Broder: «Nichts provoziert mehr als der ängstliche, zur Vorsicht mahnende Jude»

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Henryk M. Broder, deutscher Publizist und Buchautor. Foto IMAGO / Eberhard Thonfeld
Henryk M. Broder, deutscher Publizist und Buchautor. Foto IMAGO / Eberhard Thonfeld
Lesezeit: 13 Minuten

Ein Gespräch über den wachsenden Antisemitismus, dessen Bekämpfung, die jüdischen Verbände in Deutschland und in der Schweiz, und über Israel.

Das Interview mit Henryk M. Broder führte Lukas Joos.

Herr Broder, letzten Sommer erschien ihr mit Reinhard Mohr zusammen herausgegebenes Buch «Durchs irre Germanistan». Es enthält einen Text, in dem Sie sich gegen Josef Schuster wenden, den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dies, weil Schuster eine «Bildungsoffensive gegen ein erneutes Erstarken des Antisemitismus in Deutschland» gefordert hat, die schon «im Kleinkinderalter» greifen und sich dann «über die Schulzeit erstrecken sollte». Was ist an Bildung gegen Judenhass so schlecht?

Zu den vielen Mythen rund um Antisemitismus gehört auch, dass man ihn mit Bildung bekämpfen kann. Kein Volk war in den Zwanziger und Dreissiger Jahren so gebildet wie das deutsche Volk – egal, ob man nun das Schulsystem betrachtet oder die Allgemeinbildung oder den Medienkonsum oder das kulturelle Niveau. Antisemitismus ist vollkommen bildungsresistent. Antisemitismus – und das weiss Herr Schuster offenbar immer noch nicht – ist kein Vorurteil. Vorurteile kann man widerlegen. Der Antisemitismus hingegen ist ein Ressentiment, und Ressentiments sind unheilbar, durch Fakten nicht zu kurieren. Zu glauben, man könne dem Antisemitismus mit Bildung beikommen, ist etwa so naiv wie der Glaube, man könne Massenarmut durch die Verteilung von Gratisfahrscheinen für die Strassenbahn lindern. Es ist totaler Unsinn – aber leider, zu Herrn Schusters Verteidigung, in Deutschland ein weitverbreiteter Unsinn.

Das kann schon sein. Aber wenn man schaut, was der Schweizerischer-Israelitischer Gemeindebund (SIG) sagt und fordert, dann liegen Sie vollkommen falsch. Nach dem 7. Oktober fordert der SIG nämlich mit Nachdruck eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Antisemitismus, und…

…das klingt sehr witzig! In Deutschland gibt es immer zuerst einen Arbeitskreis, dann eine Kommission und schliesslich einen Beauftragten. Ändern tut sich nichts, ausser, dass die Bürokratie ordentlich in Schwung kommt.

Der SIG will aber auch eine Erweiterung der Gesetzgebung gegen Nazi-Symbole, und er hat eben eine nähere Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland beschlossen.

Also der SIG glaubt, der Zentralrat der Juden in Deutschland sei eine Art Gremium der Weisen von Zion, welches das Problem beheben könnte? Tiefer kann man sich nicht täuschen. Und was die erweiterte Gesetzgebung gegen Nazi-Symbole betrifft: Deutschland hat die schon. Sie hat absurde Folgen. Die Antifa-Linke marschiert mit Hakenkreuzplakaten durch Berlin – aber das Hakenkreuz ist durchgestrichen, weswegen man nichts dagegen machen kann. Nochmals: Man kann der Nazi-Ideologie nicht mit administrativen Massnahmen etwas entgegensetzen. Das ist Selbsttäuschung. Zu diesem Selbsttäuschungsprogramm gehören auch die sogenannten Antisemitismusbeauftragten. Wir haben in Deutschland einen Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus, sechzehn Landesbeauftragte, dazu kommen noch etwa ein Dutzend andere. Berlin-Lichtenberg hat zum Beispiel einen eigenen, denn offenbar artikuliert sich der Antisemitismus in Berlin-Lichtenberg ganz anders als etwa in Berlin-Charlottenburg. Das grenzt alles an Komik – umso mehr, als es ja keinen Rückgang der antisemitischen Vorfälle gibt, sondern eine gigantische Zunahme! Man muss sich fragen, warum das so ist, und die Antwort ist eigentlich nicht schwierig. Karl Lagerfeld hat es mit genialer Einfachheit gesagt: Man kann nicht sechs Millionen Juden töten und dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land bringen. Übrigens: Ich habe den Begriff «importierter Antisemitismus» vielleicht nicht erfunden, aber ich habe ihn popularisiert, 2014, in einem Artikel in der Bild-Zeitung. Natürlich wurde damals vehement bestritten, dass es einen solchen Antisemitismus gibt. Mittlerweile sieht es anders aus.

