Israel muss schicksalhafte Entscheidung bezüglich Hisbollah fällen

Das Risiko ist zwar beträchtlich, aber Israel hat jetzt die einmalige Gelegenheit, die Situation im Norden grundlegend voranzubringen.

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Hisbollah Kundgebung zum Al-Quds-Tag in Beirut, Libanon, 14. April 2023. Foto IMAGO / NurPhoto
Hisbollah Kundgebung zum Al-Quds-Tag in Beirut, Libanon, 14. April 2023. Foto IMAGO / NurPhoto
Lesezeit: 5 Minuten

Während sich die israelischen Streitkräfte der Endphase ihrer grossen Bodenoperationen gegen die Hamas in Rafah nähern, verschärft die Hisbollah ihre Drohungen, um Israel von einer gross angelegten Militäroperation im Libanon abzuhalten.

von Shachar Kleiman

In einer kürzlich gehaltenen Rede nahm Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah kein Blatt vor den Mund. Er deutete die Möglichkeit eines Angriffs der Terrororganisation auf Zypern an, prahlte mit einer Streitmacht von 100.000 Kämpfern und drohte mit einer Invasion in Galiläa.

Nasrallah drohte damit, dass die Hisbollah Israel angreifen werde, falls es Stützpunkte oder Flughäfen auf dem Inselstaat nutzen sollte. Während zypriotische Offizielle eine solche Zusammenarbeit verneinten, schien die Botschaft an die gesamte westliche Welt gerichtet: Die Hisbollah ist bereit, den Krieg mit Israel in einen regionalen Konflikt zu verwandeln. Dies scheint eine Reaktion auf den US-Gesandten Amos Hochstein gewesen zu sein, der die Libanesen vor einer Eskalation gewarnt hat, wenn sie keine Fortschritte in Richtung einer Lösung machen.

Nasrallah hofft vielleicht, dass die USA und die Europäische Union diplomatischen Druck auf Jerusalem ausüben werden, aber in jedem Fall hat er die Welt nur an die Bedrohung erinnert, die seine Organisation für viele Länder darstellt. Man denke nur an den Drogenhandel der Hisbollah, der sich vom Nahen Osten bis nach Südamerika erstreckt. Es scheint, dass die Vereinigten Staaten eine massvolle Ausweitung der Offensive tatsächlich unterstützen könnten.

Aus israelischer Sicht ist das Ziel an der Nordfront eindeutig – die Hisbollah und ihre Fähigkeiten von der Grenze zu verdrängen, damit die Bewohner sicher in ihre Häuser zurückkehren können.

Israels Optionen scheinen dürftig zu sein

Oberflächlich betrachtet scheinen alle Optionen Israels schlecht zu sein: Die Hisbollah hat sich zwar auf etwa 8 Kilometer von der Grenze zurückgezogen, doch ohne einschneidende Massnahmen seitens Israels könnte die Terrorgruppe jederzeit zurückkehren. Der Libanon wird seit zwei Jahren von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet, die sich schwer tun wird, eine diplomatische Lösung zu finden. Israel kann es sich nicht leisten, sich auf die libanesische Armee oder eine internationale Truppe zu verlassen, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten.

Letztlich birgt ein Krieg viele Risiken, die das israelische Sicherheitskabinett sorgfältig abwägen muss. Man kann nur hoffen, dass sich die erfahreneren Stimmen hinsichtlich der Art der Operation durchsetzen werden.

Jedenfalls ist es zweifelhaft, dass Israel eine bessere Gelegenheit haben wird, die Situation im Norden grundlegend zu verändern. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte könnten die derzeitige internationale Gelegenheit nutzen, um die strategischen Einrichtungen der Hisbollah zu zerstören.

Wie bereits 2020 bekannt wurde, unterhält die Hisbollah Produktionsstätten für Präzisionsraketen in Stadtvierteln im Herzen von Beirut. Ein zentraler Teil ihres Luftabwehrsystems befindet sich im Bekaa-Tal im Osten Libanons. Die Infrastruktur ihrer Drohneneinheit wurde letzte Woche in der Gegend von Tyrus angegriffen.

