Israel vor seiner grössten Agrarkrise?

Werden bald israelische Landwirtschaftsprodukte fehlen?

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Freiwillige aus ganz Israel helfen in der südisraelischen Stadt Aschkelon bei der Verpackung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, nachdem die ausländischen Arbeiter Israel nach dem mörderischen Terroranschlag der Hamas am Sabbat, dem 7. Oktober 2023, verlassen hatten. Aschkelon, 8. November 2023. Foto Yoav Dudkevitch/TPS
Freiwillige aus ganz Israel helfen in der südisraelischen Stadt Aschkelon bei der Verpackung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, nachdem die ausländischen Arbeiter Israel nach dem mörderischen Terroranschlag der Hamas am Sabbat, dem 7. Oktober 2023, verlassen hatten. Aschkelon, 8. November 2023. Foto Yoav Dudkevitch/TPS
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Der Überfall der Hamas-Terroristen am 7. Oktober brachte für Israel viel Leid und noch mehr Herausforderungen. Massiv betroffen sind auch die Landwirte, deren Hilferufe nicht abreissen, aber dennoch in den Regierungsfluren verhallen.

Einst war das Markenzeichen des Staates Israel die Jaffa-Orange, die so genannt wurde, weil der Export der Shamouti-Sorte über den Hafen der Stadt Jaffa abgewickelt wurde. Längst ist Israel stattdessen als Start-Up-Nation mit einer innovativen Hightech-Industrie bekannt. Dennoch ist das Land weiterhin für seine schmackhaften Obst- und Gemüseprodukte geschätzt, die dank umfangreicher Exporte auch im Ausland genossen werden.

Israel verstand es schon früh, sein landwirtschaftliches Aushängeschild mit modernster Technologie zu koppeln, wovon auch die Welt profitiert. Dazu gehören das in den 1960er Jahren entwickelte Tropfenbewässerungssystem und Innovationen einer Agrarwirtschaft, die mit einem mehrheitlich trockenen Klima ringt, aber ebenso neue Ansätze der biologischen Schädlingsbekämpfung und umweltfreundlichen Nutzviehhaltung. Überdies brachte Israel Züchtungen hervor wie beispielsweise die lange haltbaren Varianten der Cocktail-Tomate, die in aller Welt beliebt sind.

Eigenerwirtschafte Unabhängigkeit

Zwar ist der Anteil der israelischen Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt über Jahrzehnte hinweg stetig geschrumpft und macht heute nur noch wenige Prozent aus, doch Israel ist weiterhin stolz darauf, 95 Prozent seiner Lebensmittelanforderungen im eigenen Land zu produzieren. Bis auf wenige Produkte, die nicht im Land angebaut werden, hält Israel viel darauf, in dieser Hinsicht unabhängig zu sein. Viele erinnern nämlich noch die Rationierung von Lebensmitteln, die erst ab 1956 schrittweise im Verlauf von drei Jahren aufgehoben wurde.

Dass Israelis eigene Landwirtschaftsprodukte geniessen steht wie bereits in vorstaatlicher Zeit mit den Kibbuzim in Verbindung. Diese rund 270 Kollektivgemeinschaften erwirtschaften Mitte des letzten Jahrzehnts rund 40 Prozent aller israelischen Agrarprodukte. Daneben kommt den knapp 400 Moshawim eine grosse Bedeutung zu, bei denen es sich um kooperative Landwirtschaftsdörfer handelt, in denen die Bauern eigene Betriebe unterhalten, ihre Produkte jedoch als Kooperative vertreiben.

Moderne Technologie trug dazu bei, dass der Ertrag der israelischen Landwirtschaft um die Jahrtausendwende um 26 Prozent gesteigert werden konnte, während die Zahl der Landwirte um rund ein Viertel auf 17.000 zurückging, von denen zirka 26 Prozent die arabische Gemeinschaft des Landes stellt.

Zwischen Süden und Norden

Israel ist in weiten Strecken ein arides Land. Doch gerade der gegenwärtig durch den Hamas-Überfall schwer gezeichnete westliche Negev und das Umland gelten als landwirtschaftliche Schatzkammer Israels, die grosse Kontingente der benötigten Getreidesorten, Kartoffeln, Tomaten und Gurken sowie etliche Obstsorten bestreitet. Dutzende Kibbuzim der Region sind auch über drei Monate nach dem terroristischen Überfall evakuiert und militärisches Sperrgebiet. Schon bald nach dem 7. Oktober entwickelte sich auch im sehr viel grüneren Norden des Landes mit anderen landwirtschaftlichen Schwerpunkten ein ähnliches Szenario. Hier liegen viele Ansiedelungen sogar noch näher an der Grenze zum Libanon als die Kibbuzim im Süden an den Gazastreifen angrenzen. Weiterhin sind insgesamt rund 126.000 Israelis evakuiert.

