Warum darf Alice Wairimu Nderitu künftig nicht mehr für die UN arbeiten?

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Alice Wairimu Nderitu am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, 16. Juni 2023. Foto IMAGO / ZUMA Press Wire
Alice Wairimu Nderitu am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, 16. Juni 2023. Foto IMAGO / ZUMA Press Wire
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Die kenianische Friedensforscherin Alice Wairimu Nderitu verlässt die UN, nachdem ihr Vertrag nicht verlängert wurde.Ihr Abgang wirft Fragen auf: Ist dies tatsächlich nur das Ende einer Amtszeit, oder steht ihre Weigerung, Israels Gaza-Kampagne voreilig als Völkermord zu klassifizieren, im Mittelpunkt dieser Entscheidung?

Nderitu Alice Wairimu Nderitu, die in Kenia geborene und weit über ihre Heimat hinaus bekannte Friedens- und Konfliktforscherin, im November 2020 vom Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) Antonio Guterres als Untergeneralsekretärin und Sonderberaterin für die Prävention von Völkermord ernannt, hatte sich geweigert, Israels Anti-Terror-Kampagne im Gazastreifen als Völkermord einzustufen, denn sie vertritt die Ansicht, solche Urteile dürfe nur ein unabhängiges Gericht fällen. Jetzt wurde ihr Vertrag bei der UN nicht verlängert.

Alice Nderitus Friedensarbeit in Kenia

Nderitu ist bekannt dafür, dass sie sich nicht beirren lässt. Sie war von 2010 bis 2021 eine von drei Mediatoren für eine Friedensvereinbarung, die von zehn ethnischen Gruppen im kenianischen Nakuru unterzeichnet wurde.100 Stammesälteste und drei Mediatoren kamen damals 16 Monate lang zusammen. Und Alice Nderitu war unter ihnen die einzige Frau. Sie war auch leitende Mediatorin in dem Befriedungsprozess zwischen 29 ethnischen Gemeinschaften im nigerianischen Bundesstaat Kaduna und hat Handbücher und Lehrpläne für die Prävention von Völkermord entwickelt. Sie hat die Uwiano Platform for Peace geschaffen, eine Agentur zur Konfliktverhütung, die 2013 weitgehend die Gewährleistung friedlicher Wahlen in Kenia ermöglicht hat und kämpft unermüdlich darum, dass Frauen in Stammes-Konflikten als selbstständige Menschen wahrgenommen werden und für sich einstehen dürfen, weil es nur aktiv möglich ist, ein Trauma zu überwinden. In einem Interview mit dem Auschwitz Institute for the Prevention of Genocide and Mass Atrocities (AIPG)  beschreibt sie die Herausforderung und Ziele ihrer Arbeit:

„Als Friedensstifter muss ich die Person mit der höchsten Fähigkeit identifizieren, Gewalt zu verursachen, weil sie umgekehrt die höchste Fähigkeit hat, Frieden zu gewährleisten… auch wenn jeder Menschenrechtsknochen in meinem Körper sagt, dass ich sicherstellen sollte, dass die Person für ihre Gräueltaten bezahlt.“

„Ich habe Beyond Ethnicism: Exploring Ethnic and Racial Diversity for Educators verfasst, vom Kenyan Institute of Curriculum Development and Ministry Education als Kenias erstes und einziges offizielles Lehrbuch für Lehrerbildung zu Konfliktprävention und ethnischer Inklusion zugelassen. Unsere Schulen, wie unser Land, haben schwere ethnische Spaltungen erlebt, die zu Konflikten geführt haben. Das Handbuch lehrt Lehrer, wie man über den Ethnismus hinausgeht, indem es ein Verständnis dafür schafft, wie eine Schulgemeinschaft dazu beitragen kann, ethnische Konflikte zu beenden, indem sie gegenseitiges Vertrauen, Respekt für Unterschiede und Offenheit gegenüber Vielfalt stärkt. Er diskutiert die Ausmasse, durch die ein Konflikt zu einem Völkermord und zu Massengräueltaten werden kann. Es zeigt, dass ein neuer Ansatz für ethnische Interaktion zwischen Lernenden und Lernenden, Lernenden und Pädagogen sowie Lernenden, Pädagogen und Eltern einen positiven Unterschied zur Förderung von Vielfalt und Pluralismus in Schulgemeinschaften machen kann. Erzieher, die seinen oder ihren Lernenden beibringen, andere Gemeinschaften zu respektieren, können ihnen den Wunsch vermitteln, als Erwachsene in Harmonie zu leben. Das Organisationsprinzip des Handbuchs ist, dass die Vielfalt der Ethnien, Rassen, Sprachen, Kulturen und Religionen kein Vorwand für Konflikte sein sollte, sondern eine Quelle der Identität als Teil einer einzigen kenianischen Nation.“

Die Menschlichkeit des anderen wahrnehmen und nicht ohne Prozess urteilen

Statt den Graben zwischen Israelis und Palästinensern noch weiter zu vertiefen, wie es die UN mit ihren fortgesetzten Resolutionen gegen Israel tut, ruft Nderitu die Menschen im Nahen Osten „zu einer tiefen Anerkennung der essentiellen Menschlichkeit des anderen und ihrer historischen Bindungen“ auf.  Sie mahnt, es gelte ein „Gefühl der Gegenseitigkeit und des gemeinsamen Ziels aufzubauen, das so notwendig bleibt, damit die zukünftigen Generationen gemeinsam vorankommen. Der Dialog ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Aufbau einer Friedenskultur, die auf gemeinsamen Bedürfnissen nach kommunaler Stabilität und Sicherheit beruht. Diese Aufgabe ist enorm, und die Menschen auf beiden Seiten tragen tiefe Verletzungen, doch dieser Prozess muss jetzt beginnen.“

„Sonderberaterin Wairimu Nderitu bekräftigt auch, dass ihr Präventionsmandat es ihr nicht erlaubt, eine Position darüber zu äussern, ob das Verbrechen des Völkermords oder ein anderes spezifisches internationales Verbrechen begangen wurde, das nur von einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht entschieden werden kann.“ (Quelle: UN)

Ein UN-Sprecher behauptete, dass „Alice Nderitu die UN verlässt, weil ihr Vertrag ausläuft“. Aber warum dieser Vertrag nicht verlängert wird, möchte niemand dort erklären. Fürs Protokoll: Ein Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen (USG ) wird normalerweise von der Generalversammlung auf Empfehlung des Generalsekretärs für eine verlängerbare Amtszeit von vier Jahren ernannt. Es ist nach dem Generalsekretär und dem Stellvertretenden Generalsekretär der dritthöchste Dienstgrad innerhalb der Vereinten Nationen. Wenn so ein Vertrag nicht verlängert wird, dann geht es also nicht um irgendeinen Job. Und wenn man daneben sieht, dass ein notorischer Israelkritiker wie Volker Turk sich seit 1991 in der UN tummelt – seit 2015 in Spitzenpositionen – dann kann man hinter die lahme Erklärung aus dem Office durchaus ein Fragezeichen setzen. Das WSJ  kommentierte diesen Vorgang daher auch lakonisch mit den Worten: „Alice Nderitu said Israel’s campaign in Gaza doesn’t meet the definition of genocide. She was fired.“

Elisabeth Lahusen

Über Elisabeth Lahusen

Geb. 1961. Heilpädagogin, Journalistin. Schreibt in Deutschland, weil schon die Grossmutter nach dem KZ einfach nur wieder nach Hause wollte. Elisabeth Lahusen war langjährige Mitarbeiterin und Lebensgefährtin von Ulrich Sahm.

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