Juden- und Christenhass haben gemeinsame Wurzeln

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Polizisten rund um den Kölner Dom am 3. Januar 2024. Foto IMAGO / Panama Pictures
Polizisten rund um den Kölner Dom am 3. Januar 2024. Foto IMAGO / Panama Pictures
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Wer behauptet, die muslimische Ablehnung der Juden oder antijüdische Einstellungen seien ausschliesslich durch die arabisch-israelische Konfliktlage bedingt, liegt falsch. Weniger beachtet, von der Öffentlichkeit eher verdrängt, sind die christenfeindlichen Tendenzen im Islam, die mit dem Siegeszug des militant-politischen Islam immer intensiver wurden und zu häufigen Gewalttaten gegen Christen in allen Teilen der islamischen Welt führten. Ihre religiös motivierte Gewalt – gegen Juden ebenso wie gegen Christen – haben Muslime auch nach Europa getragen.

Diskriminierung von Christen in der islamischen Welt

Besonders verbreitet aber ist Christenverfolgung in der eigentlichen muslimischen Welt. Nach dem Weltverfolgungsindex sind von den 15 Staaten, in denen die Lage der Christen besonders schlimm ist, nur 3 nichtmuslimische. Von den 10 Ländern, in denen die Christen am meisten diskriminiert werden, ist nur eines nicht islamisch – und zwar Nordkorea. In den islamischen Staaten hat sich die Lage in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich verschlimmert. Unter dem Druck brutaler Gewalt sinkt die Zahl der Christen in der muslimischen Welt stetig. Schon 2007 hat die Gesellschaft für bedrohte Völker die Gewalt gegen irakische Christen als „grösste Christenvertreibung der Gegenwart“ bezeichnet. Diese Gewalt ist nicht wirklich legitimiert durch den klassischen Islam, doch die Behandlung der Christen und Juden als Bürger zweiter Klasse hat den Boden für Gewalt bereitet, die von den Tätern oft religiös begründet und gerechtfertigt wird.

Oft wird behauptet, Christen arbeiteten gegen den Islam und die Muslime oder kollaborierten mit ausländischen, vor allem westlichen [christlichen] Mächten, dienten imperialistischen Interessen, seien Teil einer christlichen Verschwörung gegen die islamische Welt. Vielfach ähneln die antichristlichen Narrative denen, mit denen gegen Juden Hass geschürt wird. Die über 40 Gottesdienstbesucher, die bei einem Anschlag auf 2 Kirchen in Ägypten am Palmsonntag 2017 ermordet wurden, waren wohl kaum Agenten des Imperialismus.

Judenhass in der islamischen Welt

Besonders seit dem 20.Jahrhundert kam eine neue Welle an Judenhass über die islamische Welt. Angefacht durch die Nazis, deren Propaganda es gelang, die frühislamische Judenfeindschaft mit ihrem eigenen Antisemitismus zu verbinden, breitete sich Judenhass vor allem im Nahen Osten aus. Der Mufti von Jerusalem, ein enger Verbündeter der Nazis, spielte hier eine unheilvolle Rolle und verbreitete Judenfeindlichkeit unter islamischen Vorzeichen. Dies entsprach auch ganz dem Geist der Muslimbruderschaft, die mit dem Mufti zusammenarbeitete, ebenfalls Judenhass predigte und nach dem 2. Weltkrieg Pogrome entfesselte.