Die muslimische Einwanderung hat die Lage in Deutschland grundsätzlich verändert?

Klar gab es immer antisemitische Vorfälle, aber es war nicht ansatzweise diese riesige Welle. Es mussten keine jüdischen Kinder von staatlichen Schulen genommen und auf jüdische Schulen geschickt werden, weil sie in den staatlichen gemobbt wurden. Es gibt schon ein paar Nazis in der AfD, das stimmt. Aber mir ist kein Fall eines AfD-Mannes bekannt, der ein jüdisches Kind gemobbt oder einen jüdischen Studenten zusammengeschlagen hätte. Das ist die Spezialität der Antisemiten aus dem islamischen Raum. Doch für den Zentralrat der Juden in Deutschland galt noch bis vor wenigen Wochen: Die grösste Gefahr für die Juden kommt aus dem rechten Milieu. Jetzt hat er die Position ein wenig geändert, wenn auch nicht viel. Er wird halt dafür bezahlt, Regierungspropaganda zu verbreiten, und das tut er auch.

Das Tabuisieren der Quellen des Antisemitismus ist das eine. Das andere ist, dass zumindest in der Schweiz weder der linken Politik noch den jüdischen Verbänden viel in den Sinn kommt, wenn es um Massnahmen vor allem gegen den handfesten Antisemitismus geht. Weder über die Asylpolitik wird geredet noch über die Ausschaffung von ausländischen Genozidparolen-Brüllern oder über eine härtere Gangart von Polizei und Justiz in Bezug auf Gewalttäter.

Ja, den Juden in Deutschland und vermutlich auch in der Schweiz fallen die wichtigen Dinge nicht ein. Ich habe mich vor zwei, drei Jahren mit einem armenischen Rabbiner in Jerewan unterhalten. Er geht jeden Freitag und jeden Samstag mit Kippa und Tallit durch die Stadt. Die Leute grüssen ihn höflich, nichts passiert, er ist nicht bedroht, und es müssen auch keine Massnahmen zu seinem Schutz getroffen werden. Es kommt also auf das Milieu drauf an. Und in Deutschland und auch in der Schweiz hat sich das Milieu eben geändert. Wir haben Antisemiten Tür und Tor geöffnet und wundern uns jetzt, dass sie das tun, wozu sie erzogen worden sind: Juden hassen. Die jüdischen Verbände drücken sich um die Wahrnehmung dieser Wirklichkeit. Sie meinen, dass, wenn sie die wichtigen Dinge ansprechen – Migration, soziale Zustände –, sie noch mehr bedroht würden. Es gibt den Witz der beiden Juden, die im KZ ankommen, erschöpft, müde, niedergeschlagen. Ein deutscher Wachposten geht vorbei. Moishe sagt zum Jankel, er solle den Deutschen mal fragen, was sie mit ihnen vorhätten. Jankel will aber nicht: Er befürchtet, der Deutsche könnte böse werden. Das ist heute die Politik der Verbände: nur nicht provozieren. Und diese Politik hat in die Situation geführt, in der wir jetzt sind. Dass man sich vor der Anerkennung der Wirklichkeit drückt, ist übrigens eine alte jüdische Tradition: ‘Es wird nicht so schlimm kommen!’; ‘Es wird nicht so heiss gegessen, wie gekocht wird’ – man kann es verstehen. Es gab im Dritten Reich den Kulturbund Deutscher Juden. Das war eine Vereinigung deutscher Juden, die 1933, nachdem sie aus allen Organisationen rausgeschmissen worden waren, eine Organisation gründeten, um all den arbeitslosen jüdischen Sängern, Künstler und Poeten einen Arbeitsort zu geben. Sie taten das in der festen Überzeugung, der Nazispuk werde in ein paar Jahren vorbei sein. Die letzten wurden 1941 deportiert.