Im Süden wie im Norden blieben nur wenige Einwohner vor Ort. Landwirte, egal ob kollektiv, kooperativ oder selbstständig wirtschaftend, blieben nicht nur um zu ernten, um zu retten, was von der herbstlichen Ernte zu retten war. Auch das Nutzvieh wollten sie nicht unversorgt lassen. Im Süden mussten Rettungsaktionen erfolgen, denn Kühe waren tagelang unregelmässig gemolken worden. Das geschah unter fortwährendem Raketenbeschuss. Im Norden kostete das Verbleiben einigen Landwirten das Leben, da hier der gezielte Beschuss ziviler Ziele, wie von Hisbollah-Chef Scheich Nasrallah angekündigt, von Woche zu Woche zunahm.

Folgen für das ganze Land

Allerdings stehen längst nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe im Süden und Norden vor grossen Schwierigkeiten, sondern jeder einzelne Landwirt. Mobilisierte Reservisten die Landwirtschaftsbetriebe haben, wissen ebenfalls nicht mehr ein noch aus. Israels Agrarsektor steht vor seiner grössten Krise. Nicht nur das Lebenswerk vieler Landwirte ist bedroht, sondern in einige Monaten auch die Versorgung des Landes mit Obst und Gemüse.

Trotz aller Innovationen ist dieser Sektor ein arbeitsintensiver Wirtschaftszweig, in dem rund 75.000 Arbeitskräfte beschäftigt sind. In Israel hielten sich bis zum 7. Oktober zirka 40.000 in der Landwirtschaft arbeitende Thailänder auf, die auf Anraten ihrer Regierung zur grossen Mehrheit das Land verliessen. Palästinensische Arbeitnehmer dürfen aus Sicherheitserwägungen weiterhin nicht an ihre Arbeitsplätze im israelischen Kernland zurückkehren. Das bedeutete für Landwirtschaftsbetriebe bereits ab dem 8. Oktober vor der Frage zu stehen: Wie bringen wir unsere reifen Produkte vor dem Verfaulen ein?

Typisch Israel

Schon in der ersten Woche nach dem Überfall berichteten die israelischen Medien erstmals über die Not der Landwirte. Nur wenige Tage später fanden sich Zehntausende Israelis zunächst zumeist im Süden ein, um trotz des fortwährenden Raketenbeschusses als ehrenamtliche Helfer einzuspringen. Schnell schlossen sich Jugendbewegungen wie der Shomer HaZair an. Dann begannen Nichtregierungsorganisationen Freiwilligenkontingente zu organisieren. Da der Beginn des akademischen Jahres verschoben werden musste, riefen schliesslich auch die Hochschulen nicht zum Reservedienst mobilisierte Studierende dazu auf, in der Landwirtschaft zu helfen.

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Mit Hilfe des „Noi Sheda“-Netzwerks im Azrieli Center in Tel Aviv werden landwirtschaftliche Produkte von Landwirten aus der Umgebung des Gazastreifens gekauft, eine Geste, die darauf abzielt, die israelische Landwirtschaft wiederherzustellen, nachdem viele landwirtschaftliche Betriebe bei dem brutalen Angriff der Hamas am Samstag, den 7.10.2023, vollständig zerstört wurden. Tel Aviv, 26. Oktober 2023. Foto Gideon Markowicz/TPS

Längst engagieren sich Freiwillige nicht nur im Süden und Norden, sondern auch im Zentrum des Landes beispielsweise bei der Erdbeerernte. Und wie immer in Israel, arbeiten Juden und Araber Seite an Seite, Hand in Hand, sowohl als ehrenamtliche Helfer als auch gleichermassen für Landwirtschaftsbetriebe von Juden wie Arabern.

Stolpersteine trotz gutem Willen

Die Medien des Landes greifen immer wieder das Thema der Agrarkrise auf. Man hört durchweg, wie dankbar die Bauern aller Zweige für die Soforthilfe der Freiwilligen sind. Dennoch bezeichnen sie diesen Einsatz als „Pflaster für einen Krebspatienten.“ Zwar sorgen die freiwilligen Helfer dafür, reife Produkte zu retten, doch sie sind keine Fachkräfte, wie z. B. die Hochsaison der Granatapfelernte zeigte.

