Der Einsatz in Rafah muss stattfinden – auch gegen den Willen der USA

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Israelische Soldaten mit einem Panzer und einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen (APC) in einem Aufmarschgebiet im Süden Israels nahe der Grenze zum Gazastreifen am 28. April 2024. Foto IMAGO / UPI Photo
Israelische Soldaten mit einem Panzer und einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen (APC) in einem Aufmarschgebiet im Süden Israels nahe der Grenze zum Gazastreifen am 28. April 2024. Foto IMAGO / UPI Photo
Lesezeit: 4 Minuten

Angesichts der sich verdichtenden Anzeichen für eine bevorstehende IDF-Operation in Rafah wächst die Besorgnis, dass Israel sich unnötigerweise in Zurückhaltung übt, indem es mit ungenügender Schlagkraft vorgeht, um die US-Regierung unter Biden, die Ägypter oder den ICC-Ankläger in Den Haag nicht zu verärgern.

von Meir Ben Shabbat

In der Zwischenzeit nutzt die Hamas die verlängerte Wartezeit und bereitet sich gut auf die Bodenoperation in diesem Sektor vor, welche die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) zweifelsohne vor komplexe operative Herausforderungen stellen wird. Trotz des politischen Drucks müssen die israelischen Entscheidungsträger der Erreichung der Ziele bei minimalem Risiko für das Leben unserer Streitkräfte höchste Priorität einräumen.

Die festgefahrenen Verhandlungen über die Freilassung israelischer Gefangener, die von der Hamas festgehalten werden, in Verbindung mit amerikanischen Anschuldigungen gegen die Terrorgruppe haben Israel den Weg für die Rafah-Offensive geebnet.

Die aktuelle Deeskalation mit dem Iran ermöglicht es Israel, seinen Schwerpunkt zu verlagern, ohne die erreichten strategischen Erfolge aufzugeben, und gleichzeitig den Kampf gegen die Hisbollah fortzusetzen und die terroristischen Netzwerke in Judäa und Samaria zu zerschlagen.

Bei dieser Operation müssen die Sicherheitsorgane fünf Ziele erreichen:

  • Zerschlagung der regionalen Hamas-Brigaden mit ihren vier Bataillonen, Tötung oder Verhaftung ihrer Befehlshaber und des grössten Teils ihres Personals sowie Beschlagnahme oder Zerstörung ihrer Kommandozentralen, strategischen Anlagen, Waffen und Produktionsstätten, sowohl über als auch unter der Erde.
  • Tötung oder Festnahme hochrangiger Mitglieder der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad, die aus anderen Gebieten nach Rafah geflohen sind.
  • Beendigung der zivilen Kontrolle durch die Hamas in diesem Gebiet, indem die Regierungsmechanismen der Hamas, einschliesslich der Polizei und der internen Sicherheitskräfte, der Gefängnisse und Gerichte sowie der “zivilen” Ausschüsse für die Verwaltung von Notfällen, aufgelöst werden.
  • Kontrolle der Schmuggelrouten und Schaffung einer neuen Sicherheitsordnung entlang des Grenzstreifens, um den Schmuggel vom Sinai in den Gazastreifen zu verhindern.
  • Die Freilassung der Gefangenen vorantreiben – entweder durch die Nutzung von Gelegenheiten während der Kämpfe oder durch Verhandlungen, nachdem der Druck auf die Hamas erhöht wurde.

Die IDF und die Hamas: Die Ausgangslage

Die Ausgangsposition der IDF für diese Operation ist besser als zu Beginn der Kampagne im nördlichen Gazastreifen oder im Gebiet von Khan Yunis. Der Feind wird nun mit einer dezimierten Führungsriege in den Kampf ziehen, in der viele seiner Kombattanten tot, verwundet oder verhaftet sind.

Zweitens sind ihre Waffen- und Munitionsvorräte geschrumpft.