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Letzten Sommer erschien das von Henryk M. Broder mit Reinhard Mohr zusammen herausgegebene Buch «Durchs irre Germanistan», Europa Verlag. Foto IMAGO / Eberhard Thonfeld

Was müsste passieren, dass der Ernst der Lage anerkannt wird? Es gibt ja auch den Widerspruch, dass die jüdischen Verbände auf das Selbstverteidigungsrecht Israels pochen, aber kein Wort über das Selbstverteidigungsrecht des einzelnen Juden verlieren – als ob Israel Selbstzweck wäre.

Ja, diesen Widerspruch gibt es. Ich stelle mir die gleiche Frage wie Sie, aber ich weiss keine Antwort. Allerdings habe ich sowieso mehr Fragen als Antworten – andernfalls wäre ich Funktionär beim Zentralrat oder, noch schlimmer, in der deutschen Parteipolitik. Zwei Dinge will ich aber trotzdem anmerken. Erstens: Hinter der Konzession an Israel, es dürfe sich verteidigen, steckt in der Regel ein dickes «Aber». Israel wird Zurückhaltung empfohlen, Israel werden Standards auferlegt, wie das gegenüber keinem anderen Staat der Fall ist. Das ist klassischer Antisemitismus. Zweitens: Die zivilisierte Welt, wenn man denn so sagen kann, hat sich daran gewöhnt, dass man die Juden verprügeln kann, dass man sie massakrieren kann, dass man alles mit ihnen machen kann, ohne dass sie sich wehren. Der wehrlose Jude ist der gute Jude: erstens, weil er sich zusammenschlagen lässt, und zweitens, weil die Nichtjuden ihm gegenüber Grösse beweisen können, indem sie ihn – speziell als Juden – beschützen. Diese Forderungen, dass man Juden beschützen soll, sind auch nur eine Variante des Antisemitismus…

…Sie sehen Forderungen, man müsse die jüdische Minderheit besser schützen, kritisch?

Eine intakte Gesellschaft muss alle ihre Mitglieder gleichermassen schützen, und nicht etwa gruppenweise. Wenn man den Schutz bestimmter Gruppen fordert, dann hat man schon verloren!

Ich sehe Ihren Punkt. Aber ich habe Sie unterbrochen. Der wehrlose Jude sei der gute Jude, sagten Sie.

Der Jude muss Mitleid erzeugen und sich umbringen lassen. Dass sich Juden wehren, ist jedenfalls ein neues Phänomen. Man kann schon mit dem Bar-Kochba-Aufstand beginnen, aber wenn man einen aktuellen Bezugspunkt sucht, dann ist das die Gründung Israels, und das ist gerade mal so knapp achtzig Jahre her. Die Juden wehren sich – das ist neu, das ist ungeheuerlich! Der mitteleuropäische Kopf hat sich noch nicht daran gewöhnt, es scheint, auch bei den jüdischen Verbänden nicht. Die Verschweigung des linken und des muslimischen Antisemitismus ist völlig irre. Das ist die alte Strategie der Verleugnung. Als die Nazis mit ihrer Judenpolitik anfingen, meinten viele gebildete deutsche Juden ja, sie blieben verschont, es werde nur die Ostjuden treffen, die Kaftanjuden. Das glaubten die wirklich, so war es! Und etwas Ähnliches sehe ich heute. Man will sich nicht mit den linken und den muslimischen Antisemiten anlegen – wobei das beim muslimischen Antisemitismus auch mit einer Vorahnung zu tun haben könnte. Man ahnt leise, dass es noch viel mehr Zuwanderung geben wird, noch viel mehr soziale Übernahme, das heisst, dass sich die gebündelte Kraft des Islams erst noch zeigen wird. Und mit dieser Perspektive treiben viele Juden wieder die gleiche Politik wie damals: nur nicht provozieren, der Nazi könnte sonst böse werden!

Natürlich hat man eine höhere Überlebenschance, wenn man sich wehrt.

