Im Juni ging das «Jüdische Forum Schweiz – Gescher» online. Es ist ein Vehikel von eingefleischten Realitätsverweigerern zum Schutz der eigenen Selbstgefälligkeit. Von Personen, die hinter Israel stehen und gegen Antisemitismus kämpfen, verdient es keine Sympathien.
Es ist eine Besonderheit des Nahostkonflikts, dass es keine europäisch-muslimischen Organisationen mit proisraelischer Agenda gibt, aber etliche europäisch-jüdische Vehikel mit militant antiisraelischem Programm. Zu letzteren gehört auch das im Juni gegründete «Jüdische Forum Schweiz – Gescher».
Hinter «Gescher» stehen gut dreihundert Personen, die ein «Offenes Statement» unterschrieben haben, weil «sie sich liberalen, demokratischen und humanistischen Werten verpflichtet fühlen und sich grosse Sorgen machen um die Situation im Nahen Osten.» Die meisten von ihnen sind Schweizer Juden, die eine linke bis sehr linke Gesinnung verbindet. Bemerkenswert ist, dass neben Szenesternchen wie Dina Pomeranz und Adina Rom auch Personen aus Mainstream-Organisationen dabei sind, so zum Beispiel Hans Daniel Schürch-Tal, der Vizepräsident der Zürcher Sektion der Gesellschaft Schweiz-Israel.
Israels «Abkehr von demokratischen Werten»
Einleitend versichern die Gescher-Leute, sie seien «von der Situation seit dem brutalen Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und vom Schicksal der israelischen Geiseln schwer betroffen.» Danach kommen sie vollkommen unbetroffen zur Sache. Sie lassen sich über das «unermessliche Leid der Zivilbevölkerung in Gaza» aus, beklagen «eine Intensivierung der Besatzung im Westjordanland», ferndiagnostizieren «eine zunehmende Abkehr von demokratischen Grundwerken in Israel» und prangern verklausuliert «Entwicklungen» an, «die die Freiheit, Würde und Menschenrechte der Bevölkerung in der Region verletzen.»
Auch zu den Auswirkungen des israelischen Überborderns auf das Ausland haben sie eine klare Meinung: «Die Eskalation im Nahen Osten», konstatieren sie beunruhigt, «führt auch in der Schweiz zu einem Anstieg antisemitischer und antimuslimischer Ressentiments.»
Angesichts all dieses Elends wollten sie nicht tatenlos rumsitzen. Also gründeten sie ein Forum für «Dialog» und «Austausch», das «Kräfte stärken» soll, die «auf eine gemeinsame Zukunft hinarbeiten, in der alle Israelis und Palästinenser:innen in Frieden, Würde und Sicherheit leben können.» Als Name wählten sie «Gescher», was «auf Hebräisch Brücke bedeutet und unser Commitment zum Brücken-Bauen zwischen Menschen und Communities symbolisiert.»
Nicht Brückenbauer sind gefragt, sondern Schraubenanzieher
Mit seinem einseitigen Abzug aus Gaza hat Israel die ultimative Brücke schon gebaut. Das war 2005. Als Belohnung dafür erhielt es Krieg in 2008, 2012, 2014, 2021 – und dann das grösste Pogrom seit dem Holocaust. Noch immer sind die babyköpfenden, massenvergewaltigenden Hamas-Mörder nicht an dem Punkt, an dem die Alliierten die Nazis im Mai 1945 hatten. Noch immer begrüsst eine satte Mehrheit der Palästinenser in der Westbank und in Gaza die Barbarei des 7. Oktobers. Wer unter diesen Umständen «Brücken bauen» will im Nahen Osten, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er in seinem Tassenschränkchen nicht ganze Tablare leer habe.
Dasselbe gilt für Westeuropa. Es gibt keine Migrantengruppe in der Geschichte Europas, die derart Täter war, aber derart als Opfer behandelt wurde wie die seit etwa der Jahrtausendwende (illegal) immigrierten Muslime. Antimuslimische Ressentiments gibt es nach wie vor keine – es sei denn, man fasst die Angst, Opfer eines islamistischen Attentäters zu werden, als solches auf. Auch in Europa braucht es dringend Schraubenanzieher, aber ganz bestimmt keine Brückenbauer.
Im Zentrum steht der Eigennutz
Die Realität ist mühsam. In der Realität gibt es keine Allheilmittel, auch für die Lösung von Konflikten nicht. Manchmal ist Dialog der richtige Weg, manchmal Vernichtungsfeuer, manchmal etwas dazwischen. Die Kunst der realitätsbasierten Politik ist es, die Wirklichkeit als solche zu akzeptieren und dann, von ihr ausgehend, für jeden Konflikt individuell die bestpassendste Lösung zu finden.
Die Politik von progressiv-woken Gesinnungsethikern funktioniert nach einem anderen Schema. Bei Gescher-Supportern steht nicht die Realität im Zentrum, sondern das eigene Selbstbild. Sie halten sich für kultivierter, fortschrittlicher und gütiger als die breite Masse im Allgemeinen und Polizisten, Soldaten und Waffenfabrikanten im Besonderen. Im differenzierten «Dialog» fühlen sie sich zuhause, und deswegen verlangen sie von der Realität, dass «Dialog» als Allheilmittel wirkt. Beugt sich die Realität, hat das nämlich zur Folge, dass sie als Dialog-Promoter an die intellektuelle und moralische Spitze der Gesellschaft vorrücken.
Die eigentliche Message von Gescher lautet: Unsere Ideologie ist wichtiger als eure Fakten. Und darum lassen wir uns von israelischen Müttern, die während ihrer Vergewaltigung zuschauen mussten, wie ihre Babys im Backofen verbrannt wurden, den Glauben an die Endlösung des Nahostkonflikts durch Dialog und Deeskalation nicht madig machen.
Hinter ihrer militant antiisraelischen Rhetorik verbirgt sich weder Antisemitismus noch eine Sorge um das Wohl der (dümmlich gegenderten) «Palästinenser:innen». Es geht um banalen Eigennutz. Ein Dialog ist nur dann sinnvoll, wenn beide Parteien moralisch in etwa auf der gleichen Stufe stehen. Indem die Gescher-Leute Israel auf die Stufe der Hamas hinabreden, verteidigen sie ihre selbstgefällige Eigenwahrnehmung als intellektuell und moralisch übermächtige Dialog-Promoter vor der Realität. Das ist selbstverständlich erlaubt. Aber Anerkennung dafür sollten sie von Personen, die Israel lieben und gegen Antisemitismus kämpfen, nicht erhalten.