Die antijüdische Stimmung wurde noch verschärft durch die jüdisch-arabische Rivalität in Palästina. Durch den Holocaust wurde die Notwendigkeit der Gründung eines jüdischen Staates immer deutlicher, immer mehr Juden flohen, um ihr Leben zu retten, dorthin. Die Situation spitzte sich zu, eskalierte zu gewaltsamen Konflikten. In allen Teilen der islamischen Welt sahen sich die Juden zunehmender muslimischer Feindschaft ausgesetzt. Zwischen 1948 und den 1970er-Jahren verliessen über 800 000 Juden die arabischen Länder – teils flohen sie unter dem Eindruck des Hasses und der Ablehnung, teils wurden sie regelrecht vertrieben. Dies richtete sich nicht gegen den Staat Israel, der 1948 gegründet worden war, sondern ausgerechnet gegen die Juden, die nicht in Israel, sondern in den verschiedenen islamischen Staaten lebten – und erst durch muslimische Gewalt zur Emigration nach Israel veranlasst wurden. So gibt es heute in der islamischen Welt nur noch wenige Juden – teilweise Jahrtausende alte Gemeinden verschwanden völlig. Deshalb wurden bei dem Anschlag am 11.4.2002 auf die al-Ghriba-Synagoge auf der tunesischen Insel Djerba vor allem Touristen getötet. Dass es damit nicht getan ist, hat sich am 7. Oktober 2023 gezeigt, als bei dem grössten Judenmassaker seit der Nazizeit nicht nur israelische Sicherheitskräfte getötet, sondern auch junge Festivalbesucher und Zivilisten, darunter alte Menschen und Kinder, in ihren Häusern massakriert wurden. „Stoppt diese Religion!“ rief der Münchner Kardinal Marx angesichts der Freude muslimischer Geistlicher über das Massaker.

Islamisten demonstrieren für die “muslimische Vorherrschaft in der Welt”, London, 24. Mai 2011. Foto IMAGO / UIG

Gewalt gegen Juden und Christen weltweit

Globale Migration hat dazu geführt, dass heute in weiten Teilen der Welt Muslime leben und dass militanter Juden- und Christenhass auch in Amerika, Australien und vor allem Europa alltäglich geworden ist. Es ist importierte Hasskriminalität. Oft sind die Täter illegal oder ‚geduldet’ in den Ländern, in denen sie ihre Taten begehen. Oft sind Gotteshäuser das Ziel der Terroristen als verhasste Symbole der ‚anderen’ Religion – ein deutliches Zeichen, dass die muslimische Gewalt sich gegen die Religion von Juden und Christen an sich richtet. Im Herbst 2023 wurde ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin verübt. “Psychischer Terror, der in konkrete Anschläge mündet“ kommentierte der Zentralrat der Juden in Deutschland. Im Januar 2024 wurde bei einem Angriff auf eine christliche Kirche in Istanbul ein Mensch getötet. Am Ostersonntag 2019 forderten Bombenanschläge auf christliche Kirchen in Sri Lanka über 250 Menschenleben. Zum Jahreswechsel 2023/24 mussten Gottesdienstbesucher des Kölner Doms von schwer bewaffneten Polizisten geschützt werden, da ein Anschlag drohte. In Berlin sind Angriffe auf Menschen an der Tagesordnung – nur weil sie eine Kippa tragen oder hebräisch sprechen. Im Advent 2023 wurde ein Nikolaus in Kassel von muslimischen Jugendlichen angegriffen.

Die Anschläge auf Juden und Christen haben eines gemeinsam: Es geht den Tätern nicht um vermeintliche politische Motive, denn Ziele sind meist nicht ‚Imperialisten’ , ‚Kolonialisten’ oder der Staat Israel. Opfer sind meist Menschen, die ein Gotteshaus besuchen, Schulkinder, Alte Menschen [zynischerweise sogar Holocaustüberlebende] und andere, deren einzige ‚Schuld’ darin besteht, der falschen Religion anzugehören.

Wer Verständnis aufbringt für Radikale, die mit Parolen wie ‚Hamas, Hamas, Juden ins Gas’ den Schulterschluss mit dem Nationalsozialismus bewusst suchen, macht sich zum Komplizen.

Über Alfred Schlicht

Alfred Schlicht ist promovierter Orientalist und pensionierter Diplomat. 2008 erschien sein Buch „Die Araber und Europa“. Sein Buch „Das Horn von Afrika“ erschien 2021, beide im Kohlhammer-Verlag.

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