Viele Landwirte berichten, dass Freiwillige anders als angelernte Arbeiter nicht erkennen, welche Frucht unter der dicken Pelle gut ist, so dass sie viel Rücklauf und Beschwerden hatten. Freiwillige anzulernen, die nur kurze Zeit aushelfen, ist arbeitsaufwendig und angesichts des bestehenden Mangels an Arbeitskräften nicht zu bewerkstelligen. Hinzukommt, dass Freiwillige trotz gutem Willen nicht die Kontingente ernten, die Facharbeiter täglich einbringen. Trotz Hilfe sind die Verluste enorm.

Von Politik und Behörden alleine gelassen

Unendlich viele Landwirte beklagen, dass sie nicht ausreichend unterstützt werden. An allen Ecken und Enden fehlt es an auch nur halbwegs adäquaten Entschädigungen, ganz zu schweigen von Überbrückungshilfen. Die Regierung entschied zwar über gewisse Massnahmen, doch Ergebnisse der Knesset-Debatten sind vor Ort nicht zu spüren. Beamte zuständiger Behörden lassen sich nicht vor Ort sehen; schliesslich sind die Regionen militärisches Sperrgebiet. Diese Erklärung empfinden Landwirte, die geblieben sind, nicht nur um ihren Betrieb zu retten, sondern auch die Versorgung der Bevölkerung mit Obst und Gemüse zu sichern, durchweg als zynisch.

Hinzu kommt, dass zwar Kontingente von Gastarbeitern aus anderen Ländern genehmigt wurden, aber die Umsetzung ihrer Zulassung zur Einreise ins Land zu schleppend abgewickelt wird. In Israel tickt schon seit geraumer Zeit für einige landwirtschaftliche Produkte die Uhr. Es geht nicht nur um die Rettung reifer Produkte, sondern das Ausbringen der nächsten Saat, um im Frühjahr ernten zu können.

„Zum Pessach-Fest werden wir kaum israelisches Gemüse haben“

Am deutlichsten wurde in einem TV-Interview für den Channel 12 in der Landwirt Dvir Hajabi, der seinen Betrieb im Moshaw Yakhini hat, der gut fünf Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt ist. Hier fanden am 7. Oktober schwere Kämpfe gegen Hamas-Terroristen statt, die sechs Einwohnern des Dorfes und einem Grenzpolizisten das Leben kosteten. Und auch über drei Monate später ist dieser Moshaw, der von der Regierung nicht evakuiert wurde, immer wieder Ziel von Raketen aus dem Gazastreifen. Anfang Januar traf eine Rakete ein Wohnhaus des Moshaw und verletzte eine ältere Frau.

Doch nicht nur das bringt Hajabi auf die Palme. „Niemand hat mit uns Landwirten geredet. Wir sind der Regierung vollkommen egal.“ Noch nicht einmal die Beamten der Behörde für kriegsbedingte Sachschäden hätten sich sehen lassen. Alle Anträge hängen unbearbeitet in der Luft. Hajabi, der Tomaten, Gurken, Auberginen und Kartoffeln anbaut, berichtete über viel verrottetes Gemüse: „Wir haben grosse Flächen zunächst einfach trockengelegt. Die Wasserrechnungen sind nicht mehr tragbar.“ Und er fügte hinzu, was für noch viel schlimmer hält: „Wir haben diese Flächen Wochen später nicht neu bestellen können. Das geht nicht nur uns im Moshaw Yakhini so, sondern ist überall im Land der Fall.“ In einigen Wochen so meinte dieser Landwirt wird es schlecht um die vielgepriesene Unabhängigkeit sein, die das im Land produzierte Obst und Gemüsen bringt. „Zum Pessach-Fest Ende April wird es massiv an im Land produzierten Gemüse mangeln. Wir Bauern sind darauf angewiesen, dass die Verbraucher schon jetzt Druck machen. Vielleicht wird die Regierung ja doch noch wach bevor es nicht nur für die nächste Ernte, sondern die Zukunft der israelischen Landwirtschaft zu spät ist.“

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Über Antje C. Naujoks

Antje C. Naujoks lebt seit fast 40 Jahren in Israel, wo sie ihr an der FU Berlin aufgenommenen Studium im Bereich der Politikwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem abschloss. Nach langjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit ist sie seit Jahrzehnten für die Öffentlichkeitsarbeit einer israelischen NGO verantwortlich, darüber hinaus aber weiterhin auch als Übersetzerin und Autorin tätig.

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