zu erkennen, wenngleich sich die Natur diese Betonlandschaft zurückerobert. Ein Teil der Start- und Landebahn dient heute als Park- und Wartungsdepot für Autobusse. Hier und da stösst man auf illegal entsorgten Bauschutt. Praktiktisch in Sichtweite der Ruine befindet sich der erwähnte Industriepark, der hingegen prosperiert. Hier investierte ein israelischer Supermarktbetreiber Millionen in ein Einkaufszentrum, das seit Eröffnung 2019 trotz politischer unruhiger Zeiten ein Ort ist, an dem Israelis und Palästinenser gemeinsam arbeiten und einkaufen.

Auch der Flughafen hätte prosperieren können. Doch der israelische Vorschlag auf dem Camp-David-Gipfel des Jahres 2000 wurde ausgeschlagen. Der israelische Kabinettminister Yossi Beilin, der Anfang des vorangegangenen Jahrzehnts an den Osloer Friedensverhandlungen beteiligt war, unterbreitet den Vorschlag, dass Israelis und Palästinenser den Flughafen ganz nach Genfer Vorbild gemeinsam betreiben. Das lehnte die palästinensische Führung ab. Vielmehr wurden hochtrabende Forderungen nach einem eigenen internationalen Flughafen in den Raum gestellt.

Über zwei Jahrzehnte später, als Israel über einen Wohnungsbauplan für ultraorthodoxe und arabische Jerusalemer auf dem Gelände nachdachte, wurde die Palästinensische Autonomiebehörde wieder einmal in Sachen Flughafen wach und pries den Jerusalem Flughafen als Symbol palästinensischer Souveränität. Der jedoch ist eine traurige Ruine und ein erbärmlicher Zeitzeuge eines Aspektes der palästinensischen Geschichte, den Israels diplomatisches Urgestein Abba Eban bereits in den 1970er Jahren wie folgt umschrieb: Geht es um israelische Friedensangebote, so lässt die palästinensische Führung keine Gelegenheit aus, eine Gelegenheit zu verpassen.

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Über Antje C. Naujoks

Antje C. Naujoks lebt seit fast 40 Jahren in Israel, wo sie ihr an der FU Berlin aufgenommenen Studium im Bereich der Politikwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem abschloss. Nach langjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit ist sie seit Jahrzehnten für die Öffentlichkeitsarbeit einer israelischen NGO verantwortlich, darüber hinaus aber weiterhin auch als Übersetzerin und Autorin tätig.

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