Auschwitz – Das grösste deutsche Vernichtungslager im NS-Staat

Massenmord im Fliessbandverfahren

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Selektion ungarischer Juden auf der Rampe in Auschwitz-II-Birkenau im deutsch besetzten Polen, Mai/Juni 1944, in der Endphase des Holocaust. Foto IMAGO / UIG
Selektion ungarischer Juden auf der Rampe in Auschwitz-II-Birkenau im deutsch besetzten Polen, Mai/Juni 1944, in der Endphase des Holocaust. Foto IMAGO / UIG
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In Auschwitz wurden mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet. Doch über Jahrzehnte war des KZ in der deutschen Öffentlichkeit kein Begriff.

von Christoph Arens

Es war einer der grössten Prozesse der Nachkriegszeit. Vor 60 Jahren, seit dem 20. Dezember 1963, wurden in Frankfurt erstmals die kaum vorstellbaren Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz vor Gericht gebracht. Mehr als 18 Jahre nach Kriegsende mussten sich 22 SS-Wachleute und Lager-Ärzte vor dem Richter verantworten. Aus Sicht des damaligen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der den Prozess gegen grosse Widerstände durchgesetzt hatte, für die deutsche Gesellschaft eine bittere, aber notwendige Arznei.

Bis dahin war für die breite Öffentlichkeit in Deutschland Auschwitz kein Begriff. Und auch nach den insgesamt fünf Frankfurter Auschwitz-Prozessen spielte Auschwitz nur eine geringe Rolle. Erst die Studentenbewegung und eine scheinbar triviale amerikanische Fernsehserie veränderten die Situation: Mit “Holocaust” wurde Ende der 70er Jahre lange Verschüttetes freigelegt.

Zwischen 1940 und 1945 ereignete sich in der grössten Menschenvernichtungsanlage der Nazis der industrialisierte Massenmord im Fliessbandverfahren. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die letzten Häftlinge. Seit 1996 begeht die Bundesrepublik an diesem Tag den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. 2006 wurde er auf Beschluss der Vereinten Nationen auch weltweit in den Kalender übernommen.

Bis zu anderthalb Millionen Menschen wurden im Stammlager Auschwitz und den Nebenlagern Birkenau und Monowitz sowie weiteren Nebenlagern ermordet: meist Juden, aber auch Sinti und Roma, Polen und sowjetische Gefangene. Als sich die Rote Armee im Januar 1945 dem 60 Kilometer von Krakau entfernt gelegenen Lager näherte, fand sie unter dem Schnee nicht nur die Spuren der Krematorien, sondern auch noch sechs Warenlager mit fast 350.000 Anzügen von Männern und 840.000 Frauenkleidern – sowie Bergen von Frauenhaar und Zahngold.

Anfang 1940 hatte der “Reichsführer SS” Heinrich Himmler in dem verkehrstechnisch gut angebundenen polnischen Städtchen Oswiecim ein Lager für polnische Widerstandskämpfer vorgesehen. Doch der Ehrgeiz deutscher Industrieller trieb die SS dazu, aus den Kasernen der polnischen Armee eine Rüstungszentrale aufzubauen: Die IG Farben wollte ihre Kunstkautschuk-Produktion erhöhen – und der SS kam das gelegen, um sich eine Vormachtstellung in der deutschen Wirtschaft zu sichern.

Für ein paar Mark pro Tag wurden die Häftlinge an die IG Farben “vermietet” – der zynische Schriftzug “Arbeit macht frei” stand über dem Eingangstor. In das schon für rund 8.000 Häftlinge viel zu enge Stammlager wurden bis zu 20.000 Häftlinge gleichzeitig gepfercht. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion entstand im wenige Kilometer entfernten Birkenau ein eigenes Kriegsgefangenenlager, das für 100.000 Häftlinge vorgesehen war.

Die Menschen starben massenhaft an Typhus, Ruhr, Cholera, Misshandlungen und willkürlichen Tötungen. Im Block 10 des Stammlagers wurden Häftlinge Opfer medizinischer Menschenversuche von SS-Ärzten, darunter Josef Mengele. Block 11 diente als Folter- und Strafblock. An der berüchtigten “Schwarzen Wand” erschoss die SS tausende Häftlinge.

Drei SS-Offiziere unterhalten sich auf dem Gelände des SS-Erholungsheims von Auschwitz in Solahütte, 1944. Von links nach rechts: Richard Baer (Kommandant von Auschwitz), Dr. Josef Mengele und Rudolf Höss (der ehemalige Kommandant von Auschwitz).

Zur Todesfabrik entwickelte sich Auschwitz endgültig ab Herbst 1941, als Hitler mit Blick auf den stockenden Russland-Feldzug und den absehbaren Kriegseintritt der USA immer neue Drohungen gegen Juden ausstiess. Ab Juli 1942 wurde die “Selektion an der Rampe” eingeführt. Direkt aus den Güterzügen wurden die Menschen in die Gaskammern geführt und mit Zyklon B ermordet. Zehntausende kamen noch im Januar 1945 auf Todesmärschen ums Leben.

“Wohl war dieser Befehl etwas Ungewöhnliches, Ungeheuerliches”, schrieb der 1947 hingerichtete Lagerkommandant Rudolf Höss angesichts der Himmler-Anweisung, Auschwitz in eine Menschenvernichtungsmaschine zu verwandeln. “Doch die Begründung liess mir diesen Vernichtungsvorgang richtig erscheinen. Ich stellte damals keine Überlegungen an – ich hatte den Befehl bekommen, und ich hatte ihn durchzuführen.” Ähnlich argumentierten viele derjenigen, die in Auschwitz eingesetzt waren. 1944 taten über 3.300 SS-Angehörige dort Dienst, dazu noch Aufseherinnen, Schreibkräfte und Krankenschwestern.

Am 20. August 1965 endete der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess. Sechs Angeklagte wurden zu lebenslangen Zuchthausstrafen verurteilt, die anderen zu unterschiedlich langen Freiheitsstrafen, drei wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Über Jahrzehnte verzögerte und verschleppte die deutsche Justiz die Aufarbeitung der Verbrechen. Sie berief sich auf hohe juristische Hürden, nach denen nur der konkrete Tatnachweis ein Urteil ermöglichte. Erst vor wenigen Jahren hat die Rechtsprechung den Massstab korrigiert und damit auch Verurteilungen wegen Beihilfe an den Verbrechen in den Konzentrationslagern möglich gemacht.

KNA/cas/cdt/lwi

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