Die strategischen Pläne der Hamas und deren mögliche Auswirkungen

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Plakat von Marwan Barghouti, dem Fatah-Führer in israelischer Haft, während einer Kundgebung in Gaza-Stadt. Foto IMAGO / UPI Photo
Plakat von Marwan Barghouti, dem Fatah-Führer in israelischer Haft, während einer Kundgebung in Gaza-Stadt. Foto IMAGO / UPI Photo
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Die Hamas hat sich darauf eingestellt, dass ihre Herrschaft im Gazastreifen in Frage gestellt werden könnte, insbesondere angesichts des jüngsten militärischen Vorstosses der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF).

von Yoni Ben Menachem

Die Terrororganisation ging davon aus, dass Israel die Kontrolle der Hamas im Gazastreifen schwächt und hat daher proaktive Massnahmen ergriffen.

Eine wichtige Forderung der Hamas ist die Freilassung des hohen Fatah-Funktionärs Marwan Barghouti aus der israelischen Gefangenschaft.

Man geht davon aus, dass Barghoutis Freilassung den US-Plan zur Schaffung einer «wiederbelebten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)» untergraben und deren Einfluss im Gazastreifen schwächen könnte.

Diese Forderung hat in der Führung der Autonomiebehörde Besorgnis ausgelöst, da eine Freilassung von Barghouti und Ahmed Sa’adat, dem Führer der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), mit einem Deal mit israelischen Geiseln in Verbindung gebracht wird.

Nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 wurde Barghouti in Einzelhaft genommen, um eine Kontaktaufnahme mit terroristischen Kräften zu verhindern.

«Bewaffneter Widerstand» gegen Israel

Die Palästinensische Autonomiebehörde hat mit einem Rückgang ihres Ansehens auf den palästinensischen Strassen zu kämpfen, insbesondere nach dem Massaker in den Ortschaften rund um Gaza. Ein wachsender Teil der Bevölkerung unterstützt die Osloer Abkommen und die Zweistaatenlösung nicht mehr und bevorzugt den «bewaffneten Widerstand» gegen Israel.

Trotz des schwindenden Einflusses der Fatah ist Marwan Barghouti bei den Palästinensern nach wie vor beliebt.

Der inhaftierte Fatah-Führer, der wegen seiner Rolle in der zweiten Intifada eine fünfmalige lebenslange Haftstrafe verbüsst, gilt als potenzieller Nachfolger von Palästinenserführer Mahmoud Abbas.

Barghouti (Mitte) und die Mitgefangenen Samir Kuntar (rechts) und Ahmed Saadat (links). Kuntar, der an einem brutalen Terroranschlag im Jahr 1979 beteiligt war, wurde 2008 im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen. Er wurde im Dezember 2015 bei einem israelischen Luftangriff auf Anführer der Hisbollah getötet. Ahmed Saadat, ein PFLP-Führer, organisierte das Attentatsteam, das 2001 den israelischen Minister Rehavam Ze’evi tötete. Foto zVg

Neue Terrorgruppen in Nordsamaria, von denen einige Verbindungen zur Fatah haben, geniessen ebenfalls grosse Unterstützung unter den Palästinensern.

Barghouti ist in seiner Annäherung an die Hamas vorsichtig, da er weiss, dass diese bei seiner Freilassung eine Rolle spielen könnte. Er setzt sich für die «nationale Einheit» ein, und nachdem seine Freilassung 2011 blockiert wurde, erhielt er von der Hamas-Führung Zusicherungen für künftige Verhandlungen.

Bedenken innerhalb der PA, die vor allem von hochrangigen Persönlichkeiten wie Hussein al-Sheikh und Majed Faraj geäussert wurden, unterstreichen die Befürchtung, dass die Freilassung von Barghouti die Herrschaft von Mahmoud Abbas destabilisieren könnte.

Jüngste Äusserungen von al-Sheikh über eine Versöhnung mit der Hamas haben die Ressentiments gegenüber der PA auf palästinensischen Strassen weiter angeheizt.

Die Hamas sieht in der möglichen Freilassung Barghoutis eine Gelegenheit, die öffentliche Unterstützung zu erhöhen und ihr Engagement für einen umfassenden Lösungsansatz unter Einbeziehung von Gefangenen verschiedener Fraktionen zu demonstrieren.

Dieser Schritt könnte die Position der Hamas innerhalb der PLO stärken und die Dominanz der Fatah in Frage stellen.

Zur langfristigen Strategie der Hamas gehört es, jeden grösseren Gefangenenaustausch mit Israel zu nutzen, um prominente Fatah-Mitglieder freizulassen, die gegen Mahmoud Abbas opponieren, und so den Plan von Präsident Biden für eine «wiederbelebte Palästinensische Autonomiebehörde» zu vereiteln, die gegen den Terrorismus kollaboriert.

Da die Verhandlungen über einen neuen Gefangenenaustausch ins Stocken geraten sind, sollte die israelische Politik erkennen, dass die Freilassung von Marwan Barghouti nicht nur ein Sicherheitsrisiko darstellt, sondern auch eine potenzielle Bedrohung für die geplante «Wiederbelebung» der palästinensischen Herrschaft im Gazastreifen nach einem möglichen Zusammenbruch der Hamas-Kontrolle ist.

Yoni Ben Menachem ist leitender Nahost-Analyst des Jerusalem Center for Public Affairs, ein unabhängiges israelisches Forschungsinstitut für politische und gesellschaftliche Fragen mit Sitz in Jerusalem. Übersetzung Audiatur-Online.

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