Drittens ist ihre Fähigkeit, die israelische Heimatfront mit Raketenbeschuss zu treffen, ziemlich begrenzt.

Und viertens wird die IDF ihre Streitkräfte aufgestockt, ihre Geheimdienstinformationen auf den neuesten Stand gebracht und die Einsatzfähigkeit ihrer Soldaten durch die Lehren aus den vorangegangenen Phasen der Kämpfe verbessert haben.

Aus der Sicht des Gegners gibt es jedoch auch einige Pluspunkte zu verzeichnen. Seine Truppenstationierung in der Kampfzone ist nicht nur intakt geblieben, sondern wurde durch Kräfte aus anderen Gebieten verstärkt. Seine logistische Vorbereitung hat sich dank der humanitären Hilfe, die in den Gazastreifen gelangt, verbessert, und er ist mit Treibstoff und Nahrungsmitteln ausgestattet, die ein längeres Überleben in den Tunneln ermöglichen.

Darüber hinaus werden die Terroristen durch den auf Israel ausgeübten Druck ermutigt, die Zahl der Opfer möglichst gering zu halten, und profitieren von der Beteiligung des Iran und seiner Stellvertreter sowie von der politischen Unterstützung der Türkei und anderer Länder. Ermutigt werden sie vor allem durch ihre nachgewiesene Fähigkeit, den bisherigen Angriff der IDF zu überleben, und durch die Tatsache, dass die Hamas auch nach 200 Tagen der Kämpfe weiterhin die führende Kraft im Gaza-Streifen ist.

Eine gewaltige Aufgabe

Neben ihren offensiven Fähigkeiten muss die IDF auch ihre Verteidigung gegen verschiedene Formen von Angriffen auf ihre Streitkräfte und an der Heimatfront verstärken, die die Nähe zu den Grenzen oder die Verwendung von Tunneln ausnutzen. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit, dass die Hamas im Bereich des Grenzzauns und in Richtung Sinai Provokationen durchführt, um Spannungen zwischen Israel und Ägypten zu erzeugen. Hinweise darauf finden sich in einer Erklärung, die diese Woche von den “palästinensischen Fraktionen” veröffentlicht wurde.

Die eingespielte Kriegstechnik der IDF hat sich bewährt, und es besteht kein Zweifel an ihrer Fähigkeit, auch diese Herausforderung zu meistern. Auf politischer Ebene sind ein Höchstmass an Unterstützung und Handlungsfreiheit erforderlich, damit die IDF eine intensive Feuerkraft einsetzen kann, die das Risiko für unsere Soldaten verringert und die schnellstmögliche Niederlage des Feindes herbeiführt.

In der Zwischenzeit muss die IDF ständig prüfen, wie die Kampfsituation genutzt werden kann, um die Freilassung der Gefangenen voranzutreiben.

Mit der Operation in Rafah ist die Aufgabe, die Hamas entscheidend zu besiegen, nicht abgeschlossen. Auch nach ihrer Beendigung wird noch viel mehr Arbeit und eine tiefere Wirkung innerhalb des Gebiets erforderlich sein, bevor die verbleibenden Fähigkeiten der Hamas zerstört sind und eine neue Realität entsteht. Dies war auch nach der “Operation Schutzschild” vor 22 Jahren der Fall. Es wird nicht schnell und einfach sein, aber es ist notwendig und möglich.

Meir Ben Shabbat ist Leiter des Misgav Institute for Zionist Strategy & National Security in Jerusalem. Von 2017 bis 2021 war er Leiter des Nationalen Sicherheitsrats. Zuvor war er 25 Jahre lang in leitenden Positionen im israelischen Inlandsgeheimdienst tätig. Übersetzung Audiatur-Online.

1 Kommentar

  1. Sehr umfassender, realistischer und vor allem kompetenter Kommentar, das spürt man von der ersten Linie an. Das hat einer geschrieben, der genau weiss, worum es geht. Kompliment. Möge der Aktion Erfolg beschieden sein.

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