Historisch gesehen hat Appeasement aber gerade für Juden keinen besonders guten Track Record. Während des Zweiten Weltkrieges zum Beispiel gab es zehntausende jüdische Partisanen, und in vielen Partisanengruppen war die Überlebenschance ungleich höher als für Juden, die keinen Widerstand leisteten. Nehmen Sie die etwa 1’200 Mitglieder der Bielski-Gruppe: Die führten nicht nur dutzende Kampfmissionen durch und töteten hunderte Feinde, sondern hatten auch eine Überlebenschance von über 90 Prozent…

…ich kenne die Statistiken nicht, aber ich halte sie auch nicht für entscheidend. Natürlich hat man eine höhere Überlebenschance, wenn man sich wehrt. Was die Israelis machen, das ist eine Art von präventiver Notwehr. Das ist nicht elegant, aber loszuschlagen, bevor der andere losgeschlagen hat, finde ich meistens richtig. So eine proactive defense hat schon viele Vorteile…

…warum sehen das dann viele europäischen Juden so anders? Warum beschränken sich die jüdischen Verbände so passiv auf das Erbeten von Schutz durch linke Politik und Stadtbehörden, von denen sie, wie es sich seit dem 7. Oktober x-fach gezeigt hat, kein hartes Durchgreifen gegen die Antisemiten erwarten können?

Ich verstehe es auch nicht. Einerseits habe ich aber genug nicht-jüdische Freunde, ganz normale Menschen, unbelastet von Geschichte, die die Situation auch nicht verstehen, die es genauso sehen wie Sie und ich. Und andererseits gibt es genug Juden, die sich die Situation schönreden, schöntrinken, schönessen, was weiss ich. Das heisst, der Graben verläuft nicht zwischen Juden und Nichtjuden, sondern zwischen Leuten, die ihre Augen offenhaben, und Leuten, die sie zumachen. So oder so ist es eine Katastrophe, dass die Gefahr nicht gesehen wird, denn nichts spricht dafür, dass es besser wird, und alles dafür, dass es schlechter wird. Und hätten wir dieses Gespräch vor fünf Monaten geführt, dann hätte ich gesagt: Gottseidank haben wir noch die Option, nach Israel zu gehen. Aber nun hat sich diese Option leider auch erledigt. Das ist die Katastrophe des 7. Oktobers: Dass die andere Seite gesehen hat, dass Israel besiegbar ist. Ich mache mir um Israel deswegen die allergrössten Sorgen.

Wirklich?

Ja! Ich bin nicht sicher, ob Israel ­– liberal und hedonistisch, wie es zum Glück geworden ist –eine solche Krise überleben kann. Ich hoffe es sehr, ich möchte Unrecht behalten, aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Zwölfhundert Menschen an einem einzigen Tag ermordet: Und was folgt? Nicht ein Entsetzen über den Antisemitismus, sondern der Ausbruch der grössten Antisemitismus-Welle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs! Das ist ein Alarmzeichen, aber leider haben es viele Juden nicht verstanden.

Sicher. Aber andererseits: Israel hat in den letzten vier Monaten eine Notstandsregierung gebildet, einen Plan zur Eliminierung der HAMAS gemacht und diesen Plan schon zu einem guten Teil umgesetzt. Ausserdem haben seit dem 7. Oktober schon über 300’000 israelische Bürger einen Antrag auf eine Waffenlizenz gestellt – ganz offensichtlich in der Absicht, eine Wiederholung eines solchen Massakers nicht zuzulassen. Gerade, wenn man das mit Europa vergleicht, wo sich seit Charlie Hebdo nichts geändert hat, muss man doch anerkennen: Israel ist in der Lage, auf das zu reagieren, was in der Realität passiert. Darf man bei jemandem, der dazu in der Lage ist, nicht davon ausgehen, dass er überlebensfähig ist?

