Ausstellung über Menschen, die Juden in der NS-Zeit retteten

"Es gab keine Zeit für Angst, wir mussten handeln"

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Symbolbild. Familienfotos der Familie Ulma, die im Zweiten Weltkrieg viele Juden gerettet haben. Foto IMAGO / NurPhoto
Symbolbild. Familienfotos der Familie Ulma, die im Zweiten Weltkrieg viele Juden gerettet haben. Foto IMAGO / NurPhoto
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Sie begaben sich in Lebensgefahr, um Jüdinnen und Juden vor der Vernichtung zu retten. Diese Menschen werden “Gerechte unter den Völkern” genannt. Warum sie das gemacht haben, erklären sie in einer Ausstellung in Berlin.

von Leticia Witte

Ebenso wie die Überlebenden des Holocaust werden auch sie immer weniger: die Menschen, die Jüdinnen und Juden bei eben diesem Überleben halfen. Sie werden “Gerechte unter den Völkern” genannt und sind mittlerweile hochbetagt. Einst begaben sie sich in Lebensgefahr, als sie entschieden, Verfolgte vor dem Nazi-Terror zu verstecken, sie zu versorgen oder ihnen zur Flucht zu verhelfen.

In Erinnerung an ihren Mut porträtiert eine Ausstellung in Berlin “Gerechte unter den Völkern”. Sie trägt den Titel “Auf derselben Seite” und ist noch bis zum 7. April im Willy-Brandt-Haus zu sehen. Die Ausstellung sei bisher gut besucht, heißt es vonseiten des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus. Der Eintritt ist frei, genaue Zahlen lägen nicht vor.

Die Porträtierten blicken zurück auf das, was sie getan haben, aber auch nach vorn. Und zwar auf aktuelle Kriege und Konflikte. Zum Beispiel Krystyna Kowalska, Jahrgang 1931. Im Begleittext zu den Fotos heißt es, dass sie das Weltgeschehen mit Sorge erfülle. Sie nehme es teils als Wiederholung der Geschichte wahr. Oder Jadwiga Gawrych, ebenfalls Jahrgang 1931. Ihre Tochter Eliza sagt: “Wir sollten auf unsere Mitmenschen achten, sie verstehen, jede kleine Aggression kann zu einer großen Aggression werden.”

Der Titel “Gerechte unter den Völkern” ist die höchste Auszeichnung Israels für Nichtjuden, die unter Einsatz ihres Lebens Juden vor der Vernichtung gerettet haben. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem stehen ihre Namen auf einer Gedenkwand; an “Gerechte” erinnern dort auch Bäume in einer Allee. Mit Stand Januar 2022 hat Yad Vashem 28.217 Menschen geehrt. Die größte Gruppe unter ihnen sind mit 7.232 Personen Polinnen und Polen. Zum Vergleich: aus Deutschland sind 651 Menschen registriert.

Yad Vashem weist darauf hin, dass “gleichgültige Zuschauer” in der NS-Zeit die Regel, Retter die Ausnahme gewesen seien. Dass es sie aber gab, zeige, dass “ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit” bestanden habe. “Viele hatten nie vorgehabt, zu Rettern zu werden, und waren vollkommen unvorbereitet auf den Augenblick, in dem sie eine so weitreichende Entscheidung fällen mussten.” Gerade ihre Menschlichkeit sei es, die als Vorbild dienen solle.

Genau diese Menschlichkeit spricht aus den Fotos und Worten der Personen in der Ausstellung. Es ist berührend zu lesen, wie selbstverständlich es offenbar für sie war, Verfolgte vor Deportation und Tod zu retten, während so viele andere weggeschaut oder Menschen denunziert haben.

“Die Leute dachten, dass es ganz normal war. Die mitfühlenden Menschen, die einen Funken Mut in sich gefunden haben, haben geholfen”, wird Tadeusz Stankiewicz, Jahrgang 1930, zitiert. “Vor dem Krieg waren Polen und Juden Teil der gleichen Gesellschaft, man kannte sich und lebte zusammen, Seite an Seite, eben auf derselben Seite.”

Stankiewicz half den Angaben zufolge mit seinen Eltern und seiner Schwester Menschen, die sich in einem Wald versteckt hatten. Der Unterschlupf sei jedoch verraten worden, die meisten Versteckten seien ermordet worden. Die Familie habe auch Szloma Jan Szmulewicz geholfen, den sie verletzt im Wald gefunden hätten. Stankiewiczs Freundschaft mit ihm habe bis zu dessen Tod 2007 gehalten.

Andere Jüdinnen und Juden halfen beim Brotverkauf in einer illegalen Bäckerei, wurden anderswo zwei Tage und zwei Nächte versteckt oder kamen in einem Haus unter, in dem auch Aktivitäten des polnischen Widerstandes stattfanden, wie es in der Ausstellung heißt. Janina Rozecka ist mit über 100 Jahren die älteste der von Lydia Bergida und Marco Limberg porträtierten “Gerechten”. “Es gab keine Zeit für Angst, wir mussten handeln”, wird sie zitiert.

Und die Geretteten? Die Ausstellung informiert auch über ihre Wege nach dem Holocaust: Viele von ihnen wanderten aus, zum Beispiel nach Israel oder in die USA. Wie im Fall von Stankiewicz hielten sie mit ihren Rettern mitunter über Jahrzehnte Kontakt, verbrachten teilweise Urlaube miteinander oder fanden sich nach etlichen Wirren wieder.

"Auf derselben Seite", bis 7. April 2024 im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, 10963 Berlin, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 12.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt frei, Personalausweis muss mitgebracht werden

KNA/lwi/joh

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