Im Süden des Landes hat die Organisation ein riesiges Tunnelnetz gebaut, das die Bewegung ihrer Kämpfer erleichtert. Dieses Labyrinth sollte auch als Versteck für Geiseln im Falle eines Einmarsches in israelisches Gebiet dienen. Am 7. Oktober verlor die Hisbollah jedoch das Überraschungsmoment.

Benutzung von Handys verboten

Tatsächlich hat Nasrallah in den neun Monaten seit Beginn des Krieges festgestellt, dass seine Organisation in weitaus grösserem Ausmass infiltriert wurde, als er erwartet hatte. Dass Israel in der Lage ist, einen Divisionskommandeur auszuschalten, der in einem Haus in der Gegend von Tyrus sitzt, ist eine Warnung für die gesamte Befehls- und Führungsebene der Hisbollah.

Erst in der vergangenen Woche wurde einer der regionalen Operationskommandeure der Hisbollah bei einer Autofahrt in einem der Dörfer in der Gegend von Tyrus getötet. Es ist kein Zufall, dass arabische Quellen berichten, die Hisbollah habe Richtlinien erlassen, die die Benutzung von Handys verbieten. Mehr als 430 Kämpfer der Organisation, was einem halben Bataillon entspricht, wurden bereits eliminiert.

Darüber hinaus haben viele Libanesen Angst vor einem Krieg und sehen hilflos zu, wie eine radikal-islamistische Organisation sie an den Rand einer Zerstörung wie in Gaza treibt, ohne etwas dagegen tun zu können. Einer nach dem anderen beklagt, dass der Libanon von Nasrallah gekapert wurde, und die Wut auf ihn wird im Falle einer grösseren Konfrontation wachsen.

Es muss eine Entscheidung getroffen werden

„Trotz der vielen Raketen, über die die Hisbollah verfügt, sind ihre Möglichkeiten begrenzt“, erklärte der libanesische Abgeordnete Riad Yazbeq kürzlich gegenüber arabischen Medien. „Sie ist in der Lage, auf israelischer Seite Opfer zu fordern und Schaden anzurichten, aber sie kann die Realität nicht ändern. Israel ist ein Land, das von den Vereinigten Staaten unterstützt wird. Es ist ein wirtschaftlich, militärisch und technologisch mächtiges Land, das den Libanon in die Steinzeit zurückversetzen kann.“

Dan Naor, Libanon-Forscher und Dozent an der Universität Ariel, glaubt in diesem Zusammenhang, dass die Hisbollah „sich um die öffentliche Meinung im Libanon kümmert, und das ist auch der Grund, warum es nicht zu einem totalen Krieg gekommen ist“.

Nor meint: „Die Hisbollah ist aufmerksam und hält sich an die Einsatzregeln, weil die meisten Menschen im Libanon keinen Krieg wollen. Sie muss zwischen den iranischen und den libanesischen Bedürfnissen manövrieren, und die schiitische Gemeinschaft zahlt den Preis dafür, indem viele den Südlibanon verlassen müssen.“

Mit dem Ende des wichtigsten IDF-Manövers in Rafah im Gazastreifen und der Umleitung der militärischen Ressourcen in den Norden steht Israel vor einer schicksalhaften Entscheidung in Bezug auf die Hisbollah.

Neben der weiteren Ausrottung der Hamas im Gazastreifen und der Umsetzung eines Geiselabkommens stehen schwierige Jahre bevor. In diesen Zeiten braucht Israel innere Einigkeit, Geduld und Rechtschaffenheit. Damit können wir unseren Feinden beweisen, dass wir hier sind und auch bleiben werden.

Ursprünglich veröffentlicht bei Israel Hayom. Shachar Kleiman ist Nachrichtenredakteur und Korrespondent für den arabischen Dienst von Israel Hayom. Übersetzung Audiatur-Online.