Doch, das schon. Aber trotzdem sehe ich eine Gefahr. Zwölfhundert Ermordete an einem einzigen Tag, das ist ein riesiger Schock. Egal, ob jetzt die militärische Reaktion erfolgreich ist, es bleibt das Gefühl eines riesigen Versagens, das man nicht schönreden kann. Wie dieses Versagen zustande kam, weiss ich nicht, da kann man nur spekulieren. Natürlich gibt es auch schon Spekulationen, der Mossad habe das eingefädelt, um einen Vorwand zu kriegen, in Gaza einzumarschieren. Aber das ist ja nichts Neues, das war bei Pearl Harbor so, bei 9/11, so funktioniert der antisemitische Kopf eben. Sicher ist: Israel muss hyperwachsam und hyperpräventiv sein, und das war es nicht. Israel hat sich auch zu wenig Gedanken gemacht, wie man mit den Palästinensern in der Westbank, die – ich sage das ganz klar – unter israelischer Besatzung leben, klarkommt. Sie haben gedacht, mit der Annäherung an die arabischen Staaten löse sich das Problem, was aber nicht der Fall war. Diesbezüglich waren die klugen Juden ziemlich dumm…

…aber wir sind uns ja sicher einig darin, dass der 7. Oktober ausserhalb jedes Kontexts steht. Wenn ich richtig verstehe, sprechen Sie von einem Sicherheitsrisiko, über das sich die Israelis zu wenig Gedanken gemacht haben.

Genau. Es geht darum, ausserhalb eingespielter Parameter zu denken. Für Israel hätte das geheissen, sich zu überlegen, ob und wie die ganze wirtschaftliche, soziale, technische und vor allem militärische Überlegenheit zu einer Schwäche werden könnte. Das wurde nicht gemacht. Aber nicht nur die Israelis haben es nicht gemacht, auch die Europäer machen es nicht. Wie lächerlich ist es, dass ein Staat wie Deutschland mit all seinen staatlichen Strukturen, NGOs und Netzwerken, mit all seinen Heerscharen von hochbezahlten, medial dauerpräsenten ‘Experten’ nicht voraussehen konnte, dass Putin angreift? Noch lächerlicher ist vielleicht nur die EU. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Europa nicht abwehrbereit ist. Und vor diesem Hintergrund beschliesst Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, einen Kommissar für Verteidigung einzuführen – das heisst, eine Behörde zu schaffen! Das ist nicht mehr lächerlich, das ist hirnrissig. Man meint, man könne einem politisch-historischen Prozess mit Bürokratie begegnen. Und ob man jetzt von der Leyens Kommissar für Verteidigung nimmt oder den Beschluss des SIG, enger mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zusammenzuarbeiten: Im Prinzip ist es dasselbe. Es ist Denken innerhalb alter Parameter, und man könnte wissen, dass es nicht funktioniert.

Was würde dann funktionieren? Welches Massnahmepaket gegen den Antisemitismus wünschten Sie sich?

Ich werde das immer wieder gefragt. Ich weiss es nicht, und es ist auch nicht mein Job, es zu wissen. Um es mit Karl Kraus zu sagen: Ich kann kein Ei legen, aber ich weiss, wann eins faul ist.

Ist die Appeasementpolitik ein faules Ei?

Die Masche der Antisemiten ist zunehmend, durch Androhung oder gar Ausübung von Gewalt die Juden dazu zu zwingen, ihr Verhalten zu ändern. In Berlin wurde kürzlich ein jüdischer Student zusammengeschlagen. Daraufhin nahm ich über eine Bekannte mit dem Verband Jüdischer Studenten – der jetzt «Verband Jüdischer Studierender» heisst, der Genderwahn hat also auch hier schon Einzug gehalten – auf. Ich schlug ihnen vor, mit meinem Freund Reinhard Mohr an der Uni aus «Durchs irre Germanistan» zu lesen. Das war vor mehreren Wochen, und ich warte immer noch auf eine Antwort. Vermutlich überlegen die sich noch, ob sie der Uni die Provokation einer Lesung zumuten wollen, an der ein Jude und ein Nichtjude über deutsche Befindlichkeit reden; sie sind wohl noch in der Einschätzung der Gefahrenlage…

…aber angesichts der zunehmenden antisemitischen Gewalt ist doch eine Gefahrenanalyse nicht per se schlecht. Wer nie Gefahren analysiert, lebt nicht lange. Sie stören sich daran, dass die Analyse zu vorsichtig ist, dass mit dem Zeigen von Schwäche Aggression provoziert wird?

