Der 7. Oktober – Konferenz in Frankfurt zum Massaker der Hamas

0
Verlassene Autos auf dem Gelände des Musikfestivals in der Nähe des Kibbuz Be'eri im Süden Israels, wo die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 ein Massaker verübte. Foto IMAGO / Kyodo News
Verlassene Autos auf dem Gelände des Musikfestivals in der Nähe des Kibbuz Be'eri im Süden Israels, wo die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 ein Massaker verübte. Foto IMAGO / Kyodo News
Lesezeit: 3 Minuten

Man ist unter sich und fühlt sich verstanden: Auf einer Tagung zum Hamas-Angriff tauschen sich in Frankfurt bis zu 300 Teilnehmende aus Deutschland und Israel aus. Hier muss niemand die Davidstern-Kette verstecken.

von Leticia Witte

Ein Gespenst geht um. Das “Gespenst des Judenhasses”. Es scheut nicht das Tageslicht und ist anpassungsfähig. So beschreibt die jüdische Publizistin Esther Schapira die Situation nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Sie spricht auch von einer “verstörenden und kränkenden Erfahrung der Einsamkeit und des Verrats” – und dürfte damit die aktuelle Gefühlslage vieler Jüdinnen und Juden auf den Punkt gebracht haben. Jedenfalls bekommt Schapira für ihre eindrückliche, einstündige Rede langen Applaus.

Sie sprach am Mittwoch zum Auftakt der Konferenz “Der 7. Oktober”, die bis Freitag in Frankfurt läuft. Veranstalter ist unter anderen der Zentralrat der Juden in Deutschland, dessen Bildungsabteilung in der Metropole am Main sitzt. Bis zu 300 Teilnehmende hatten sich für die Konferenz angemeldet.

Es gebe einen extrem hohen Bedarf an Austausch und Information, sagte gleich zu Beginn der Direktor der Bildungsabteilung, Doron Kiesel. Mit der Veranstaltung solle versucht werden, einige Dinge besser zu verstehen und Fassungslosigkeit zu bündeln, rund viereinhalb Monate nach dem Terrorangriff. Und die Erkenntnisse sollten weitergetragen werden: “Wir verstehen uns als Impulsgeber.”

Eingeladen waren Menschen aus Deutschland und Israel, um über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten. Immer wieder kam darin gleich am ersten Tag jene Fassungslosigkeit zum Ausdruck, von der Kiesel gesprochen hatte. Und auch der Schmerz über ein Schweigen seit dem 7. Oktober, den viele Jüdinnen und Juden hierzulande empfinden. In Teilen der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Umfeld, wenn sich plötzlich Freunde nicht mehr melden.

Auf dem Programm standen Vorträge zum Beispiel über die sexualisierte Gewalt, die die Angreifer Frauen angetan haben, über Israel im Fokus postkolonialer Debatten, Antisemitismus im Kulturbetrieb und Traumata in der israelischen Gesellschaft. Bis Freitag haben sich unter anderen Julie Grimmeisen vom israelischen Generalkonsulat, der Autor und Journalist Richard C. Schneider, Professor Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und der Psychologe Ahmad Mansour angekündigt.

Am Mittwoch sprach Terrorexperte Peter Neumann über Geschichte und Grundlagen der Hamas und diskutierte bis in den späten Abend hinein mit Teilnehmenden der Konferenz: über Spannungen und Strömungen innerhalb der Hamas, Unterstützer wie Iran, der an einem Frieden mit Israel kein Interesse habe, über die Frage, ob ein rein militärischer Sieg über die Hamas überhaupt möglich sei. Neumann betonte auch, dass die Hamas den Palästinensern keine Zukunft bieten könne.

Gisela Dachs, Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, zeigte auf einer virtuellen Tour Graffiti in den Straßen von Tel Aviv mit Bezug zum 7. Oktober – und mit der verzweifelten Forderung, die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln zu befreien. Dachs beschrieb auch die “geografische Unmittelbarkeit” des aktuellen Krieges, der nur wenige Dutzend Kilometer von Tel Aviv entfernt ist.

Ihr Fazit: Nicht nur für jüdische, sondern auch für zahlreiche arabische Israelis seien die Grundfesten des eigenen Staates erschüttert worden. Ein gesellschaftlicher und politischer Neuanfang müsse ausgehandelt werden.

Pava Raibstein erinnerte an 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Israel. Sie hätten schmerzhaft erfahren müssen, dass sie im eigenen Land nicht sicher seien, und auch von ihren Eltern, die mitunter selbst Opfer geworden seien, nicht hätten beschützt werden können. Sie seien Zeugen von Gewalt und Willkür geworden. Auch bangten sie um Angehörige, die zum Kriegsdienst eingezogen worden seien, sagte die Geschäftsführerin des Vereins Kinder- und Jugend-Aliyah.

Ursprünglich habe die Bildungsabteilung ein anderes Thema für die Konferenz angesetzt, sagte Kiesel. Aber das sei “davor” gewesen – und nach dem 7. Oktober erst einmal nicht denkbar. Auch die Publizistin Schapira sprach über dieses “davor” und “danach”, von einer neuen Zeitrechnung: “Unsere Welt ist aus den Fugen geraten.” Ihre Hoffnung – und zugleich auch Forderung: “Jede Zukunft lebt vom Kompromiss.”

KNA/lwi/cas

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.