Wissen Sie was? Nichts provoziert mehr als der ängstliche, sich duckende, zur Vorsicht mahnende Jude. Das ist die allergrösste Provokation! Ich werde oft gefragt, ob ich Drohbriefe bekomme. Die Antwort ist: Ich bekomme so gut wie keine. Vielleicht einmal im Monat kriege ich einen antisemitischen Brief, in dem ich aufgefordert werde, wieder nach Polen oder Israel zurückzugehen. Mehr ist es nicht, weil ich von Natur aus ein aggressives Auftreten habe. Ich glaube, das schreckt die Antisemiten ab. Bei den guten Leuten verschafft mir mein Auftreten Sympathien, bei den anderen wirkt es wie eine Art Brandmauer. Ein aggressives – oder sagen wir: klares, entschiedenes, eindeutiges – Auftreten macht den Leuten die Verhältnisse klar. Das Duckmäusertum, die Anpasserei, das Bitten um Verständnis, das hingegen beflügelt den Antisemitismus.

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Über Lukas Joos

Lukas Joos studierte Philosophie und Osteuropäische Geschichte. Er ist selbstständiger Berater im Bereich strategische Kommunikation.

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4 Kommentare

  1. Das Ganze erinnert mich an das Gleichnis vom Frosch, der in einen Topf voller kalter Milch fällt und dem zunächst ganz behaglich zumute ist, auch noch als die Milch (weil der Topf auf einer Herdplatte steht…) immer wärmer und wärmer wird bis es plötzlich vorbei war mit dem Frosch. Das gilt NICHT nur für die Juden, es gilt für uns alle.
    Aus erster Hand durfte ich ähnliches erfahren, wie das von Herrn Broder geschilderte:
    Die beste Freundin meiner Großmutter (1910-1999) war Jüdin. Sie und die meisten ihrer Geschwister überlebten, die Freundschaft hielt auch in der Nazizeit und darüber hinaus.
    Aber wie die alten Damen mir erzählten, gelang die Flucht der Familie Goldstein (zuerst Niederlande, dann USA, nach dem Krieg zurück) nur äußerst knapp:
    Man versuchte sich viel zu lange damit zu trösten, dass doch wohl niemand so verrückt oder böse sein könne, „uns“ etwas anzutun:
    Schließlich sei man deutscher Patriot, Vater wurde im 1. WK ausgezeichnet, und die Nazis werden wieder verschwinden.
    Dieser Selbsttäuschung unterliegen viele von uns angesichts einer mörderischen Ideologie, die mit „Gott“ nicht das Geringste zu tun hat, dem Islamismus nämlich!
    Den Geschichtsunterricht können wir abschaffen:
    Der Mensch lernt NUR aus eigenem Leid.

  2. Ein hervorragendes, die Realität aufzeigendes Interview. Am meisten zu betonen ist- wir Juden WOLLEN NICHT bewacht werden, wir dürfen nicht bewacht werden müssen!!! Das ist der Punkt! Danke für all diese Aussagen .

  3. „Das Duckmäusertum, die Anpasserei, das Bitten um Verständnis, das hingegen beflügelt den Antisemitismus.“
    Danke für das Interview und diesen mutmachenden letzten Satz. Duckmäusertum beflügelt nicht nur den Antisemitismus, er befördert den Verlust an Freiheit, die Zunahme der „Erpressung durch Haltung zeigen zu müssen“, den Verzicht auf die freie Rede in Wort und Schrift.
    Lassen wir uns nicht erpressen und mutieren wir nicht zu Duckmäusern.

  4. Es ist immer erfrischend, Hendrik Broder zu lesen. Ich verstehe nicht, warum er jemanden verteidigt, der einem SS Veteranen stehend Beifall spendet und Nazis verehrt aber ansonsten bin ich völlig seiner Meinung. Israel und jeder Jude hat das Recht und sogar die Pflicht sich zu wehren. Gegen den Postkolonialismus und Edward Said freue ich mich über jede Unterstützung. Gegen die woken Ideologen auch und gegen die völkischen aus der islamischen Welt ebenfalls. Und gegen den Islamrat, Frau faeser und diese schreckliche Regierung.

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